Mittwoch, 15. Juli 2015

Maastricht ist obsolet

Im Zusammenhang mit der damaligen Diskussion um Griechenlands Schuldenprobleme hatte ich in einem Blog aus dem Jahre 2011 über Hirschmans Prinzip der verbergenden Hand und den Euro geschrieben:
Die Rettung des Euro scheint ... Kreativität zu erfordern. Ohne sie wird das Projekt wohl leider scheitern. Sture Regeln wie Maastricht bieten geradezu eine Garantie für ein solches Scheitern, aber Hirschman lässt uns hoffen.
Leider hat sich diese Hoffnung bisher nicht bewahrheitet. Das idiotische Prinzip, dass die Staatshaushalte unabhängig von der Beschäftigung ausgeglichen sein sollten, wird weiter verfolgt, mit der Konsequenz, dass Länder wie Griechenland, die unter hoher Arbeitslosigkeit leiden, durch Kürzung der Staatsausgaben die Arbeitslosigkeit weiter erhöhen müssen. Das führt zu Instabilität -- deshalb ist der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt besser als Instabilitäts- und Stagnationspakt bezeichnet worden.

Die in den Maastricht-Kriterien und der Schuldenbremse manifestierte Obsession mit Haushaltsdefiziten beruht auf Theorien, die damals weite Verbreitung hatten aber inzwischen als überholt gelten müssen. Insbesondere war die Vorstellung bei vielen Ökonomen, dass Staatsausgaben stets Investitionen verdrängen und dass deshalb eine Einschränkung der Staatsausgaben zu mehr Investitionen führt. Das war früher schon falsch, auch wenn viele daran geglaubt haben, ist auch in Griechenland nicht eingetreten, und wohl keiner glaubt mehr daran. Selbst Schäuble und Gabriel sehen die Notwendigkeit einer Kreditaufnahme zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen und schlagen einen (recht teuren) Weg vor, wie man das Problem unter Umgehung der Schuldenbremse lösen kann. Billiger und einfacher und ehrlicher wäre, die Schuldenbremse abzuschaffen und durch eine vernünftige Regel zu ersetzen.

Ferner war zur Zeit Defizitobsession die irrtümliche Überzeugung vorherrschend, dass Marktwirtschaften relativ schnell zur Vollbeschäftigung zurückkehren. Deshalb ist verständlich, dass man das Potenzial einer Wirtschaft mit dem Bruttoinlandsprodukt gleichgesetzt und die Schuldenquote daran orientiert hat. Die Vorstellung einer schnellen Rückkehr zur Vollbeschäftigung hat auch beim Internationalen Währungsfonds nachgeklungen, als er die Geschwindigkeit, mit der Griechenland sich erholen würde, gründlich fehlprognostiziert hatte (wofür er sich dann später entschuldigt hat). Tatsächlich ist aber das potenzielle Brutoinlandsprodukt etwas anderes als das realisierte. Wenn man die Kreditaufnahme der einzelnen Euro-Länder regeln möchte um zu vermeiden, dass sich nicht ein Land letztlich auf Kosten der anderen Länder verschuldet, sollte man sich an diesem Potential orientieren und die Staatsausgaben und die Schuldenquote daran bemessen. Eine Orientierung an dem tatsächlichen Bruttoinlandsprodukt führt zu Instabiltät, wie man jetzt wieder gesehen hat. Eine Orientierung am potentiellen Bruttoinlandsprodukt ließe Raum für die "automatischen Stabilisatoren" - eben die zusätzlichen Ausgaben, die in Deutschland und anderswo bei Erhöhung der Arbeitslosigkeit automatisch erfolgen: zusätzlich Arbeitslosenunterstützung, zusätzliche Sozialausgaben, verringerte Steuereinnahmen. All das hat nach Ansicht vieler Ökonomen dazu geführt, dass die Finanzkrise in Europa zunächst nicht so brutal gewirkt hat wie in den USA. Was man mit der gegenwärtigen Austerity-Politik erreicht ist, dass man die automatischen Stabilisatoren abschafft und die Instabilität verschärft, nicht nur für Griechenland, sondern für die ganze Euro-Zone.

Für eine stabile Euro-Zone ist natürlich mehr erforderlich als eine solche Massnahme. Die einfache Ersetzung von "Bruttoinlandsprodukt" durch "potentielles Bruttoinlandsprodukt" in den relevanten Regelungen würde aber eine deutlich Verbesserung bringen und dürfte auch jedem Laien einleuchten.

 
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