Samstag, 2. Januar 2016

Zum Mindestlohn

Die Einführung des Mindestlohns hat gerade in den Niedriglohnbereichen zu einem Anstieg der regulären Beschäftigung und einem Abbau der Minijobs geführt, die offenbar oft in sozialversicherungspflichtige reguläre Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt worden sind, wie die Hans-Böckler-Stiftung erläutert.

Diese Beobachtung ist bemerkenswert. Dass die Arbeitsnachfrage in den Niedriglohnbereichen nicht wesentlich durch den Mindestlohn beeinflusst worden ist ist dabei weniger interessant und auch nicht überraschend; viele Experten hatten das erwartet (allerdings nicht der Sachverständigenrat). Es handelt sich ja bei der Arbeitsnachfrage um eine "abgeleitete" Nachfrage: Sie ergibt sich aus der Nachfrage nach Gütern und Diensten, zu deren Erstellung die Arbeitskräfte nachgefragt werden. Steigen die Lohnkosten, so steigen die Preise der von diesen Arbeitskräften erstellten Güter und Dienste. Dies führt dann zu einer Verlagerung der Nachfrage nach dem Motto: Wenn der Hamburger wegen des Mindestlohnes teurer  geworden ist, esse ich etwas anderes was mir besser schmeckt. Aber dieser Effekt ist nicht besonders groß. (Siehe dazu auch meine frühere Anmerkung.)

Die eigentliche Frage ist: Warum haben die Unternehmungen nicht einfach die Bezahlung der Minijobs verbessert und ansonsten alles so belassen wie es vor der Einführung des Mindestlohnes war?

Zunächst einmal kann man feststellen, dass die Unternehmungen eben anders vorgegangen sind, aus welchen Gründen auch immer. Sie haben in vielen Fällen vorgezogen, statt Minijobs mit Mindestlohn sozialversicherungspflichtige Beschäftigungen anzubieten. Da sie dies vorgezogen haben, können wir annehmen, dass die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für die Unternehmungen Vorteile gegenüber den Minijobs bietet. Die Arbeitskräfte finden vermutlich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ebenfalls besser als Minijobs. Wenn das so ist - man müsste das noch überprüfen - bedeutet der Übergang von Minijobs mit Mindestlohn zu sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung eine Verbesserung für beide Parteien, also eine Effizienzsteigerung. (Auf schlau: "Pareto-Verbesserung".) Die durch sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ersetzten Minijobs hatten also gewisse Nachteile und waren nur aufgrund des niedrigen Lohnes für Minijobs für die Unternehmungen vorteilhaft. Da die umgewandelten Jobs von denselben Arbeitskräften besetzt wurden war die Entlohnung der Minijobs zuvor unter Effizienzgesichtspunkten zu niedrig, denn gleiche Arbeit muss aus volkswirtschaftlicher Sicht gleich bezahlt werden. Kurz: die unterbezahlten Minijobs waren volkswirtschaftlich ineffizient.

Worin könnten nun aber die Vorteile der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung für die Unternehmungen liegen? Hier gibt es viele Möglichkeiten.  Ein wesentlicher Gesichtspunkt könnte sein, dass Arbeitskräfte mit Minijob selbst bei Mindestlohn versuchen, eine  sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu finden. Sie sind dann ständig auf dem Sprung und wechseln sobald sie können. Das führt zu höherer Arbeitskräftefluktuation (mehr Arbeitskräftewechsel). Damit steigen die   Fluktuationskosten, z.B. die  Kosten für die Auswahl unter den Bewerbern, Einstellung, Einweisung, Einarbeitung. Diese Kosten sind auch bei einfachen Tätigkeiten beträchtlich. Bei sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung dürfte die Fluktuation, und damit auch die Fluktuationskosten, geringer sein als bei Minijobs. Eine solche Erklärung wird durch die Erfahrung von Walmart mit eine Lohnerhöhung im April 2015 nahegelegt, die zu einer deutlichen Reduktion der Fluktuation und der Fluktuationskosten geführt und sich damit für Walmart ausgezahlt hat.

Es gibt noch eine Reihe weiterer und ähnliche Kanäle, die zu ähnlichem Ergebnis führen aber allesamt den in der öffentlichen Diskussion gepflegten Vorstellungen über Lohnbildung (exemplifiziert durch den Sachverständigenrat) widersprechen. Es würde jedoch zu weit führen, das hier im Einzelnen zu erläutern.