Mittwoch, 17. Juni 2015

Krugman zu Austerity in Griechenland

Im Februar, kurz nach der griechischen Parlamentswahl, hat sich Paul Krugman sehr vernünftig zur Austerity-Politik in Griechenland geäussert:





Es bestand [vor dem Beginn des ersten Rettungspakets und der durch die Troika erzwungenen Restriktionspolitik]  Einigkeit darin, dass Griechenland seine Lohnkosten und andere Kosten relativ zu den entsprechenden Kosten in der Eurozone reduzieren musste. Das hätte schnell und ohne die Notwendigkeit hoher Arbeitslosigkeit geschehen können wenn Griechenland eine eigene Währung gehabt hätte die hätte abgewertet werden können, wie das in  Island der Fall gewesen war. Mit der Mitgliedschaft in der Eurozone musste Griechenland eine Weile  Unterbeschäftigung akzeptieren um das Lohnwachstum zu reduzieren.
 
Es bestand aber die Frage wie schnell dies geschehen sollte. Das folgende schematische Bild illustriert das:








Griechenland musste seine Löhne [Wages, y-Achse] auf einen Pfad bringen, der langfristig aufrecht erhalten werden kann [Sustainable Path, punktierte Linie]. Dieser dauerhaft mögliche Pfad steigt über die Zeit [Time, x-Achse] wegen der Inflation im Rest der Eurozone an. (Es ist dabei natürlich wichtig, dass diese Inflation hoch genug ist.) Es bleibt aber die Frage, wie schnell diese Anpassung erfolgen sollte. Der Plan A beschreibt die Schocktherapie  mit hoher Arbeitslosigkeit und Deflation. Bei Plan B muss die Arbeitslosigkeit nur so hoch sein, dass die Löhne nicht steigen.

Plan A verursacht Schmerzen besonders am Anfang, aber sind die Gesamtschmerzen, gemessen z.B. durch die Zeit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, in den beiden Fällen gleich?

Wenn die Phillips-Kurve linear ist so dass ein Prozentpunkt Arbeitslosigkeit die Lohninflation immer um den gleichen Betrag reduziert, wäre die Antwort: Ja. Es gibt aber überwältigende Evidenz dafür dass die Phillipskurve NICHT linear ist und bei hoher Arbeitslosigkeit nahezu flach verläuft, wegen der Lohnstarrheit nach unten.

Das bedeutet, dass Plan A nicht einfach die Anpassungskosten nach vorn verlagert. Er verursacht wesentlich mehr Gesamtschmerzen, auch wenn er zeitlich kürzer wirksam ist, denn er trifft auf wesentlich stärkeren Widerstand gegen tatsächliche Lohnkürzungen gegenüber einfacher Lohnzurückhaltung. 

Deshalb hätte Griechenland einen Großteil seines Albtraumes vermeiden können, wenn es seine eigene Währung gehabt hätte; aber es hätte einen wesentlich weniger schrecklichen Albtraum durchleiden müssen wenn die Euro-Austerität weniger extrem und die Anpassung langsamer gewesen wäre.
Das alles gilt nach wie vor, nur nicht mehr in so extremer Form wie zu Beginn des ersten Rettungspakets, denn ein Großteil der notwendigen Lohnanpassung ist tatsächlich mittels der Schocktherapie bereits erfolgt, allerdings zu den von Krugman erwähnten immensen Kosten. Ich würde hinzufügen, dass es auch andere Möglichkeiten der Lohnkontrolle gibt als die Arbeitslosigkeit, die bei Krugman fraglos als erforderlich dargestellt wird. Griechenland hätte die Vorteile einer eigenen Währung auch bei Beibehaltung des Euro realisieren können, wenn man meinem Vorschlag von 2011 gefolgt wäre und eine regionale Lohnindexierung zur Lohnkontrolle eingeführt hätte.

Sonntag, 14. Juni 2015

Tsipras Besorgnis um die griechischen Renten ist wohl vorgeschoben

Tsipras weigert sich, den Wünschen der Institutionen nach Rentenkürzungen zu entsprechen. Die Sorge um die griechischen Rentner ist aber wohl vorgeschoben. Die griechischen Renten sind nicht schlecht:


Quelle: Die Welt, http://www.welt.de/wirtschaft/article138674711/Geldgeber-halten-griechische-Renten-fuer-zu-hoch.html

Bei einem Grexit müssen die Renten auf Drachmen umgestellt werden. Ihre Kaufkraft wird entsprechend fallen. Bei Rentenkürzung nach Vorstellung der Institutionen geht die Kaufkraft der Renten ebenfalls zurück. Es ist aber zu bezweifeln, dass die griechischen  Rentner nach einem Grexit besser dastehen als nach einer Rentenkürzung gemäß den Wünschen der Institutionen  bei Beibehaltung des Euro.

Deshalb, so scheint mit, ist das Argument vorgeschoben. M.E. gibt es zwei Möglichkeiten:

1. Tsipras sorgt sich tatsächlich um die Renten und will den Euro nicht verlassen. Er versucht nur, das beste herauszuholen. Dann wird er im Schuldenstreit letztlich nachgeben und Rentenkürzungen entsprechend den Forderungen der Institutionen akzeptiern,  gleichgültig wie die Forderungen sind.

2. Tsipras will gar keine Einigung, schert sich einen Dreck um die griechischen Renten und will  lediglich die Guthaben der wohlbetuchten Griechen bei der Europäischen Zentralbank, wie sie sich durch Geldabflüsse tagtäglich anhäufen, möglichst groß machen, gleichgültig wie die Forderungen der Institutionen sind. Dies ist die Vermutung meines Kollegen Hans Werner Sinn (mit dessen Einschätzungen ich oft nicht übereinstimme, aber in diesem Fall sehe ich diese Möglichkeit ebenfalls).  Dann wird Tsipras sich auf keine Einigung einlassen. Das wieder neu aufgetauchte Verlangen nach einem Schuldenschnitt deutet in diese Richtung.

Der Internationale Währungsfonds sieht sie Sachlage wohl richtig. Wir werden in Kürze sehen, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft.

Nachtrag (15.6.2015): Der Internationale Währungsfonds besteht auf einer Reduktion der Summe der Rentenzahlungen um 6.25 %. Dabei könnten die niedrigen Renten unverändert bleiben wenn die höheren Renten entsprechend stärker gekürzt würden.

Mittwoch, 10. Juni 2015

Tsipras über Griechenland, Spanien und Italien


Spiegel Online berichtet:

Im Interview mit der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" erinnerte Tsipras noch einmal an ein viel drastischeres Szenario: "Es wäre der Anfang vom Ende der Eurozone", erklärte er. "Wenn Griechenland ausscheidet, sehen sich die Märkte sofort nach dem nächsten Kandidaten um." Spanien und auch Italien würden angesichts ihrer enormen Verschuldung sofort unter großen Druck geraten. Der Preis, den die europäischen Steuerzahler dann zu entrichten hätten, sei extrem groß.

Was soll soetwas?  Die Aussage erweckt den falschen Eindruck als ob die Ursache für die griechischen Misere bei den Finanzmärkten zu suchen sei. Tatsächlich war es aber wohl die mangelnde Konkurrenzfähigkeit Griechenlands, das sich über Jahre hinweg extreme Lohnsteigerungen genehmigt hat. Das hat zum Verlust der Wettbewerbsfähkeit und zu Finanzmarktreaktionen geführt. An der schlechten Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands trifft Deutschland freilich auch eine Mitschuld.

Was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Griechenlands betrifft so muss man leider feststellen, dass Griechenland immer noch zu hohe Löhne hat: Griechenland hat trotz der hohen Arbeitslosigkeit ein Aussenhandelsdefizit. Bei höherer Beschäftigung (die zu höheren Importen führt aber die Exporte nicht berührt) wäre das Aussenhandelsdefizit entsprechend größer. Varoufakis hat noch nicht einmal angedeutet, wie er das Problem bekämpfen will, das er natürlich kennt. Mit expansiven Massnahmen (die er oft befürwortet) ließe sich das Problem wohl nur durch regionale Lohnindexierung oder ähnliches beseitigen. Sonst müsste man mit deutlichen Lohnsteigerungen und einer abermaligen Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands rechnen.

Bei Spanien und Italien ist das völlig anders. Beide Länder erwirtschaften, anders als Griechenland,  mittlerweile Aussenshandelsüberschüsse, was für ihre Wettbewerbsfähigkeit spricht:

Aussenhandelsüberschüsse von Griechenland, Italien und Spanien. Dies sind die absoluten Werte. Es ist zu beachten dass Griechenland deutlich kleiner ist als Spanien und Griechenland. Relativ gesehen ist sein Aussenhandelsdefizit mithin wesentlich höher. Quelle: Ameco


So kritisch ich der Austeritätspolitik gegenüberstehe, so muss ich doch sagen, dass eine Abkehr von der Austeritypolitik notwendig macht,  die absehbaren unerwünschten Nebenwirkungen unter Kontrolle zu halten. Die griechische Regierung scheint sich darüber, soweit ich informiert bin, keine Gedanken zu machen. Damit ist, selbst bei völligem Schuldenerlass, bei Beschäftigungssteigerungen die nächste Krise vorprogrammiert.

Dienstag, 9. Juni 2015

Der Haustarifvertrag bei der Post

Das Handelsblatt schreibt zum Poststreik:
Entzündet hatte sich der Konflikt an der Ankündigung des Bonner Konzerns, Tausende neue Stellen zu schaffen – allerdings in 49 neuen Gesellschaften, für die niedrigere Löhne als im Konzern gelten. Die neuen Firmen orientieren sich an den Tarifverträgen der Logistik-Branche. Verdi will die Post mit dem unbefristeten Streik zwingen, dass auch bei den Tochterunternehmen der höhere Haustarif gezahlt wird.
In Deutschland haben wir üblicherweise Flächentarifverträge -- also Tarifverträge, die für alle Beschäftigten in einer Branche in einem Tarifgebiet gelten. Die Post macht hier eine Ausnahme: Sie hat einen Haustarifvertrag, der nur für die Beschäftigten der Post gilt.

Derartige Haustarifverträge sind volkswirtschaftlich problematisch, weil sie typischerweise wesentlich andere -- wesentlich günstigere -- Entgeltregelungen  bieten als die entsprechenden Flächentarifverträge. Das verletzt das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" und führt zu volkswirtschaftlich ineffizienter Lohnbildung. Ich habe das hier für die Billiglohnkonkurrenz erklärt, die Überlegung gilt aber auch umgekehrt: Wenn die Post höhere Personalkosten als ihre Mitbewerber hat, aber ansonsten über eine überlegene Technologie und Organisation verfügt, kann sie vom Markt verdrängt werden und die Mitbewerber, die höhere volkswirtschaftliche Kosten verursachen (gleiches Personal, teurere Technik und Organisation) können sich im Markt halten. Um das zu vermeiden, sollte für alle Konkurrenten der gleiche Tarifvertrag gelten. Der Haustarif der Post sollte mithin abgeschafft werden und  die Post sollte zu dem (ebenfalls von Verdi ausgehandelten) Tarif bezahlt werden, der für alle anderen Mitbewerber ebenfalls gilt.

Das System der Flächentarifverträge ist sowohl unter Effizienz- als auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten sinnvoll. Ich verstehe nicht, warum die Gewerkschaften, die das immer wieder zu Recht betonen, im Einzelfall, wie hier bei der Post oder auch bei Volkswagen, dennoch das ungerechte System der Haustarifverträge verteidigen, sogar mit Streik. Das gefährdet das System der Flächentarifverträge ebenso wie wenn die Fluglotsen, die Lokführer oder die Krankenhausärzte versuchen, aus diesem System auszubrechen. Ein solches Verhalten ist verantwortungslos und schadet der Allgemeinheit.