Sonntag, 27. November 2016

Aggregiertes Angebot und aggregierte Nachfrage


Die in der Makroökonomie vorherrschende Sicht ist, dass sich das volkswirtschaftliche Produktionspotential unabhängig von der aggregierten Nachfrage entwickle. Die (von mir wissenschaftlich sehr geschätzte) Präsidentin der US-amerikanischen Notenbank, Janet Yellen, hat diese übliche Sicht in einem sehr  interessanten Beitrag kritisiert. Sie charakterisiert kurz die übliche Sicht wie folgt
Kann es sein, dass Änderungen der aggregierten Nachfrage zu deutlichen und nachhaltigen Folgewirkungen auf das aggregierte Angebot führen können? Vor der großen Krise hätten wahrscheinlich die meisten Ökonomen diese Frage mit einem deutlichen "Nein" beantwortet. Sie hätten weitgehend Robert Solow darin beigepflichtet dass die ökonomische Leistung einer Volkswirtschaft längerfristig hauptsächlich durch das Angebot getrieben wird -- die Gesamtmenge an Gütern und Diensten, die eine Wirtschaft bei einer gegebenen Ausstattung an Arbeit, Kapital und Technologie in der Lage ist bereitzustellen. Die aggregierte Nachfrage wurde demgegenüber für kurzfristigere Schwankungen um den angebotsbestimmten exogenen Trend verantwortlich gemacht.
und bemerkt dann:
Diese Sicht muss angesichts dessen, dass die ökonomische Aktivität in den meisten fortgeschrittenen Ökonomien nicht auf ihren vormaligen Trend zurückgekehrt ist, neu überdacht werden. Die Erfahrung nach der Krise legt nahe, dass Änderungen der aggregierten Nachfrage einen deutlichen und dauerhaften Einfluß auf das aggregierte Angebot haben -- also auf das Produktionspotential.
Ich kann dem nur nachdrücklich zustimmen. Ein durch Nachfragemangel ausgelöster Beschäftigungseinbruch, wie er im Zuge der Finanzkrise aufgetreten ist, hat u.a. folgende Wirkungen:

  • Bei geringerer Nachfrage und damit geringerer Beschäftigung wird weniger ausgebildet und fortgebildet. Das reduziert die Leistungsfähigkeit der vorhandenen Arbeitskräfte. (Die innerbetriebliche Qualifikation, sogenanntes on-the-job-Training, ist von außerordentlich großer Bedeutung für den Qualifikationserwerb der Arbeitskräfte, typischerweise wichtiger als formale Qualifikation.) Plakativ gesprochen: Beschäftigungseinbrüche verringern die Humankapitalbildung. In der Zukunft stehen dann weniger qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung.
  • Bei geringerer Nachfrage und damit geringerer Produktion wird weniger investiert. In der Zukunft steht dann nur ein verringertes Produktionspotential zur Verfügung.
  • Bei geringerer Nachfrage wird weniger in Forschung und Entwicklung investiert. Damit steht in der Zukunft nur eine weniger fortgeschrittene Technologie zur Verfügung.
Die Äußerung von Janet Yellen deuten auf ein Umdenken hin. Das impliziert zugleich auch eine Neubewertung restriktiver Politik, die dann eben als langfristig schädlich erscheint, und nicht als unerheblich für die langfristige Entwicklung. Auch die Ernennung von Paul Romer zum Chefökonmen der Weltbank deutet in diese Richtung. Er gilt ja als ein Urheber der "endogenen Wachstumstheorie" die den Zusammenhang zwischen Investition und Technologieentwicklung betont, also den letzten der obigen Punkte. Ich selbst halte diesen Zusammenhang ebenfalls für wichtig, finde allerdings ältere (und meist in Vergessenheit geratenen) Ansätze besser als die an Romer anknüpfenden neueren AK-Modelle. Das habe ich kürzlich hier ausführlich dargelegt.  (Eine freie Version ist hier).

Montag, 21. November 2016

Warum eine Infrastrukturgesellschaft des Bundes?

Die öffentliche Diskussion über Schäubles Vorschlag, eine Infrastrukturgesellschaft mit privater Minderheitsbeteiligung einzurichten geht m.E. an dem Hauptzweck des ganzen Projekts vorbei. So wie ich das sehe besteht dieser Hauptzweck darin, den Straßenbau mit Krediten (und nicht aus laufenden Steuereinnahmen) zu finanzieren. Das ist ein völlig sinnvolles Anliegen. Ebenso wie der Privatmann sein Haus mit Krediten finanziert und diese während der Nutzung über viele Jahre hinweg tilgt, sollten auch Straßen und Infrastrukturprojekte mit Krediten finanziert werden. Wenn dies allerdings über den laufenden Staatshaushalt geschieht, ist die "schwarze Null" nicht realisierbar. Wenn man aber die Schulden, die im Zusammenhang mit Infrastrukturprojekten notwendig sind, an eine private Gesellschaft auslagert, erscheint diese Verschuldung nicht im Staatshaushalt. Das ist ein teurer Spaß, aber die schwarze Null muß man sich schon was kosten lassen.

Zwar handelt es sich, wie die Grünen bemerken, um ein "Milliardengeschenk für Banken und Versicherungen", aber (hoffentlich!) ist das nicht der Hauptzweck!