Sonntag, 18. Oktober 2015

Die Reservearmee der Überqualifizierten

Im Zuge der Flüchtlingskrise werden Forderungen laut, den Mindestlohn für die Flüchtlinge abzuschaffen. Die Flüchtlinge seien überwiegend nur gering qualifiziert. Deshalb würden sie nur Einstellung finden, wenn sie billiger wären als die heimischen Arbeitskräfte.

Das Argument übersieht, dass wir eine massive und stetig zunehmende Überqualifikation in nahezu allen Segmenten des Arbeitsmarktes vorfinden: Leute mit abgeschlossener Berufsausbildung arbeiten in Tätigkeiten, für die ein solcher Abschluss nicht erforderlich ist, Leute mit akademischem Abschluss arbeiten in Tätigkeiten, für die kein akademischer Abschluss erforderlich ist, usw. - bis hin in den Niedriglohnbereich, in dem viele arbeiten, die über die gleiche Qualifikation verfügen wie Arbeitskräfte im regulären Arbeitsmarkt.

Das Überqualifikationsphänomen zeigt sich besonders deutlich im Kunjunkturverlauf: Bei guter Konjunktur ist die Durchschnittsqualifikation der Neueinstellungen deutlich geringer als bei schlechter Arbeitsmarktlage, obwohl die Arbeitskräfte die gleichen Tätigkeiten ausführen. Dies ist in einer groß angelegten Untersuchung festgestellt wurde. Das Phänomen der steigenden Überqualifikation hat natürlich Ursachen, die man nicht einfach wegwünschen kann, wie ich in einem Beitrag dargelegt habe, in dem sich auch einige Graphiken zur steigenden Überqualifikation finden.

Bei den vorhandenen Beschäftigten finden sich also massive Qualifikationsreserven, die man durch Nachfrageexpansion nutzen kann. Dann werden im Bereich der Tätigkeiten mit hohen Qualifikationsanforderungen mehr Kräfte gebraucht, die aus dem Pool der Überqualifizierten im niedrigeren Arbeitsmarktsegment rekrutiert werden können. In diesem zweiten Segment werden dann zusätzlich Beschäftigte benötigt, die aus den 3. Segment eingestellt werden können, und so weiter. Letztlich werden dann im Bereich der Tätigkeiten, die nur geringe Qualifikation benötigen, Stellen für gering qualifizierte Bewerber frei.

Das Problem dabei ist aber, dass eine solche Nachfrageexpansion zu Lohnsteigerungen in allen Arbeitsmarktsegmenten führt, denn die Unternehmungen werden auf eine Verknappung des Arbeitsangebotes, wie es dann ja in allen Segmenten auftritt gleichzeitig mit einer Senkung der Einstellungsanforderungen und einer Erhöhung der Lohngebote reagieren. Die Senkung der Einstellungsanforderungen ist O.K., denn sie ermöglicht die Einstellung der Überqualifizierten aus dem darunter liegenden Segment, die vorher diesen Anforderungen nicht genügt haben, Die Lohnsteigerungen führen aber zu Kostensteigerungen und damit zu Preissteigerungen. Dies ist zwar in der gegenwärtigen Konjunktursituation erwünscht, kann aber in anderen Konjunkturlagen durch Lohnindexierung aufgefangen werden, wie ich hier dargelegt habe.


Kurz: Die Gegner des Mindestlohnes wärmen nun ihre Doktrin mit Hinweis auf den Zustrom der Flüchtlinge auf. Der grundlegende Fehler, von dem sie nicht ablassen, liegt darin, die Einstellungsanforderungen für die verschiedenen Teilarbeitsmärkte als technologisch-organisatorisch fixierte Größen zu betrachten und die Teilarbeitsmärkte als separate Märkte, analog zu separaten Märkten für verschiedene Güter, anzusehen. Das ist falsch. Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Teilarbeitsmärkten ergibt sich daraus, dass es sich bei den Einstellungsanforderungen ebenso wie bei der Lohnbildung um Marktphänomene handelt, die auf Änderungen von Knappheiten reagieren und die eben auch  Ineffizienzen, wie etwa die Reservearmee der Überqualifizierten, hervorbringen.

Donnerstag, 1. Oktober 2015

Warum Sozialberufe schlechter bezahlt werden

Beim drohenden Kita-Streik oder seiner Abwendung wird von den Beschäftigten in den Bildungs-, Sozial- und Erziehungsberufen eine Aufwertung und Höherbezahlung angestrebt. In der Tat ist die Bezahlung im Vergleich zu anderen Tätigkeiten recht gering (Erzieher 2228 €, Wartungs- und Servicetechniker im Maschinenbau 3282 €). Woran liegt das?

Eine Antwort wäre: Frauendiskriminierung, denn der Frauenanteil in den Care-Berufen, wie man diese kurz bezeichnen könnte, ist sehr hoch. Aber eine solche Antwort verschiebt nur die Problematik auf die Frage, warum Frauen schlechter bezahlt werden als Männer.

Ich denke aber, dass der hohe Frauenanteil nur eine der Ursachen für die Geringbezahlung von Care-Tätigkeiten ist. Selbst wenn der Männeranteil in diesen Berufen genauso hoch wäre wie anderswo, würde ich eine geringere Bezahlung der Care-Berufen erwarten, einfach deshalb, weil der  Wirkungsmechanismus, der zur Frauendiskriminierung führt, nicht auf der Unterscheidung Frauen/Männer beruht, sondern auf Verhaltensweisen, die zwar mit dem Geschlecht, aber auch mit anderen Dingen, wie etwa den Präferenzen, wie sie sich bei der Berufswahl ausdrücken, korrelieren. Ich habe das in meinem Artikel ausführlich dargelegt. Dieser Artikel ist jedoch für Fachwissenschaftler geschrieben und für das allgemeine Publikum wahrscheinlich eher unverständlich. Deshalb hier ein Versuch, das Kernargument für Laien verständlich darzulegen.

Der Grundgedanke ist, dass die Lohnreagibilität des Arbeitsangebots von zentraler Bedeutung für die Lohnbildung ist. Der Begriff "Lohnreagibilität" bezieht sich dabei auf das Ausmass, in dem Arbeitskräfte auf die Unterschiede von Lohnangeboten zu reagieren. Manche Arbeitskräfte legen mehr Gewicht auf das erzielbare Einkommen und das damit verbundene soziale Prestige, andere legen mehr Gewicht auf andere Jobattribute, wie etwa Nähe zum Wohnsitz, günstige Arbeitszeiten, Freude an der Tätigkeit selbst, oder die gesellschaftliche Bedeutung ihrer Tätigkeit. Das führt zu Unterschieden bei der Lohnreagibilität zwischen verschiedenen Gruppen von Beschäftigten.

Betrachten wir zunächst wie die Lohndiskriminierung von Frauen gegenüber Männern mit der unterschiedlichen  Lohnreagibilität von Frauen und Männern zusammenhängt. Bei der herkömmlichen sozialen Rollenverteilung sind die Frauen in stärkerem Ausmaß für die Kinder und den Haushalt verantwortlich. Deshalb werden Frauen auf nicht-monetäre Jobattribute, wie etwa Nähe zum Wohnsitz, familienfreundliche Arbeitszeiten oder auch das Vorhandensein von betrieblicher Kinderbetreuung, mehr Wert legen als Männer. Sie werden deshalb weniger lohnreagibel sein als die Männer.

Für die Lohnsetzung der Unternehmung spielt aber die Lohnreagibilität eine zentrale Rolle. Bei hoher Lohnreagibilität wird ein höheres Lohngebot zu einem großen Zuwachs von Bewerbern führen. Das ermöglicht der Unternehmung dann, die besten der Bewerber auszuwählen und so eine bessere Belegschaft zu erhalten als die Konkurrenz, die weniger zahlt. Das gilt aber auch für die konkurrierenden Unternehmungen. Letztlich bildet sich in dem Bemühen um wechselseitiges Überbieten der Unternehmungen bei den Lohngeboten zwecks wechselseitiger Verbesserung der Auswahlmöglichkeiten bei den Mitarbeitern ein Lohnniveau, das höher ausfällt als bei geringer Lohnreagibilität der Bewerber als Gruppe betrachtet. Entsprechend würden die Unternehmungen ohne Diskriminierungsverbot die weiblichen Bewerbern weniger bieten als den Männern.

Mit Diskriminierungsverbot muss man mit dem gleichen Argument erwarten, dass Tätigkeiten, in denen der Frauenanteil höher ist als in anderen, die Frauendiskriminierung bei der Entlohnung entsprechend ausgeprägter ist.

Dieses Argument gilt aber auch, wenn es nicht um die Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen geht, sondern um Verhaltensunterschiede, die zwischen Menschen bestehen, welche eine unterschiedliche Berufswahl treffen. Wenn diejenigen, die sich für bestimmte Berufe entscheiden, als Gruppe eine niedrigere Lohnreagibilität aufweisen als andere Gruppen, werden diese Berufe schlechter bezahlt werden. Wenn wir der Einfachheit halber bei den gängigen Stereotypen bleiben, werden deshalb die im Marketing  Tätigen  höher bezahlt werden als die im Care-Bereich, weil bei den Marketing-Typen die finanziellen Motive stärker im Vordergrund stehen als bei den Care-Typen, deren Motivationslage anders (eher "intrinsisch") ist.

Mit anderen Worten: Diejenigen, die mehr hinter dem Geld her als andere werden letztlich auch mehr verdienen, selbst wenn die Fähigkeiten und Tätigkeiten in jeder relevanten Hinsicht völlig gleichartig sind.

Dabei sollte angemerkt werden,  dass die höhere "Produktivität" der Marketing-Typen keine Rechtfertigung für deren höhere Entlohnung sein kann, denn die gemessenen "Produktivität" von Marketing-Typen wird allein deshalb höher sein als von Care-Typen, weil die Produkte von M-Typen aufgrund der höheren Lohnkosten teurer sind und damit die Wertschöpfung von M-Typen höher ist als die von C-Typen. Dies gilt auch dann, wenn Tätigkeiten beider Gruppen als solche absolut vergleichbar wären. Derartige Produktivitätsargumente sagen nichts über den volkswirtschaftlichen Nutzen von Lohnunterschieden; wenn diese auf Unterschieden in der Lohnreagibilität beruhen.

Ferner ist die Entlohnung, die sich auf diese Weise im freien Markt bildet, "ineffizient", denn unter rein ökonomischen Gesichtspunkten sollte gleiche Arbeit gleich entlohnt werden; die Lohnreagibilität sollte für die Lohnhöhe keine Rolle spielen. Ich habe das verschiedentlich, z.B. hier  und hier dargelegt.

Wirtschaftspolitisch kann man nur wenig gegen derartige Lohnunterschiede zwischen (plakativ gesprochen) Marketing- und Care-Bereich unternehmen.  Man kann jedoch durch eine hohe Progression der Lohn- und Einkommenssteuer die Fehlentwicklung abschwächen, denn ein Teil von höheren Lohngeboten würde dann wegbesteuert und die Lohnreagibilität würde, aus Sicht der Unternehmungen, vermindert. Auch eine Stärkung der kollektiven Lohnsetzung kann helfen, denn diese orientiert sich stark an Gerechtigkeitsgesichtspunkten, welche im Arbeitsmarkt typischerweise in ähnliche Richtung weisen wie Effizienzerfordernisse. Ich habe versucht, diesen Zusammenhang hier allgemeinverständlich darzulegen. 


Mittwoch, 15. Juli 2015

Maastricht ist obsolet

Im Zusammenhang mit der damaligen Diskussion um Griechenlands Schuldenprobleme hatte ich in einem Blog aus dem Jahre 2011 über Hirschmans Prinzip der verbergenden Hand und den Euro geschrieben:
Die Rettung des Euro scheint ... Kreativität zu erfordern. Ohne sie wird das Projekt wohl leider scheitern. Sture Regeln wie Maastricht bieten geradezu eine Garantie für ein solches Scheitern, aber Hirschman lässt uns hoffen.
Leider hat sich diese Hoffnung bisher nicht bewahrheitet. Das idiotische Prinzip, dass die Staatshaushalte unabhängig von der Beschäftigung ausgeglichen sein sollten, wird weiter verfolgt, mit der Konsequenz, dass Länder wie Griechenland, die unter hoher Arbeitslosigkeit leiden, durch Kürzung der Staatsausgaben die Arbeitslosigkeit weiter erhöhen müssen. Das führt zu Instabilität -- deshalb ist der europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt besser als Instabilitäts- und Stagnationspakt bezeichnet worden.

Die in den Maastricht-Kriterien und der Schuldenbremse manifestierte Obsession mit Haushaltsdefiziten beruht auf Theorien, die damals weite Verbreitung hatten aber inzwischen als überholt gelten müssen. Insbesondere war die Vorstellung bei vielen Ökonomen, dass Staatsausgaben stets Investitionen verdrängen und dass deshalb eine Einschränkung der Staatsausgaben zu mehr Investitionen führt. Das war früher schon falsch, auch wenn viele daran geglaubt haben, ist auch in Griechenland nicht eingetreten, und wohl keiner glaubt mehr daran. Selbst Schäuble und Gabriel sehen die Notwendigkeit einer Kreditaufnahme zur Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen und schlagen einen (recht teuren) Weg vor, wie man das Problem unter Umgehung der Schuldenbremse lösen kann. Billiger und einfacher und ehrlicher wäre, die Schuldenbremse abzuschaffen und durch eine vernünftige Regel zu ersetzen.

Ferner war zur Zeit Defizitobsession die irrtümliche Überzeugung vorherrschend, dass Marktwirtschaften relativ schnell zur Vollbeschäftigung zurückkehren. Deshalb ist verständlich, dass man das Potenzial einer Wirtschaft mit dem Bruttoinlandsprodukt gleichgesetzt und die Schuldenquote daran orientiert hat. Die Vorstellung einer schnellen Rückkehr zur Vollbeschäftigung hat auch beim Internationalen Währungsfonds nachgeklungen, als er die Geschwindigkeit, mit der Griechenland sich erholen würde, gründlich fehlprognostiziert hatte (wofür er sich dann später entschuldigt hat). Tatsächlich ist aber das potenzielle Brutoinlandsprodukt etwas anderes als das realisierte. Wenn man die Kreditaufnahme der einzelnen Euro-Länder regeln möchte um zu vermeiden, dass sich nicht ein Land letztlich auf Kosten der anderen Länder verschuldet, sollte man sich an diesem Potential orientieren und die Staatsausgaben und die Schuldenquote daran bemessen. Eine Orientierung an dem tatsächlichen Bruttoinlandsprodukt führt zu Instabiltät, wie man jetzt wieder gesehen hat. Eine Orientierung am potentiellen Bruttoinlandsprodukt ließe Raum für die "automatischen Stabilisatoren" - eben die zusätzlichen Ausgaben, die in Deutschland und anderswo bei Erhöhung der Arbeitslosigkeit automatisch erfolgen: zusätzlich Arbeitslosenunterstützung, zusätzliche Sozialausgaben, verringerte Steuereinnahmen. All das hat nach Ansicht vieler Ökonomen dazu geführt, dass die Finanzkrise in Europa zunächst nicht so brutal gewirkt hat wie in den USA. Was man mit der gegenwärtigen Austerity-Politik erreicht ist, dass man die automatischen Stabilisatoren abschafft und die Instabilität verschärft, nicht nur für Griechenland, sondern für die ganze Euro-Zone.

Für eine stabile Euro-Zone ist natürlich mehr erforderlich als eine solche Massnahme. Die einfache Ersetzung von "Bruttoinlandsprodukt" durch "potentielles Bruttoinlandsprodukt" in den relevanten Regelungen würde aber eine deutlich Verbesserung bringen und dürfte auch jedem Laien einleuchten.

 
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Samstag, 11. Juli 2015

Zum Tarifeinheitsgesetz

Wenn das Tarifeinheitsgesetz kippt, gibt es Extrawürste für diejenigen, die besonders viel Schaden stiften können. Ich würde für diesen Fall den EDV-Administratoren in Deutschland raten, einen Bund der Webmaster zu gründen. Eine solche Vereinigung wäre noch schlagkräftiger als die Pilotenvereinigung. Jeder Betrieb könnte durch die wenigen EDV-Verantwortlichen lahmgelegt werden - alle Flugplätze, Krankenhäuser. Elektrizitätswerke usw. würden nur noch funktionieren, bis der erste EDV-Störfall auftritt - und der ist unvermeidlich und kann auch bei entsprechend schlechter Dokumentation nicht von aussenstehenden EDV-Experten behoben werden..

Das Handelsblatt schreibt zum Tarifeinheitsgesetz:
Unmittelbar nach Inkrafttreten des umstrittenen Tarifeinheitsgesetzes haben mehrere kleine Gewerkschaften Verfassungsbeschwerde erhoben. Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund und die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit sehen das Streikrecht eingeschränkt und wollen das Gesetz mit dem Gang nach Karlsruhe kippen, wie die Organisationen am Freitag mitteilten.
Das Gesetz trat am Freitag in Kraft. Mit dem Gesetz kehrt Deutschland zum Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ zurück. Die Macht kleiner Spartengewerkschaften soll so eingeschränkt werden. Wenn zwei Gewerkschaften in einem Betrieb dieselben Arbeitnehmergruppen vertreten, gilt nur noch der Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern in dem Betrieb. Das Bundesarbeitsgericht hatte eine frühere Regelung zur Tarifeinheit im Juni 2010 für rechtswidrig erklärt.
Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts war bedauerlich - ein Sieg formaljuristischen Denkens über eine Regelung, die bis dahin alle fraglos als vernünftig und gerecht akzeptiert hatten. Wenn diese Rechtsprechung nicht durch das Tarifeinheitsgesetz oder ähnliches gestoppt wird, werden wir in Verhältnisse zurücktreiben, die vor Margaret Thatcher in England geherrscht haben und die sehr schädlich für die ganze englische Volkswirtschaft waren. Die Vereinigung der Elektriker war z.B., wenn ich mich richtig erinnere, ziemlich schlagkräftig. Wenige Elektriker in einem Automobilwerk konnten die ganze Fabrik lahmlegen. Entsprechend hoch waren die Lohnzugeständnisse, die sie erzielen konnten, und die andere Gewerkschaften dann auch erzielen wollten, nach dem Motto: "Wer am meisten Schaden stiften kann, verdient am meisten:" Das wäre dann keine produktivitätsorientierte Entlohnung, sondern Entlohnung gemäß dem Schadenpotenzial und hätte weitreichende Wirkung - bis hin zur Vermeidung von hochproduktiven, aber erpressungsempfindlichen Technologien seitens der Unternehmungen.

Dass das Streikrecht eingeschränkt ist sehe ich nicht. Die Mitglieder der kleinen Gewerkschaften können ja in die zuständigen Gewerkschaft gehen und solidarisch mit den anderen Kollegen ihre Forderungen durchsetzen, notfalls mit Streik. Das geht nur, wenn die Forderungen von allen Mitarbeitern akzeptiert werden. Extrawürste gibt es dann nicht. Volkswirtschaftlich wäre das sinnvoll, weil gerechte Lohnstrukturen tendenziell effizienter sind als die Lohnstrukturen, die sich frei am Markt bilden, wie man hier nachlesen kann. Weil kollektive Lohnbildung sich stark an Fairnessgesichtspunkten orientiert, ergibt sich unter Flächentarifverträgen eine gerechtere Lohnstruktur als in einem balkanisierten Arbeitsmarkt. (Ausserdem ist der Lohndruck insgesamt geringer, was aber im Augenblick in Europa ein Problem ist, weil die Lohnentwicklung in Deutschland zurückhaltender ist als im sonstigen Europa, wo es keine Flächentarifverträge gibt und weil die deutsche Regierung sich weigert, die notwendigen expansiven Massnahmen zu ergreifen um diesen Missstand zu korrigieren.)

Dass die kleinen Gewerkschaften in ihrer Existenz bedroht sind würde mich nicht stören, denn die kollektive Lohnsetzung funktioniert mit nicht zersplitterten Tarifparteien besser. Aber es stimmt wohl nicht. Die Lockführergewerkschaft rühmt sich, die älteste Gewerkschaft zu sein und hat auch über Jahrzehnte fortexistiert, als alle Lokführer Beamte waren und kein Streikrecht hatten.


Freitag, 10. Juli 2015

Paul Krugman zieht eine Lehre aus dem Griechenland-Drama

Paul Krugman zieht eine Lehre aus dem Griechenland-Drama, die leider für Griechenland nicht anwendbar ist:
Es ist mittlerweile klar, oder sollte klar sein, dass das Hilfsprogramm für Griechenland ohne Schuldenentlastung zum Scheitern verurteilt war, denn die Austerity lässt das Bruttoinlandsprodukt schneller schrumpfen als die Schulden, sodass die Schuldnerposition sich verschlechtern musste, ungeachtet dessen dass der angestrebte Budgetausgleich großes Leid nach sich zog.
Es gibt aber eine allgemeine Lehre aus dem Griechenland-Desaster, die für uns alle gilt -- und zwar nicht die übliche, dass wir unsere leichtsinninge Ausgabengewohnheiten aufgeben sollten wenn wir nicht eines Tages wie Griechenland dastehen wollen. Wir lernen vielmehr, dass die Kombination von Haushaltsrestriktion und stabiler Währung eine tödliche Mischung ergibt. Die Haushaltsrestriktion führt die Wirtschaft in Depression und Deflation; wenn dies mit einer stabilen Währung kombiniert wird (im Falle Griechenland der Euro, aber ein fester Wechselkurs, der Goldstandard oder eine obsessive Furcht vor Inflation tut's auch), ist das Ergebnis nicht einfach nur eine Deflation, sondern auch ein Anstieg der Schuldenquote.
Zum Vergleich kann man das beliebte Beispiel einer erfolgreichen Austritätspolitik anschauen, Kanada in den neunziger Jahren. Kanada begann mit eine Staatsschuldenquote von ungefä 100 Prozent, ungefähr so wie Griechenland zu Beginn der Finanzkrise. Kanada vollzog dann eine ziemlich große fiskalische Anpassung -- 6 Prozent nach dem Mass des Internationalen W#ährungsfonds für den strukturellen Saldo. Das ist ungefähr ein Drittel von dem, was Griechenland geschafft hat, aber größenmäßig durchaus vergleichbar mit den Restriktionsmaßnahmen anderer europäischer Schuldnerländer. Die Arbeitslosigkeit in Kanada verringerte sich stetig. Was war das Geheimnis Kanadas?
Die Antwort ist: Eine Politik des leichten Geldes und eine massive Abwertung des kanadischen Dollar. Diese Abwertung hat den kontraktiven Effekt der Austeritätspolitik aufgefangen und Wachstum ermöglicht ...
Für Griechenland im Euro ist das nicht möglich (außer mit regionaler Lohnindexierung, aber das ist wohl keine realistische Option - warum eigentlich?).  So können wir nur hoffen dass die von Juncker versprochenen Mittel aus dem Regional- und Strukturfonds und sein Konjunkturprogramm eine zusätzliche Nachfrage in Griechenland schaffen, die die kontraktiven Wirkungen der Austeritätsmassnahmen überkompensiert. Sonst stehen wir bald schlechter da als jetzt.

Vielleicht kann man aber auch durch Einflussnahme auf die kollektiven Lohnverhandlungen einiges bewerkstelligen. Die Eurogruppe könnte Richtlinien für die Lohnsteigerungen in den Mitgliedsländern ausgeben, um Fehlentwicklungen bei den Löhnen im Euroraum vermeiden. Man kann sich hier an den Target-Salden orientieren: Länder mit positivem Saldo sollten Lohnsteigerungen anstreben, Länder mit negativen Target-Salden sollten Lohnzurückhaltung bewerkstelligen, und die Tarifparteien sollten veranlaßt werden, diesen Richtlinien zu entsprechen. Auf jeden Fall: Deutschland verursacht hier ein größeres europäisches Problem als Griechenland. Es sollte sich schämen, von Griechenland Austerität einzufordern, welche ohne die massiv unsolidarische deutsche Lohnentwicklung nicht, oder jedenfalls nicht in diesem Ausmaß, erforderlich wäre.

Mittwoch, 8. Juli 2015

Martin Hellwig hält das Einfrieren der Notkredite an die griechischen Banken für weitgehend rechtswidrig

Einer der prominentesten deutschen Ökonomen, Martin Hellwig, hält das Einfrieren der Notkredite für außerordentlich problematisch, wenn nicht rechtswidrig. Sein Beitrag ist wirklich lesenswert! Er schreibt unter anderem:

Nach dem europäischen Vertrag ist die EZB für die Geldversorgung zuständig und für die Funktionsfähigkeit der Zahlungssysteme, auch in Griechenland. Damit ist das Einfrieren der Notkredite nicht zu vereinbaren ... Der Vertrag erlaubt der EZB auch nicht, ihre Macht über die Geldsysteme der Mitgliedstaaten zu nutzen, um ein Wohlverhalten der Regierungen gegenüber ihren Gläubigern oder den Gläubigern der Banken zu erpressen. Im Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof hat der Generalanwalt ausdrücklich gemahnt, die EZB solle mehr Abstand halten von den Verhandlungen über Schulden und Sparpolitik der Schuldnerländer.
Als mögliche Rechtfertigung für eine Drosselung der Gewährung von Notkrediten sieht Hellwig eigentlich nur den drohenden Grexit, der ja aber erst durch die Drosselung der Geldzufuhr bewerkstelligt wird:
Aber wenn doch der Grexit kommt? Dann gehen die Verbindlichkeiten der griechischen Zentralbank aus Target-Salden und Bargeldausgabe weitgehend verloren. Das Einfrieren der ELA-Kredite kann als Schutz gegen diese Möglichkeit gesehen werden, eine Art Notstandsmaßnahme in einer Situation, die im Vertrag gar nicht vorgesehen ist.
Bisher allerdings erklärt die griechische Regierung, dass sie den Grexit gar nicht will und sich nur gegen die Spardiktate aus Brüssel wehrt. Jedoch könnte der Grexit unvermeidlich werden, wenn die Geldzufuhr nach Griechenland weiter gestoppt wird. Ohne funktionsfähiges Geldsystem funktioniert auch die Wirtschaft nicht, und das Leben wird schnell unerträglich.
Bei diesem Teufelskreis fällt die Unterscheidung zwischen einer gerechtfertigten Notstandsmaßnahme und einer widerrechtlichen Erpressung schwer. Für viele Leute in anderen Ländern, nicht nur in Griechenland, ist die Antwort allerdings eindeutig. Um so schlimmer, dass die deutschen Protagonisten die Erpressungsinterpretation so glaubhaft machen.
Ich bin kein Geldtheoretiker wie Hellwig und kenne deshalb die genauen Bedingungen nicht unter denen ELA- Kredite gegeben werden dürfen. Hellwig ist aber für mich in dieser Frage eine deutlich glaubwürdigere Autorität als Weidmann, Sinn, oder Fuest, die von  Hellwig explizit kritisiert werden.

Ungeachtet all dessen: Wenn die Wahl zwischen Austerity und Grexit besteht, sollten die Griechen m.E. Grexit vorziehen. Leider hat Tsipras die Volksabstimmung als Wahl zwischen pro Euro mit Austerity und pro Euro ohne Austerity dargestellt. Das war m.E. in der vorhandenen Situation irreführend und es ist deshalb nicht eindeutig, wie die Wahl zwischen den tatsächlich bestehenden Alternativen Austerity und Grexit ausgefallen wäre. Wenn die Griechen tatsächlich den Euro ohne Austerity durchsetzen wollen, müssen sie versuchen, die anderen Eurostaaten von ihrer Haltung zu überzeugen. Zu dieser Überzeugungsarbeit haben sie bisher nicht viel beigetragen. Ich hatte mir ursprünglich insbesondere von Varoufakis vermittelnde und konstruktive Ideen erhofft.

(Ich bin durch  Heiner Flassbeck, auf den Artikel  von Martin Hellwig aufmerksam gemacht worden, der ursprünglich am 3. Juli im Handelsblatt veröffentlicht worden.)

Montag, 6. Juli 2015

Stiglitz hat einen guten Punkt

Von aussen betrachtet hat Varoufakis so verhandelt wie ein Spieltheoretiker, der die Spielsituation als Feiglingsspiel deutet. (Das impliziert wechelseitige Erpressung.)  Die Troika, und insbesondere die deutsche Seite, hat das Spiel immer als Kettenladen-Spiel aufgefasst. (Eine andere Form der Erpressung.) Kein Wunder, dass die Verhandlungen geplatzt sind. Ich habe früher einmal auf das Problem hingewiesen, halte aber die ganze spieltheoretische Sichtweise von Verhandlungen für irreführend, was man hier nachlesen kann.

Joseph Stiglitz hat aber den guten Punkt gemacht, dass die Kettenladen-Interpretation abwegig ist:
Diejenigen, die von den Rettungsprogrammen profitiert haben (die deutschen und die französischen Banken im Falle Griechenland) bringen normalerweise das Argument ins Spiel, dass eine Umschuldung zu einem Moral-Hazard-Problem führt. Sie behaupten, dass Fehlanreize geschaffen würden; andere Schuldner würden veranlasst werden, ihre Verschuldung zu "mißbrauchen" indem sie nicht zurückzahlen. Aber dieses Problem ist ein Märchen. Sowohl Argentinien als auch Griechenland hatten bereits zum Zeitpunkt ihres Bankrotts einen sehr hohen Preis für ihre Verschuldungsprobleme zahlen müssen. Kein Land der Welt würde dem mit Freude folgen.

Donnerstag, 2. Juli 2015

Paul Krugman würde gegen das Angebot der Institutionen stimmen

Paul Krugman:
Ich würde nein stimmen, aus zwei Gründen. Erstens, und ungeachtet dessen dass jeder wie ich selbst auch Angst vor ein Ausstieg aus dem Euro hat, fordert die Troika dass die Politik der letzten fünf Jahre unbegrenzt fortgesetzt wird. Welche Hoffnung bleibt da noch? Vielleicht, wirklich nur vielleicht, könnte die Bereitschaft, den Euro aufzugeben ein erneutes Nachdenken anstoßen; aber wahrscheinlich eher nicht. Aber wie dem auch sei, eine Abwertung kann nicht mehr Chaos bringen als bereits existiert und würde den Weg für eine wirtschaftliche Erholung vorbereiten, wie anderswo. Griechenland ist nicht so anders.
Zweitens sind die politischen Wirkungen einer Zustimmung ausgesprochen beunruhigend. Die Troika hat einen umgekehrten Corleone hingelegt - sie haben Tsipras ein Angebot gemacht das er nicht annehmen konnte, und wahrscheinlich waren sie sich dessen voll bewusst. Insofern war das Ultimatum letztlich ein Schachzug mit dem Ziel, die Griechische Regierung zu stürzen und durch eine neue zu ersetzen. Selbst wenn man Syriza nicht mag, muss das für jeden befremdlich sein der  europäische Ideale vertritt.
Ich muss sagen dass ich diese Position schlüssig finde und dass ich ebenso mit nein stimmen würde, wäre da nicht das von Juncker in Aussicht gestellte Konjunkturprogramm und die Strukturhilfen von 32 Milliarden Euro über 4 1/ Jahre aus dem Regional-und Strukturfonds, von denen Krugman möglicherweise nichts weiß. Ich denke deshalb, dass ein Ausstieg Griechenlands kurzfristig wesentlich schmerzhafter für Griechenland wäre als ein Verbleib mit Austerity, aber mit diesem Konjunkturprogramm und diesen Strukturhilfen. Das wäre dann, jedenfalls bei Erfolg, ein Muster auch für die anderen Länder, denen man dann auf gleiche Weise helfen müsste. Deshalb würde ich mit ja stimmen, auch wenn dies die langfristigen Probleme nicht löst. Aber vielleicht findet sich dafür, nachdem das klar ist, auch eine Lösung.

Mittwoch, 17. Juni 2015

Krugman zu Austerity in Griechenland

Im Februar, kurz nach der griechischen Parlamentswahl, hat sich Paul Krugman sehr vernünftig zur Austerity-Politik in Griechenland geäussert:





Es bestand [vor dem Beginn des ersten Rettungspakets und der durch die Troika erzwungenen Restriktionspolitik]  Einigkeit darin, dass Griechenland seine Lohnkosten und andere Kosten relativ zu den entsprechenden Kosten in der Eurozone reduzieren musste. Das hätte schnell und ohne die Notwendigkeit hoher Arbeitslosigkeit geschehen können wenn Griechenland eine eigene Währung gehabt hätte die hätte abgewertet werden können, wie das in  Island der Fall gewesen war. Mit der Mitgliedschaft in der Eurozone musste Griechenland eine Weile  Unterbeschäftigung akzeptieren um das Lohnwachstum zu reduzieren.
 
Es bestand aber die Frage wie schnell dies geschehen sollte. Das folgende schematische Bild illustriert das:








Griechenland musste seine Löhne [Wages, y-Achse] auf einen Pfad bringen, der langfristig aufrecht erhalten werden kann [Sustainable Path, punktierte Linie]. Dieser dauerhaft mögliche Pfad steigt über die Zeit [Time, x-Achse] wegen der Inflation im Rest der Eurozone an. (Es ist dabei natürlich wichtig, dass diese Inflation hoch genug ist.) Es bleibt aber die Frage, wie schnell diese Anpassung erfolgen sollte. Der Plan A beschreibt die Schocktherapie  mit hoher Arbeitslosigkeit und Deflation. Bei Plan B muss die Arbeitslosigkeit nur so hoch sein, dass die Löhne nicht steigen.

Plan A verursacht Schmerzen besonders am Anfang, aber sind die Gesamtschmerzen, gemessen z.B. durch die Zeit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit, in den beiden Fällen gleich?

Wenn die Phillips-Kurve linear ist so dass ein Prozentpunkt Arbeitslosigkeit die Lohninflation immer um den gleichen Betrag reduziert, wäre die Antwort: Ja. Es gibt aber überwältigende Evidenz dafür dass die Phillipskurve NICHT linear ist und bei hoher Arbeitslosigkeit nahezu flach verläuft, wegen der Lohnstarrheit nach unten.

Das bedeutet, dass Plan A nicht einfach die Anpassungskosten nach vorn verlagert. Er verursacht wesentlich mehr Gesamtschmerzen, auch wenn er zeitlich kürzer wirksam ist, denn er trifft auf wesentlich stärkeren Widerstand gegen tatsächliche Lohnkürzungen gegenüber einfacher Lohnzurückhaltung. 

Deshalb hätte Griechenland einen Großteil seines Albtraumes vermeiden können, wenn es seine eigene Währung gehabt hätte; aber es hätte einen wesentlich weniger schrecklichen Albtraum durchleiden müssen wenn die Euro-Austerität weniger extrem und die Anpassung langsamer gewesen wäre.
Das alles gilt nach wie vor, nur nicht mehr in so extremer Form wie zu Beginn des ersten Rettungspakets, denn ein Großteil der notwendigen Lohnanpassung ist tatsächlich mittels der Schocktherapie bereits erfolgt, allerdings zu den von Krugman erwähnten immensen Kosten. Ich würde hinzufügen, dass es auch andere Möglichkeiten der Lohnkontrolle gibt als die Arbeitslosigkeit, die bei Krugman fraglos als erforderlich dargestellt wird. Griechenland hätte die Vorteile einer eigenen Währung auch bei Beibehaltung des Euro realisieren können, wenn man meinem Vorschlag von 2011 gefolgt wäre und eine regionale Lohnindexierung zur Lohnkontrolle eingeführt hätte.

Sonntag, 14. Juni 2015

Tsipras Besorgnis um die griechischen Renten ist wohl vorgeschoben

Tsipras weigert sich, den Wünschen der Institutionen nach Rentenkürzungen zu entsprechen. Die Sorge um die griechischen Rentner ist aber wohl vorgeschoben. Die griechischen Renten sind nicht schlecht:


Quelle: Die Welt, http://www.welt.de/wirtschaft/article138674711/Geldgeber-halten-griechische-Renten-fuer-zu-hoch.html

Bei einem Grexit müssen die Renten auf Drachmen umgestellt werden. Ihre Kaufkraft wird entsprechend fallen. Bei Rentenkürzung nach Vorstellung der Institutionen geht die Kaufkraft der Renten ebenfalls zurück. Es ist aber zu bezweifeln, dass die griechischen  Rentner nach einem Grexit besser dastehen als nach einer Rentenkürzung gemäß den Wünschen der Institutionen  bei Beibehaltung des Euro.

Deshalb, so scheint mit, ist das Argument vorgeschoben. M.E. gibt es zwei Möglichkeiten:

1. Tsipras sorgt sich tatsächlich um die Renten und will den Euro nicht verlassen. Er versucht nur, das beste herauszuholen. Dann wird er im Schuldenstreit letztlich nachgeben und Rentenkürzungen entsprechend den Forderungen der Institutionen akzeptiern,  gleichgültig wie die Forderungen sind.

2. Tsipras will gar keine Einigung, schert sich einen Dreck um die griechischen Renten und will  lediglich die Guthaben der wohlbetuchten Griechen bei der Europäischen Zentralbank, wie sie sich durch Geldabflüsse tagtäglich anhäufen, möglichst groß machen, gleichgültig wie die Forderungen der Institutionen sind. Dies ist die Vermutung meines Kollegen Hans Werner Sinn (mit dessen Einschätzungen ich oft nicht übereinstimme, aber in diesem Fall sehe ich diese Möglichkeit ebenfalls).  Dann wird Tsipras sich auf keine Einigung einlassen. Das wieder neu aufgetauchte Verlangen nach einem Schuldenschnitt deutet in diese Richtung.

Der Internationale Währungsfonds sieht sie Sachlage wohl richtig. Wir werden in Kürze sehen, welche der beiden Möglichkeiten zutrifft.

Nachtrag (15.6.2015): Der Internationale Währungsfonds besteht auf einer Reduktion der Summe der Rentenzahlungen um 6.25 %. Dabei könnten die niedrigen Renten unverändert bleiben wenn die höheren Renten entsprechend stärker gekürzt würden.

Mittwoch, 10. Juni 2015

Tsipras über Griechenland, Spanien und Italien


Spiegel Online berichtet:

Im Interview mit der italienischen Tageszeitung "Corriere della Sera" erinnerte Tsipras noch einmal an ein viel drastischeres Szenario: "Es wäre der Anfang vom Ende der Eurozone", erklärte er. "Wenn Griechenland ausscheidet, sehen sich die Märkte sofort nach dem nächsten Kandidaten um." Spanien und auch Italien würden angesichts ihrer enormen Verschuldung sofort unter großen Druck geraten. Der Preis, den die europäischen Steuerzahler dann zu entrichten hätten, sei extrem groß.

Was soll soetwas?  Die Aussage erweckt den falschen Eindruck als ob die Ursache für die griechischen Misere bei den Finanzmärkten zu suchen sei. Tatsächlich war es aber wohl die mangelnde Konkurrenzfähigkeit Griechenlands, das sich über Jahre hinweg extreme Lohnsteigerungen genehmigt hat. Das hat zum Verlust der Wettbewerbsfähkeit und zu Finanzmarktreaktionen geführt. An der schlechten Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands trifft Deutschland freilich auch eine Mitschuld.

Was die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Griechenlands betrifft so muss man leider feststellen, dass Griechenland immer noch zu hohe Löhne hat: Griechenland hat trotz der hohen Arbeitslosigkeit ein Aussenhandelsdefizit. Bei höherer Beschäftigung (die zu höheren Importen führt aber die Exporte nicht berührt) wäre das Aussenhandelsdefizit entsprechend größer. Varoufakis hat noch nicht einmal angedeutet, wie er das Problem bekämpfen will, das er natürlich kennt. Mit expansiven Massnahmen (die er oft befürwortet) ließe sich das Problem wohl nur durch regionale Lohnindexierung oder ähnliches beseitigen. Sonst müsste man mit deutlichen Lohnsteigerungen und einer abermaligen Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands rechnen.

Bei Spanien und Italien ist das völlig anders. Beide Länder erwirtschaften, anders als Griechenland,  mittlerweile Aussenshandelsüberschüsse, was für ihre Wettbewerbsfähigkeit spricht:

Aussenhandelsüberschüsse von Griechenland, Italien und Spanien. Dies sind die absoluten Werte. Es ist zu beachten dass Griechenland deutlich kleiner ist als Spanien und Griechenland. Relativ gesehen ist sein Aussenhandelsdefizit mithin wesentlich höher. Quelle: Ameco


So kritisch ich der Austeritätspolitik gegenüberstehe, so muss ich doch sagen, dass eine Abkehr von der Austeritypolitik notwendig macht,  die absehbaren unerwünschten Nebenwirkungen unter Kontrolle zu halten. Die griechische Regierung scheint sich darüber, soweit ich informiert bin, keine Gedanken zu machen. Damit ist, selbst bei völligem Schuldenerlass, bei Beschäftigungssteigerungen die nächste Krise vorprogrammiert.

Dienstag, 9. Juni 2015

Der Haustarifvertrag bei der Post

Das Handelsblatt schreibt zum Poststreik:
Entzündet hatte sich der Konflikt an der Ankündigung des Bonner Konzerns, Tausende neue Stellen zu schaffen – allerdings in 49 neuen Gesellschaften, für die niedrigere Löhne als im Konzern gelten. Die neuen Firmen orientieren sich an den Tarifverträgen der Logistik-Branche. Verdi will die Post mit dem unbefristeten Streik zwingen, dass auch bei den Tochterunternehmen der höhere Haustarif gezahlt wird.
In Deutschland haben wir üblicherweise Flächentarifverträge -- also Tarifverträge, die für alle Beschäftigten in einer Branche in einem Tarifgebiet gelten. Die Post macht hier eine Ausnahme: Sie hat einen Haustarifvertrag, der nur für die Beschäftigten der Post gilt.

Derartige Haustarifverträge sind volkswirtschaftlich problematisch, weil sie typischerweise wesentlich andere -- wesentlich günstigere -- Entgeltregelungen  bieten als die entsprechenden Flächentarifverträge. Das verletzt das Prinzip "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" und führt zu volkswirtschaftlich ineffizienter Lohnbildung. Ich habe das hier für die Billiglohnkonkurrenz erklärt, die Überlegung gilt aber auch umgekehrt: Wenn die Post höhere Personalkosten als ihre Mitbewerber hat, aber ansonsten über eine überlegene Technologie und Organisation verfügt, kann sie vom Markt verdrängt werden und die Mitbewerber, die höhere volkswirtschaftliche Kosten verursachen (gleiches Personal, teurere Technik und Organisation) können sich im Markt halten. Um das zu vermeiden, sollte für alle Konkurrenten der gleiche Tarifvertrag gelten. Der Haustarif der Post sollte mithin abgeschafft werden und  die Post sollte zu dem (ebenfalls von Verdi ausgehandelten) Tarif bezahlt werden, der für alle anderen Mitbewerber ebenfalls gilt.

Das System der Flächentarifverträge ist sowohl unter Effizienz- als auch unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten sinnvoll. Ich verstehe nicht, warum die Gewerkschaften, die das immer wieder zu Recht betonen, im Einzelfall, wie hier bei der Post oder auch bei Volkswagen, dennoch das ungerechte System der Haustarifverträge verteidigen, sogar mit Streik. Das gefährdet das System der Flächentarifverträge ebenso wie wenn die Fluglotsen, die Lokführer oder die Krankenhausärzte versuchen, aus diesem System auszubrechen. Ein solches Verhalten ist verantwortungslos und schadet der Allgemeinheit.

Montag, 6. April 2015

Der IWF sollte sich mal die deutsche Schuldenbremse vornehmen





Deutschland verfügt fiskalisch über hinreichend Spielraum um öffentliche Investitionen zu erhöhen und insbesondere die Infrastruktur im Transportwesen zu verbessern. Im Gegensatz zu öffentlichem Konsum würde dies die deutsche Produktion nachhaltig erhöhen und positive und meßbare Wachstumswirkungen für den Rest des Euro-Raumes zeitigen.
Sie bemerken insbesondere, dass die öffentlichen Investitionen seit einiger Zeit unzureichend sind
Quelle: http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2014/cr14216.pdf, S. 21


und dass  sie deutlich erhöht werden sollten. Das könnte dann auch die Beschäftigung im Euroraum steigern und die deutschen Lohnkosten erhöhen, die um 5 bis 15% niedriger seien als für einen ausgeglichener Außenhandel erforderlich.

Das ist alles richtig, nur übersehen die Experten, dass sich die Deutschen mit der Schuldenbremse in dieser Hinsicht idiotischerweise die eigenen Hände gebunden haben. Aus laufenden Einnahmen und ohne Verletzung der Schuldenbremse lassen sich nennenswert vergrößerte  Infrastrukturmaßnahmen nicht finanzieren, wie sogar die Bundesminister Schäuble und Gabriel erkannt haben.

Mit anderen Worten: Der IWF sollte auf deutschen Maßnahmen zur Beseitigung globaler Ungleichgewichte bestehen  (Reduktion des deutscher Außenhandelsüberschusses von 7% des Bruttoinlandsprodukts, des größten weltweit)  und die Abschaffung der Schuldenbremse erzwingen. In Griechenland war der IWF auch nicht zimperlich.

Mittwoch, 1. April 2015

Zum Autobahnraub

Norbert Häring weist in einer Reihe von  Blogs (hier, hier, hier, hier, hier) darauf hin, dass die von Schäuble und Gabriel anvisierte Finanzierung der anstehenden Infrastrukturinvestitionen ein teurer Spaß ist, massive Fehlanreize schafft  und letzlich eine massive Subventionierung der Finanzindustrie  bedeutet. Ich habe ihm dazu folgende Anmerkung geschickt:

Sehr geehrter Herr Häring,

sie haben mit Ihren Bedenken völlig recht: Die Finanzierung und Durchführung dringender Infrastrukturinvestitionen wäre billiger und effizienter, wenn staatliche Stellen die Finanzierung, Planung, Ausschreibung und Durchführung übernehmen und überwachen würden. Das Problem dabei ist nur, dass dies nicht ohne staatliche Kreditaufnahme möglich ist, was die Schuldenbremse (und die Maastricht-Kriterien) verletzen würde.

Freitag, 6. März 2015

Zur Besteuerung von Erbschaften an Unternehmungen

Zur geplanten Reform der Erbschaftssteuer schreibt Die Welt
Die Pläne von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für eine Reform der Erbschaftssteuer könnten deutlich schärfer ausfallen als bisher erwartet. So sollen künftig mehr Firmenerben und Unternehmen nachweisen, dass sie die Erbschafts- oder Schenkungssteuer nicht verkraften, um vom Fiskus verschont zu werden. Wirtschaftsverbände sind entsetzt – und zweifeln an der Wirtschaftskompetenz der Union.
Ich verstehe dass die Erben eines Unternehmens oft finanziell überfordert sind, eine Steuer zu entrichten, die der Erbschaftssteuer entspricht, wie sie bei der Vererbung von einem entsprechenden Geldvermögen anfallen würde. Sie können solche Beträge typischerweise  nicht aus dem laufenden Geschäft abzweigen ohne die Weiterführung des Betriebes zu gefährden und müssen teure Kredite aufnehmen.

Sonntag, 1. März 2015

Eine Verscherbelbremse als Ergänzung zur Schuldenbremse

Die Schuldenbremse ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Wenn man sie nicht abschaffen kann, sollte sie deshalb, um die schlimmsten Fehlanreize zu vermeiden, durch eine Verscherbelbremse ergänzt werden. Die jetzige Formulierung in Artikel 115 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz lautet
 Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen.
Sie könnte etwa wie folgt ergänzt werden:
 Laufende Einnahmen und laufende Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Einnahmen, die aus der Veräußerung vn Staatseigentum entstehen, zählen nicht zu den laufenden Einnahmen und müssen investiert oder ertragbringend angelegt werden.
Allerdings wäre mir die entsprechend ergänzte Formulierung in der alten Fassung des Grundgesetzes aus verschiedenen Gründen lieber.

Montag, 23. Februar 2015

Die Schuldenbremse schafft Fehlanreize

Ich war immer gegen die Schuldenbremse, vor allem deshalb, weil die Schuldenbremse eine sinnvolle Konjunkturpolitik mittels Fiskalpolitik ausschließt. Das fand ich leichtsinnig. Konjunktursteuerung muss dann zwangsläufig über die Geld-und Zinspolitik erfolgen, was besonders im Niedrigzinsbereich nur schlecht funktioniert und außerdem  unter Allokationsaspekten sehr nachteilig ist. (Nur bei wenigen Industrien, etwa der Bauindustrie, ist die Nachfrage und die Beschäftigung signifikant zinsabhängig. Die Konjunktursteuerung erfolgt dann primär über diese Industrien und zieht dann andere Bereiche nach. Das verzerrt die Industriesstruktur.  Bei niedrigen Zinsen wird die Bauindustrie aufgebläht, bei hohen Zinsen bricht sie zusammen. Die anderen Industrien werden nur indirekt betroffen.  Es ist wie wenn man bei einem Auto nur ein Rad für Antrieb und Bremse nutzt.)

Die jetzige Entwicklung zeigt nun aber, dass nicht nur diese Probleme bei der Schuldenbremse bestehen, sondern dass die Schuldenbremse zudem massive Fehlanreize für die Politiker erzeugt.

Freitag, 20. Februar 2015

Der griechische Vorschlag

Ich halte die griechische Position für vernünftig. Die Austerity-Lösung ist nicht tragbar und nicht tragfähig und wurde den Griechen aufgezwungen. Es ist nur fair, der neuen griechischen Regierung ein paar Monate Zeit zu geben um eine bessere und, vor allem, langfristig tragfähige Lösung zu entwickeln, ohne Finanzierungstricks à la Schäuble. Die Griechen verlangen ja nur eine Überbrückung.

Ich hoffe also in diesem Fall auf einen Sieg der Vernunft über Schäuble. Mich stimmt dabei zuversichtlich, dass die Finanzwelt das gleiche Interesse haben dürfte. Sie wird Schäuble zu überzeugen wissen, und die Kanzlerin wird wohl (hoffentlich) auch in diese Richtung tendieren.

Donnerstag, 19. Februar 2015

Langzeit-Arbeitslosigkeit deformiert die Persönlichkeit

(Via Mark Thoma): Ein groß angelegte Studie über die Wirkungen von andauernde Arbeitslosigkeit über die Zeit zeigt, dass Arbeitslosigkeit nach einigen Jahren zu negativen Persönlichkeitsveränderungen führt, die dann auch die Wiedereinstrellungschancen reduzieren. Die Studie wurde von britischen Psychologen verfasst und basiert auf Daten über deutsche Arbeitslose.

Dienstag, 17. Februar 2015

Die Griechenland-Krise und das Chainstore-Paradox

Norbert Häring hatte die Verhandlungen der Euro-Gruppe mit Griechenland als ein Game of Chicken interpretiert und später als Poker gedeutet. Die Interpretation als Game of Chicken ist weit verbreitet, aber meines Erachtens nicht zutreffend. Das Game of Chicken geht so: Zwei Halbstarke fahren mit ihren Autos aufeinander zu. Wer zuerst ausweicht hat verloren. Bei den Verhandlungen mit Griechenland wird das so gedeutet, dass beide Parteien irgendeine Einigung besser ist als ein Scheitern der Verhandlungen und dass beide versuchen, nicht als erste nachzugeben.

Eine bessere spieltheoretische Analogie bietet aber Reinhard Seltens Chainstore-Paradox:  Eine Supermarktkette hat Filialen in einigen Orten und ist in jedem Monopolist. Wenn in einem dieser Orte ein Konkurrent einen Laden aufmacht, können beide Anbieter immer noch  Gewinn erzielen, aber der bisherige Anbieter würde seine Monopolposition verlieren und niedrigeren Gewinn erreichen als in der Monopolposition. Er kann den Marktzutritt des Konkurrenten aber durch Dumpingpreise verhindern oder ihn aus dem Markt drängen; dann würde er aber vorübergehend Verluste machen.

Jeder vernünftige Kettenladenbesitzer, so argumentiert Selten, würde sich für Dumping entscheiden, um die Dumping-Drohung für die anderen Orte glaubhaft zu machen und damit den Marktzutritt in den anderen Orten zu verhindern. Das ist aber spieltheoretisch irrational, wie in dem oben zitierten Wikipedia-Artikel sehr schön erklärt wird.

Auf Griechenland angewandt wird das von Thiess Büttner , dem Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats bei Finanzministerium, erläutert (via Norbert Häring):

Das Zugeständnis die bestehenden Vereinbarungen aufzugeben, würde aber die im Zuge der Eurokrise eingerichtete Sicherungsarchitektur beschädigen. ... Entscheidet sich die europäische Politik gegen eine Neuverhandlung und bliebe die griechische Regierung bei ihrer Haltung, käme es wegen der Ausfälle zwar zu einer erheblichen Belastung der Euroländer. Die Konditionalität des Hilfsprogramms bliebe aber unbeschädigt. ...  Können die mit Finanzhilfen verbundenen Vereinbarungen aber durch Druck einer Seite aufgegeben und nachverhandelt werden, würde die Glaubwürdigkeit dieses Systems nachhaltig beschädigt. 
Mit anderen Worten: Wenn Griechenland nachgegeben wird, werden andere Länder sich so verhalten wie Griechenland. Das insgesamt wird dann teurer als das Scheitern der  Verhandlungen mit Griechenland.

Der griechische Finanzminister Varoufakis kennt das. (Er bespricht das Chainstore-Paradox in seinem Buch über Spieltheorie auf S. 85.) Wir können also hoffen, dass er die Lage versteht, so schlimm sie ist, anders als sein Kollege Jannis Milios. Eine Lösung ist wohl nur denkbar, wenn eine Regel vorgeschlagen wird, die dann für alle Länder gleichermaßen gilt und unter den spezifizierten Bedingungen immer Anwendung finden kann. Die Verantwortlichen werden das wohl auch so sehen und hoffentlich zu einem derartigen Vorschlag kommen. Ich hatte in diesem Zusammenhang  eine regionalen Lohnindexierung vorgeschlagen, die die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands ohne Restriktionsmaßnahmen herstellen könnte und zugleich eine höhere Beschäftigung und damit höhere Steuereinnahmen ermöglichen würde.  Aber das ist nur ein Vorschlag von einem Ökonomen und politischen Laien.

Sonntag, 15. Februar 2015

Nahezu griechische Praktiken: Wolfgang Schäuble und Siegmar Gabriel wollen das staatliche Hauhaltsdefizit verstecken (auslagern) - zu sehr hohen Kosten


Bekanntermaßen hatten die Griechen ihre Staatsschulden vorübergehend  zu Goldmann-Sachs ausgelagert, zu sehr hohen Kosten, aber mit dem Effekt, dass diese Schulden aus dem Budget verschwanden und die Erfüllung der Konvergenzkriterien den Euro-Beitritt ermöglichte. Ähnliches, allerdings dauerhaft und in wesentlich größerem Maßstab, planen nun Schäuble, Gabriel und Dobrindt.

Das Prinzip ist einfach: Man möchte bestimmte Staatsausgaben, z.B. den Straßenbau,  mit Krediten finanzieren. Das ist an sich ein vernünftiges Anliegen, denn solche Investitionen lassen sich nicht aus den laufenden Einnahmen finanzieren. Eine Kreditfinanzierung  würde aber zu einer Erhöhung der staatlichen Kreditaufnahme führen und das zentrale Politikziel von Wolfgang Schäuble, die schwarze Null, unmöglich machen. Deshalb gründet man eine Unternehmung, die sich in Staatsbesitz befindet. Diese kann sich beliebig verschulden ohne dass das im Staatshaushalt aufscheint, da es sich ja um eine eigenständige Unternehmung handelt.

Genau das planen Schäuble, Gabriel und Dobrindt. Die Mittelbayerische Zeitung beschreibt das so:

In Zukunft könnten sämtliche Straßen des Bundes an eine Bundesfernstraßengesellschaft übertragen werden. Es geht dabei um nicht weniger als 12 917 Kilometer Autobahnen sowie 41 139 Kilometer Bundesstraßen. Die geplante Gesellschaft, die weiterhin in Bundesbesitz verbliebe, soll dann den kompletten Unterhalt dieses Straßennetzes übernehmen. Dafür bekäme sie allerdings keine Steuermittel aus dem Bundeshaushalt mehr, sondern müsste ihre Aufgaben aus Mauteinnahmen selbst finanzieren.
Darüber hinaus bestünde allerdings die Möglichkeit, notwendige Investitionen in die Bundesfernstraßen durch Kapital von privaten Investoren, etwa Versicherern, Banken, Fonds zu finanzieren. Dies könnte in Form von Krediten, Anleihen oder Genussrechten erfolgen.
Die Versicherungen sind begeistert. Wenn sie allerdings dieser staatlichen Bundesfernstraßengesellschaft Kapital zur Verfügung stellen, wollen sie natürlich Zinsen, das kann jeder verstehen, und diese wären durch den Besitzer der Gesellschaft, den Staat, garantiert. Die  Allianz denkt z.B. an 7% Rendite. 

Natürlich wäre es eine bessere Möglichkeit für alle (außer Allianz & Co.), wenn der Staat selbst Kredite zu 0,5% Zinsen für die Bundesfernstraßengesellschaft aufnimmt und diese der  Geselleschaft zu  1% Zinsen zur Verfügung stellt (statt der 7%, wie bei Allianz & Co.). Dann hätte die Bundesfernstraßengesellschaft geringere Kosten, der Staat hätte zusätzliche Einnahmen und die Autofahrer geringere Mautgebühren. Das gilt übrigens völlig unabhängig von dem augenblicklichen Zinsniveau, denn die Verzinsung von Staatspapieren ist immer geringer als die auf dem Kapitalmarkt herrschenden Zinsen, wegen des geringeren Risikos der Staatspapiere.

Bei der von Schäuble und Gabriel geplanten Auslagerung der Staatsschulden bekommen Allianz & Co. eine Verzinsung, wie sie für risikobehaftete Kredite marktüblich ist, die Kredite an die Bundesfernstraßenagentur sind jedoch durch den Staat verbürgt und damit risikofrei.  Ein gutes Geschäft für die Versicherungen auf Kosten der Autofahrer und der Steuerzahler! Wenn griechische Politiker soetwas machen würden, würde ich persönliche Vorteile der entscheidenden Politiker oder den Druck der Troika als Handlungsmotive im Hintergrund vermuten. In Deutschland haben wir aber keine Troika ... Oder anders ausgedrückt: Bisher habe ich von den dreien jedenfalls Wolfgang Schäuble für eine ehrliche Haut gehalten. Angesichts der Tatsache, dass dieses skandalöse Projekt verfolgt wird ohne dass ein Nutzen für die Bürger erwähnt wird (es gibt ja nur Kosten), rühren sich nun Zweifel.

Zur Erinnerung:  Im alten Grundgesetz hieß es in Artikel 115 Absatz 1 Satz 2
Die Einnahmen aus Krediten dürfen die Summe der im Haushalts­plan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht überschreiten; Ausnahmen sind nur zulässig zur Abwehr einer Störung des gesamt­wirtschaft­lichen Gleich­gewichts.
Diese sinnvolle Regel ist durch die Schuldenbremse ersetzt worden, die kreditfinanzierte Investitionen ausschließt. Statt die Schuldenbremse zu kippen, wollen Schäuble, Gabriel und Dobrindt die Schulden, die beim Straßenbau entstehen, in eine ausgelagerte staatliche Unternehmung verschieben.

Die Investitionsbremse namens Schuldenbremse sollte durch eine sinnvolle Regelung ersetzt werden, z.B. durch die alte Grundgesetzregelung, und  Schuldenbestimmungen im Vertrag von Maastricht sollten durch sinnvolle Regelungen ersetzt werden, die dann natürlich europäisch überwacht werden müssen.

Übrigens: Die Schuldenbremse und Maastricht sind nicht nur direkte Ursachen für die gegenwärtige Deflationsproblematik,  die Schuldenbremse schützt nicht einmal vor Inflation!

Nachtrag 16.2.2015: Norbert Häring hat Muster für ein Protestschreiben an Ihren Abgeordneten und einen Link zum Finden Ihres Abgeordneten ins Netz gestellt. Ich werde das verwenden.

Nachtrag 16.2.2015: Hier mein etwas umformulierztes Schreiben an meine Abgeordneten:
Betreff Neue Autobahnfinanzierung
Sehr geehrter Herr .... , bitte verhindern Sie als mein Wahlkreisabgeordneter, dass Allianz, Deutsche Bank, Ergo und andere Finanzunternehmen die Refinanzierungskosten für die überregionalen Straßenverkehrswege zur eigenen Gewinnsteigerung und zu Lasten des Steuerzahlers von 0,5% auf 3 - 5 % anheben. Dies würde eine unglaubliche Subventionierung dieser Unternehmungen zu Lasten der Steuerzahler und Autofahrer bedeuten und zudem die (unbestritten notwendigen) Staatsschulden auslagern und damit kaschieren. Mit freundlichen Grüßen Ekkehart Schlicht 

 Ihren Wahlkreisabgeordneten finden Sie hier.


Montag, 9. Februar 2015

Reallöhne in Griechenland, Deutschland und der Eurozone

Ich vermute dass die Ablehnung eines Schuldenschnittes nur ein Vorwand ist, um die griechische Politik zu disziplinieren und Griechenland konkurrenzfähig zu machen. Jedenfalls legen das Äußerungen wie die des Vizepräsidenten des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), nahe.
Sieht man das so, so war die Troika erfolgreich, jedenfalls bezüglich der Reallohnentwicklung:

Reallohnentwicklung seit 2001. Quelle: AMECO


Die Kosten für Griechenland in Form von Arbeitslosigkeit und den damit verbundenen Steuerausfällen waren enorm:

Arbeitslosigkeit in Prozent  Quelle: AMECO

Aber das Rezept hat funktioniert. Man kann aber auch sagen: "Dieses Massaker hat gebracht was es sollte." Allerdings: Es hat mehr als doppelt so lange gedauert und fast doppelt so hohe Arbeitslosigkeit gebracht als anvisiert. Aber das ist ja bei Massakern und Kriegen die Regel.

Das jetzige Ergebnis hätte man übrigens mittels regionaler Lohnindexierung schneller und direkter haben können -- ohne Beschäftigungseinbruch, Einbruch bei den Steuereinnahmen, Schuldenkrise und Troika, aber mir ist natürlich klar dass das unrealistisch ist. Die sehr kostspielige indirekte Lohnkontrolle über Arbeitslosigkeit wird aus irgendwelchen Gründen der direkten Kontrolle vorgezogen. Wenn man aber konventionellen Maßnahmen den Vorzug gibt, sollte man sich die Ratschläge des Direktors des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Dennis Snower, genau zu Herzen nehmen.


Übrigens illustriert die Abbildung über die Reallohnentwicklung oben sehr schön, wie Deutschland in der Euro-Zone aus der Reihe tanzt. Vielleicht sollte man für Deutschland auch eine Troika einrichten, die in Deutschland Lohnerhöhungen erzwingt. Mit regionaler Lohnindexierung für Deutschland könnte man das aber leichter erreichen -- marktkonformer und weniger interventionistisch.

Donnerstag, 5. Februar 2015

Griechenland sollte sich glaubhaft an seine Zusagen binden


Die Welt beschreibt das  Griechenland-Desaster, Stand 2010 und liefert ein wenig Vorgeschichte. Griechenlands Beitritt wurde durch betrügerische Angaben seitens Griechenlands ermöglicht. Die verantwortlichen europäischen Politiker haben weggesehen. Es gibt auch zu denken was nach dem Beitritt Griechenlands geschah:
Zwar bekam Athen nun viel Geld aus Brüssel, um seine Wirtschaft zu modernisieren. Doch Papandreou setzte stattdessen lieber populistische Wahlkampfversprechen um: Löhne und Sozialleistungen wurden kräftig erhöht. Die Arbeitskosten kletterten jährlich um 20 Prozent - weit schneller als die Produktivität. Vor allem aber führte Papandreou die griechische Tradition fort, Loyalität mit Staatsposten zu erkaufen. So ließ der Regierungschef an einem einzigen Tag im Dezember 1984 gleich 50.000 "außerordentliche Beamte" einstellen.
Nicht nur die griechischen Sozialdemokraten, sondern auch die griechischen Konservativen haben nach diesem Muster stets extrem unverantwortlich gehandelt. Griechische politische Unzuverlässigkeit ist kein bloßes Stereotyp, wie Paul Krugman denkt. Es resultiert nicht daraus, dass wir alle den Film Alexis Sorbas geshen haben, sondern spiegelt die Erfahrung wieder.  Wie können die Europäer sicher sein, dass Tsipras sich nicht ebenso verhalten wird wie Andreas Papandreou, wenn es darum geht, die nächste Wahl zu gewinnen?

Finanzminister Varoufakis ist Mitverfasser eines Buches über Spieltheorie, in dem auch über glaubhafte und unglaubhafte Versprechen geschrieben wird. Auf S. 116 findet sich (auf den Fall der Versprechung gekürzt) folgende Definition:
Ein Versprechen welches, wenn es gehalten wird, der Partei, die dieses Versprechen gemacht hat, mehr kostet als wenn sie das Versprechen verletzt, ist ein unglaubwürdiges Versprechen.
Es wird ihm nicht schwer fallen einzusehen, dass die Europäer ein solches glaubhaftes Versprechen verlangen (ein "credible commitment"). Vielleicht ist das aber auch nicht möglich, denn die gegenwärtige Krise ist wohl nur ein Symptom. Das grundlegende Problem in Griechenland sind die Löhne, und damit die Lohnkosten, die seit dem Beitritt viel zu stark gestiegen sind. Das hat die griechische Wettbewerbsfähigkeit untergraben.

Herr Varoufakis sollte sagen, wie er sich die notwendige Lohnanpassung nach unten  bei der geplanten Beschäftigungsexpansion vorstellt.

Ich persönlich denke, dass wir, wenn den Griechen einfach die Schulden gestundet werden, doch über kurz oder lang wieder vor den gleichen Problemen stehen werden wie jetzt, eben wegen der mangelnden Konkurrenzfähigkeit Griechenlands.

Das Problem ließe sich aber m.E. relativ leicht über regionale Lohnindexierung lösen. Wenn die Griechen sich einer solchen Lösung unterwerfen würden, wäre ihre Wettbewerbsfähigkeit ähnlich wie bei flexiblen Wechselkursen automatisch und ohne Lohndämpfung über Arbeitslosigkeit gesichert. Ansonsten müssten sie über kurz oder lang wieder mit hoher Arbeitslosigkeit zwecks "interner Devaluierung" rechnen.

Ein Einverständnis Griechenlands, einen solchen oder einen gleichwertigen Anpassungsmechanismus einzuführen würde die griechischen Absichten jedenfalls glaubhaft machen. Aber vielleicht findet Herr Varoufakis eine andere glaubhafte Lösung.

Um die nationale Würde Griechenlands nicht zu tangieren, sollte sich Deutschland ebenfalls einem solchen Mechanismus unterwerfen, denn es ist von der vereinbarten Entwicklung ebenso wie Griechenland abgewichen, allerdings in die andere Richtung und in geringerem Ausmaß. Weil Deutschland aber bezüglich der Wirtschaftsleistung viel größer ist als Griechenland, sind beide Abweichungen für Europa ähnlich abträglich. Durch Indexierung würden die Löhne in Deutschland automatisch steigen und die innereuropäischen Ungleichgewichte, über die sich die europäischen Partnerländer zu Recht beschweren, könnten so ebenfalls gemindert werden.

Nachtrag (10.2.2015) Nachdem ich dieses Blog geschrieben hatte habe ich mir die Entwicklung der Reallöhne in Griechenland angeschaut. Ich war davon ausgegangen, dass die Reallohnanpassung noch nicht ausreichend sei. Das ist aber nicht der Fall. Die Reallöhne sind auf ein Normalmaß zurückgeführt worden. Wenn es gelingt, die Binnennachfrage ohne große Lohnerhöhungen zu erhöhen ist eine Beschäftigungssteigerung wohl problemlos möglich. Das ist aber nur eine grobe Einschätzung. Ich werde mir bei Gelegenheit noch die Außenhandelszahlen anschauen.
 

Sonntag, 1. Februar 2015

Eine europäische Fiskalpolitik ist vonnöten

Der Wirtschaftskommissar der EU, Pierre Moscovici hat richtig bemerkt: 
Wenn Europa kein Wachstum und keine Beschäftigung liefert, wenn es als eine Region der Sparhaushalte gesehen wird, wenn Europa nicht als eine Hoffnung, als Fortschritt erscheint sondern als eine Fessel, eine Strafe und als schmerzend wahrgenommen wird, wird das europäische Projekt nicht nur kritisiert, sondern abgelehnt werden.
Die Entwicklung in Griechenland hat überdeutlich gemacht, dass Sparhaushalte bei Unterbeschäftigung nicht zu Wachstum führen, wie die Troika es den Griechen versprochen hat und wie etliche Ökonomen,  darunter auch unseriöse, das immer noch behaupten. Natürlich steigt durch Sparhaushalte auch die Schuldenquote (Staatsschuld/Bruttosozialprodukt).

Kurz: Der europäische Instabilitäts- und Stagnationspakt (aka Stabilitäts-und Wachstumspakt) sollte durch ein Abkommen ersetzt werden, das aktive Fiskalpolitik ermöglicht. Der jetzige griechische Wirtschaftsminister hat dazu bereits 2013 zusammen mit zwei prominenten Koautoren einen wie mir scheint sinnvollen, auf jeden Fall aber erwägenswerten und zugleich sehr zurückhaltenden Vorschlag gemacht, der nicht speziell auf die jetzige griechische Problematik zugeschnitten war sondern solche Probleme für alle Mitgliedsländer vermeiden sollte.

Donnerstag, 29. Januar 2015

"Privatisierung" in Griechenland

Quelle: Link


Norber Häring schreibt:   
Hier empfangen die (ehemaligen) Putzfrauen des Finanzministeriums begeistert ihren neuen Minister, der mitgeteilt hat, dass er sie wieder einstellt. Das hatte schon vor langer Zeit ein Gericht verfügt, aber in Zeiten der Troika gelten die Gerichte in Athen nicht mehr viel. Varoufakis Vorgänger hat das Urteil einfach ignoriert. Und nun also wird der Staat wieder bluten müssen?! Nicht wirklich. Das Finanzministerium wurde nämlich unter Varoufakis Vorgänger auch noch geputzt, und zwar nicht von den Beamten, sondern von einer privaten Firma, die die entlassenen Putzfrauen ersetzte. Und die war weitaus teurer. Aber das machte nichts. Hauptsache der von der Troika geforderte Personalabbau und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes wurden umgesetzt.
und James Galbraith bemerkt (via Mark Thoma):
Hier ein Beispiel, über das ich ein wenig Bescheid weiß: Die kleinen griechischen Inseln haben jede ihr eigenes Elektrizitätswerk. Das ist bei Inseln nun mal so. Alle sind Monopole. Wenn man zulässt, dass diese Monopole an ausländische Investoren verkauft werden um die Schulden zu bedienen, werden die Bewohner der kleinen Inseln den kleinen Elektrizitätsmonopolen ausgeliefert. Das ist aus volkswirtschaftlicher Sicht keine besonders gute Idee und hat auch nichts mit Wirtschaftswachstum zu tun ...

Leider hat die Troika durch missverstandene "marktwirtschaftliche" Reformen  die Marktwirtschaft in Griechenland wohl nachhaltig in Verruf gebracht. Das dürfte in der Tat dem wirtschaftlichen Wachstum auf die Dauer nicht zuträglich sein.

Dienstag, 27. Januar 2015

Das Stillhalteabkommen für Griechenland


Paul Krugman schreibt:
Für die morgige Kolumne habe ich das ursprüngliche Stillhalteabkommen von  Mai 2010 angeschaut um zu sehen, was die Troika zu Beginn der Restriktionspolitik gefordert  und was sie prognostiziert hatte, und was dann tatsächlich geschehen ist.
Vorweg: Ich treffe oft Leute die glauben, dass Griechenland niemals eine ernsthafte Restriktionspolitik durchgeführt hat. Vermutlich basiert das auf Klischees über nationales Verhalten oder dergleichen, denn tatsächlich sind  die Zahlen sehr beeindruckend. Die folgende Graphik gibt die prognostizierten und die tatsächlich realisierten Staatsausgaben (ohne Zinszahlungen)  sein 2010. Weil die Troika ihre Forderungen immer weiter verschärft hat, waren die griechischen Ausgaben deutlich niedriger als prognostiziert -- die Restriktionspolitik war wesentlich härter als zunächst anvisiert worden war.




International Monetary FundCredit
Wie kann es also sein, dass Griechenland immer noch Schuldenprobleme hat? Das ursprüngliche Abkommen ging von einer kurzen und nicht besonders ausgeprägten  Rezession aus, die dann in einen Aufschwung übergehen sollte -- nichts wie die tatsächlich erfolgte Depression und Deflationierung. Natürlich hat der Zusammenbruch bei Bruttosozialprodukt die Steuereinnahmen reduziert und den Schuldenstand (Staatsschulden/GDP) erhöht.




International Monetary FundCredit
 
 
Übrigens: Die Arbeitslosigkeit sollte einen Spitzenwert von 15 Prozent nicht überschreiten und keineswegs 28 Prozent erreichen. Wie hat die Troika sich bloß so verrechnen können? Im Frühjahr2010 haben die Europäische Zentralbank und die Europäische Kommission mit voller Überzeugung die These von der expansiven Restriktionspolitik vertreten, und dass Ausgabenkürzungen der griechischen Wirtschaft nicht schaden würden, weil dann wie von Feenhand das Vertrauen in die Zukunft wiederhergestellt würde.  Der IMF ist nicht so weit gegangen, aber hat einen unrealistisch geringen Multiplikator angesetzt, der aus historischen Phasen der Restiktionspolitik, aber ohne Berücksichtigung der monetären Gegebenheiten abgeleitet worden war. Genau die selben Leute, die die Wirkungen der Restriktionspolitik  so völlig falsch gesehen haben, ermahnen die Griechen nun, realistisch zu sein.
Den Griechen sind die falschen wirtschaftspolitischen Maßnahmen ("expansive Restriktionspolitik" wie Krugman das ironisch nennt) von der Troika aufgezwungen worden. Damit trägt die Troika ein gerüttelt Maß an Verantwortung für die gegenwärtige Lage. Die Griechen haben brav ihre Hausaufgaben gemacht und sich nicht gewehrt. Nun tun sie es. Ich finde das nicht verwunderlich.

Markus Söder meint im Spiegel-Interview:
Die Forderung nach einem Schuldenschnitt bringt nichts. Die Reformen müssen fortgeführt werden. Denn alle weiteren Auszahlungsraten hängen doch davon ab, ob Athen die erforderlichen Bedingungen einhält. Das gilt schon für die nächste Rate von zehn Milliarden Euro. Die kann nur gezahlt werden, wenn Griechenland die Verträge einhält. An dieser Stelle ist Konsequenz erforderlich.
Ich finde das nicht richtig. Wenn man falsche Ratschläge gegeben und deren Befolgung erzwungen hat, muss man auch die Verantwortung dafür tragen. Ich würde mich weigern, eine Fehlbehandlung fortzusetzen, die entgegen den Erwartungen des Arztes keine Besserung, sondern tatsächlich eine Verschlechterung gebracht hat. Herr Söder würde sich vermutlich, wie jeder vernünftige Mensch, genauso verhalten. Die bisherige Politik sollte nicht, wie Söder das möchte, fortgesetzt werden. Sie hat ja nicht nur in Griechenland versagt, und auch Deutschland ginge es besser, wenn vernünftige Konjunkturpolitik gemacht würde. Wir brauchen nicht nur eine europäische Geldpolitik, sonder auch eine europäische Fiskalpolitik. Der Vertrag von Maastricht schließt jedoch eine sinnvolle Fiskalpolitik aus.

Samstag, 24. Januar 2015

Warum sind Hochzeiten und Häuser so absurd kostsspielig geworden? Wegen der Ungleichheit.



Robert Frank hat kürzlich in einem Blog auf einen wichtigen, aber typischerweise in der Diskussion um die wachsende Ungleichheit vernachlässigten Gesichtspunkt hingewiesen. Hier die Übersetzung ohne weiteren Kommentar. (Ich stimme nicht in jedem Detail mit Frank überein, teile jedoch seine Grundthese.) Er schreibt:


Sean Lowe and Catherine Giudici aus der Fernsehshow The Bachelor übertragen ihre Hochzeit 2014 live im Fernsehen. (Todd Wawrychuk/ABC via Getty Images)


Ich befasse mich  seit mehr als 30 Jahren mit dem Thema Ungleichheit, einem Thema, das stets eine völlig untergeordnete Rolle gespielt hat. Es ist deshalb schön zu sehen, dass die Thematik nunmehr erneut und mit großem Nachdruck in die politische Diskussion Eingang findet.

Aber ein wichtiger Gesichtspunkt fehlt. Die Analysen drehen sich fast ausschließlich um Gerechtigkeitsfragen. Diese sind gewiss wichtig, aber eine ausschließliche Betonung dieses Gesichtspunktes lässt die Verteilungsfrage als einen Nullsummen-Wettbewerb zwischen den Einkommensklassen erscheinen. Das entspricht der herkömmlichen Vorstellung die besagt dass Ungleichheit für die Reichen gut und für die Armen schlecht ist. Die Reichen sollten sich mithin für mehr Ungleichheit und die Armen für weniger Ungleichheit einsetzen. Aber diese herkömmliche Ansicht ist unzutreffend.

Große Ungleichheit ist für die Reichen ebenfalls schlecht,  aus Gründen die nichts mit Ungerechtigkeit zu tun haben. Außerdem führt Ungleichheit zu einer extremen Vergeudung von Ressourcen, wie ich ebenfalls erläutern möchte.

Es lässt sich  leicht zu zeigen, dass die wachsenden Einkommensunterschiede nicht nur das Leben für die Armen, sondern auch für die scheinbaren Gewinner, die Reichen, erschwert. Eine einfache Änderung der Steuerpolitik könnte diese Wohlfahrtsverluste reduzieren und dabei jährliche Vorteile in Milliardenhöhe bewirken. Wenn Ihnen diese Behauptung abwegig erscheint, werden Sie überrascht sein zu erfahren, dass sie aus fünf einfachen Prämissen folgt.
 

1) Bezugsgrößen sind sehr wichtig

Welche der beiden vertikalen Linien in der folgenden Zeichnung ist länger?



Wenn Sie einen Trick vermuten, werden Sie vermutlich antworten dass beide gleich lang sind, aber wenn Sie wirklich SEHEN dass sie gleich lang sind, wäre eine neurologische Untersuchung angebracht. Für das menschliche Gehirn erscheint der rechte Strich länger -- wegen seiner Position zu den anderen Linien.

Die Ökonomen haben kaum in Rechnung gestellt, dass ähnliche Bezugsgrößeneffekte unsere Einschätzung von praktisch allen Gütern beeinflussen, die wir kaufen. Vor langer Zeit lebte ich als Freiwilliger des Peace Corps in Nepal in einem Haus mit zwei Zimmern, ohne Elektrizität und fließend Wasser. In den Vereinigten Staaten würden sich meine Kinder vor ihren Freunden darüber schämen, aber in Nepal war das völlig in Ordnung und ich habe nie gezögert, Freunde einzuladen.

Wenn meine Freunde aus Nepal mein Haus in Ithaca (NY) sehen würden, würden sie mich für übergeschnappt halten und sich fragen warum irgendwer solch ein grandioses Haus haben wollte. Warum so viele Schlafzimmer? Aber die meisten Amerikaner sehen das anders. Derartige unterschiedliche Haltungen ergeben sich ganz natürlich daraus, dass unsere Einschätzungen sehr stark davon abhängen was wir um uns herum sehen. Eine direkte Konsequenz davon ist diese:

2) Die Ausgaben jeder Person sind teilweise davon beeinflusst, was andere ausgeben

Die üblichen ökonomischen Modelle nehmen an, dass die Ausgaben jeder Person vollständig unabhängig davon sind, was andere ausgeben.

Wenn aber Bezugsgrößeneffekte wichtig sind, kann das nicht zutreffen. Leute geben mehr aus wenn ihre Freunde und Nachbarn mehr ausgeben. Dies ist keine neue fantastische Entdeckung jungen Ökonomen. Es ist ein Zusammenhang der eigentlich schon immer bekannt war. Oft spricht man davon, dass alle mit den anderen gleichziehen wollen ("keeping up with the Joneses"). Ich selbst finde diese Ausdrucksweise problematisch, denn sie erweckt das Bild unsicherer Personen, die reicher erscheinen möchten als sie sind. Bezugsgruppeneinflüsse würden tatsächlich in einer Welt ohne Neid genauso stark sein, und zunehmende Ungleichheit verstärkt diese Effekte.

Das durchschnittliche neue Wohnhaus in den USA ist gegenwärtig 50 Prozent  größer als  1980, ungeachtet dessen, dass das durchschnittliche Realeinkommen in der Zwischenzeit nur geringfügig zugenommen hat. Wohnhäuser wachsen schneller als die Einkommen. Ich habe den unterliegenden Prozess als  "Einkommenskaskade" bezeichnet.

Ein Wohnhaus mit 1800 Quadratmeter Wohnfläche in Denver. (Jerry Cleveland/The Denver Post via Getty Images)
Das funktioniert wie folgt: Spitzenverdiener bauen größere Wohnhäuser einfach weil sie mehr Geld haben. Möglicherweise ist es üblich geworden, den Hochzeitsempfang der Tochter des Hauses zu Hause zu veranstalten, und deshalb gehört ein Ballsaal zu einer adäquaten Wohnung. Diese großartigen Häuser verändern den Bezugsrahmen für die nicht ganz so reichen, die in den gleichen sozialen Zirkeln Umgang pflegen, und so bauen auch sie größere Häuser.

Indem nun die nicht ganz so reichen in ihren Küchen Arbeitsplatten aus Granit und in ihren Wohnzimmern Gewölbedecken einziehen, verändern sie den Bezugsrahmen der Familien in der oberen Mittelklasse, die sich dann verschulden um Schritt halten zu können. Und so fort, die ganze Einkommensleiter herunter. Höhere Ausgaben bei denen, die es sich leisten können, erzeugt letzten Endes einen Ausgabendruck bei den unteren Einkommensschichten, die es sich nicht leisten können. Man könnte denken, es sei einfach angebracht, die Armen zu ermahnen mehr Disziplin an den Tag zu legen. Aber das wäre ungenügend denn

3) Die Kosten, die entstehen wenn jemand bei seinen Ausgaben mit den gesellschaftlichen Normen nicht Schritt halten kann, beschränken sich nicht auf verletzte Gefühle.

Der oben beschriebene Prozess resultiert nicht daraus, dass die Regierung Gesetze erlassen hat, dass alle größere Häuser kaufen müssten.  Aber wenn das alles freiwillig ist, warum machen die Leute dann mit? Sie machen deshalb mit, weil Nicht-Mitmachen hohe Kosten nach sich ziehen würde, denen man schwerlich ausweichen kann.

Wenn man nicht in den Ausgaben für die Wohnung mit dem sozialen Umfeld mitzieht heißt das nicht einfach nur, dass man in einem Haus wohnt das unangenehm eng ist. Es bedeutet auch, dass man seine Kinder in schlechtere Schulen gehen lassen muss. Was eine "gute" Schule ist kann vielerlei bedeuten, aber die guten Schulen sind fast immer in den besseren und teureren Wohngegenden zu finden.

Der Plackerei-Index, den ich entwickelt habe, erfasst eine wichtige durch Ungleichheit verursachte  Kostenkomponente, die für Mittelklasse-Familien von Bedeutung ist: Wenn eine Miteilklasse-Familie die Kinder auf eine mindestens durchschnittliche Schule schicken möchte, muss sie sie in  einem Haus mittlerer Qualität ("median-priced") in der jeweiligen Wohngegend leben. Der Plackerei-Index gibt die die Zahl der Arbeitsstunden an, die notwendig um das zu erreichen. Als die Einkommen in der Nachkriegszeit in allen Schichten gleichermaßen zunahmen, blieb dieser Index nahezu konstant. Als aber die Ungleichheit ab 1970 massiv zunahm, hat der Plackerei-Index spiegelbildlich zugenommen. Er liegt nun bei 100 Stunden im Monat. 1970 lag er bei 42 Stunden.

Der Plackerei-Index
Der übliche Reallohn für Männer  (Medianlohn)  ist gegenwärtig niedriger als in den achtziger Jahren.  Wenn Familien mit mittlerem Einkommen nun mehr ausgeben müssen als früher um ihre grundlegenden Ansprüche zu befriedigen, wie schaffen sie das? Die offizielle Statistik zeigt auf, das finanzielle Probleme bei diesen Familien zugenommen haben. Unter den 100 größten Bezirken in den USA haben diejenigen, in denen die Ungleichheit am meisten zugenommen hat  ebenfalls Zunahmen bei den drei wichtigsten Indikatoren für finanzieller Schwierigkeiten zu verzeichnen: Scheidungsraten, lange Wege zur Arbeit und Zahlungsunfähigkeit.

In den Ländern der OECD ist höhere Ungleichheit mit längeren Arbeitszeiten verbunden. Die üblichen ökonomischen Theorien liefern keinerlei Hinweise auf diese Regelmäßigkeiten.

Ausgabenkaskaden finden sich in vielerlei Zusammenhängen, beispielsweise bei Feiern zu besonderen Anlässen. Ebenso wie eine "gute Schule" kann auch ein "besonderes Ereignis" vielerlei bedeuten. Um  besonders zu sein, muss es die Erwartungen übertreffen. Die durchschnittliche amerikanische Hochzeit kostet gegenwärtig $30,000, ungefähr doppelt so viel wie  1990. Niemand denkt, dass die Paare, die heute heiraten glücklicher sind weil die Kosten für die Heirat weit höher sind als sie gemeinhin waren.

Die Multimillion-Dollar Geburtstagsjubiläen, wie sie von den reichsten Familien inszeniert werden,  haben ebenfalls die Standards für solche Feste angehoben, die ganze Einkommensleiter hinunter. Viele Kinder aus der Mittelschicht sind enttäuscht, wenn auf Geburtstagsfeiern kein professioneller Clown oder Zauberer auftritt.

Die Bedeutsamkeit des relativen Einkommens ist eine feste Gegebenheit der menschlichen Natur. Kein Biologe wäre davon überrascht,  denn die relative Position war immer der beste Indikator für Fortpflanzungserfolg. Individuen, die sich nicht darum gekümmert haben, wie sie im Vergleich zu anderen abschneiden waren nicht gut an die Konkurrenzbedingungen angepasst unter denen sie evolviert sind. Deshalb werden verantwortungsbewusste Eltern auch nicht versuchen, jedwede Bezugsgruppenorientierung bei ihren Kindern zu unterdrücken.

Aber wenngleich auch Bezugsgruppenverhalten ein wesentlicher Zug der menschlichen Psychologie ist, sind die Konsequenzen des dadurch hervorgebrachten Verhaltens nicht immer nützlich.

4) Bezugsgruppenorientierung erzeugt ressourcenvergeudende Konsummuster auch dann, wenn jeder rational und gut informiert ist

Charles Darwin, der bedeutende englische Naturforscher, war stark durch Adam Smith und andere Ökonomen beeinflusst. Er verstand, dass Wettbewerb in der Natur, genau so wie im Markt, oft Vorteile für die Individuen und die Gruppen bringt -- ähnlich wie in Smiths berühmter Theorie über das Wirken der unsichtbaren Hand. Darwin sah aber auch, dass viele Verhaltensdispositionen Vorteile für Individuen auf Kosten der Gruppe bringen. Wenn der Erfolg auf der relativen Position beruht, wie es in Wettbewerbssituationen fast immer der Fall ist, führt das oft zu ressourcenvergeudendem Wettrüsten.

Nehmen wir das Geweih eines Elchbullen. Es ist über einen Meter breit und wiegt bis zu vierzig Pfund. Weil es die Bewegungsfreiheit in bewaldeten Gebieten hindert, können Wölfe die Bullen leichter umzingeln und zur Strecke bringen. Warum also bringt die natürliche Auslese nicht kleinere Geweihe hervor? Darwins Sicht war, dass größere Geweihe evolviert sind, weil die Elche polygam sind, dass also die männlichen Tiere sich mit mehreren Weibchen verpaaren wenn sie können. Aber wenn einige Bullen Nachkommen mit mehreren Kühen haben, gehen andere Bullen leer aus. Deshalb kämpfen die Bullen so hart um die Weibchen. Mutationen, die zu größeren Geweihen führten waren erfolgreich weil größere Geweihe die Gewinnchancen eines  Bullen verbesserten.

Zwei Elchbullen mit unnötig großen Geweihen. (Duke Coonrad)
 
Es wäre für die Bullen insgesamt von Vorteil, wenn alle halb so grosse Geweihe hätten. Dann wären sie von Raubtieren weniger leicht zu erbeuten, aber die Kämpfe untereinander würden die gleichen Ergebnisse zeitigen. Die Ineffizienz in solchen Rangordnungskämpfen ist völlig analog zur der Ineffizienz, die durch militärisches Wettrüsten entsteht. Wenn jeder sich hinstellt um besser sehen zu können, kann niemand besser sehen als wenn alle bequem in sitzen geblieben wären. Ab einem gewissen Punkt dienen zusätzliche Ausgaben für Häuser, Jubiläumsfeiern und vieles andere nur noch der Sicherung der Rangposition. Sie führen nur dazu, dass die Standards für das, was als angemessen gilt, erhöht werden. Weil nun aber ein Großteil der Ausgaben heutzutage rein Rangordnungsorientiert sind, bedingen derartige Ausgaben, ähnlich wie das Wettrüsten, Ressourcenvergeudung.

Diese Einsichten sind nicht neu. Der niederländische Ökonom Ruut Veenhoven hat in einem Buch 1993 dargelegt, dass Glück und Lebenszufriedenheit in Japan in den drei Jahrzehnten nach 1960 im Wesentlichen unverändert geblieben sind obgleich sich das reale Pro-Kopf-Einkommen in diesem Zeitraum mehr als verzehnfacht hatte. Seine Erklärung war, dass Glück und Lebenszufriedenheit hauptsächlich vom relativen Einkommen abhängen das unverändert bleibt wenn alle Einkommen sich gleichermaßen erhöhen.

Quelle: Ruut Veenhoven, Happiness in Nations, Rotterdam: Erasmus University Press, 1993
Wenn wir jedoch zu irgendeinem Zeitpunkt Einkommen und Glück gegeneinander auftragen, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Der Psychologe Edward Diener und seine Ko-Autoren haben das folgende Bild, das auf US-Daten von 1960 beruht, beispielsweise dahingehend interpretiert, dass Leute mit höheren Einkommen im Durchschnitt glücklicher sind, weil es ihnen, relativ gesehen, gut geht.

Edward Diener, Ed Sandvitz, Larry Seidlitz, and Marissa Diener, "The Relationship Between Income and Subjective Well-being: Relative or Absolute?" Social Indicators Research, 28, 1993: 195-223

Bezugsgruppenverhalten zieht eine unproduktive Verschwendung in Millardenhöhe nach sich. Man kann dem aber einfach entgegenwirken.

5) Eine einfache Änderung des Steuersystems könnte viel unnützes Ausgabenverhalten bremsen

Die Elche verfügen nicht über das kognitive und kommunikative Rüstzeug um etwas gegen ihr Wettrüsten bei Positionskämpfen zu tun. Die Menschen können das und könnten sich auf eine Rüstungskontrolle bei Positionskämpfen einigen. Wir geben so viel für Häuser und Feiern aus weil jeder einzelne keinen Anreiz hat einzubeziehen, wie unser Verhalten das Verhalten anderer beeinflusst.  Durch eine Änderung der Besteuerung können in einfacher Weise unsere Anreize geändert werden ohne dass weitere Eingriffe nötig wären. Wir könnten die gegenwärtige progressive Einkommenssteuer durch eine durch eine wesentlich progressivere Konsumbesteuerung ersetzen.

Das würde so funktionieren: Die Leute würden ihre Einkommenssteuererklärung abgeben wie bisher und zusätzlich Angaben über ihre jährliche Ersparnis machen, ähnlich wie dies jetzt schon bei steuerlich absetzbaren Ausgaben für die Altersvorsorge geschieht. Die jährlichen Konsumausgaben ergeben sich aus dem Einkommen abzüglich der Ersparnis. Beispielsweise würde eine Familie mit einem Einkommen von $100,000, die  $50,000 gespart hat einen jährlichen Konsum von $50,000 haben. Bei einem Freibetrag von  $30,000 betrüge der zu versteuernde Konsum dann $20,000.

Der Steuersatz würde zunächst gering sein, mit zunehmendem Konsum aber ansteigen. Unter dem gegenwärtigen System darf der Spitzensteuersatz nicht zu hoch sein, weil sonst Ersparnis und Investitionen abgewürgt würden. Ein höherer Grenzsteuersatz auf die Ersparnis begünstigt hingegen Ersparnis und Investition.

Eine Konsumsteuer könnte die Superreichen veranlassen, auf ihre Ferrari F 12 Berlinettas zu verzichten. (John Lamparski/WireImage)
Viele Reiche glauben, dass höhere Steuern sie hindern würden, ihre Ansprüche zu erfüllen. Aber wenn alle weniger ausgeben, hat das eine völlig andere Wirkung als wenn eine einzelne Person ihre Ausgaben einschränkt. In einer Gesellschaft mit einer progressiven Konsumsteuer würden die reichsten Autofahrer vielleicht einen Porsche 911 Turbo für $150,000 anstatt eines Ferrari F 12 Berlinetta kaufen, der mehr als doppelt so teuer ist. Da aber alle sich einschränken, würden in dieser Gesellschaft die Porschefahrer genauso begeistert von ihren Porsches sein wie die Ferrarifahrer im gegenwärtigen System.

Noch in einer anderen Hinsicht ist eine progressive Konsumsteuer von Vorteil. Sie würde zusätzliche Einnahmen bringen, mit deren Hilfe die Straßen repariert und besser ausgebaut werden könnten. Im gegenwärtigen System können sich die Reichen ihre Ferraris leisten, aber sie fahren sie auf schlecht unterhaltenen Straßen. Es ist wohl kaum zu bezweifeln,  dass das Fahrerlebnis mit einem Ferrari auf Straßen, die mit Schlaglöchern gespickt sind, weniger befriedigend ist als das mit einem Porsche auf gut unterhaltenen Straßen.

Meine These ist kurz gesagt dass eine einfache Änderung der Besteuerung es ermöglichen würde, Milliarden von Dollars nutzbringender zu verwenden, ohne schmerzhafte Einbußen bei irgend jemandem zu verursachen. Auf den ersten Blick mag diese Behauptung den meisten unplausibel erscheinen. Mein Schlussfolgerung baut jedoch nur auf wenigen Voraussetzungen auf, und keine ist auch nur andeutungsweise kontrovers. Die meisten Einkommenszuwächse sind zu den Spitzenverdienern geflossen, dies sich davon größere Häuser gebaut haben. Es ist gleichermaßen unkontrovers, dass die Vergrößerung aller Häuser über ein gewisses Maß hinaus die Reichen nicht glücklicher gemacht hat. Ebenso wenig wir jemand bestreiten, dass die größeren Häuser bei den Reichen die Ansprüche bei denen mit geringerem Einkommen angehoben haben, und so fort, die ganze Einkommensleiter hinunter.

Es ist auch unkontrovers, dass der finanzielle Druck bei den durchschnittlichen Haushalten es nicht nur schwerer für sie gemacht hat, ihre Rechnungen zu bezahlen, sondern auch für die Regierung die Erhebung von Steuereinnahmen erschwert hat. Dies hat zur Verschlechterung der Infrastruktur und der öffentlichen Dienste geführt. Die größeren Ausgaben für Häuser und Autos haben bei diesen Gütern lediglich die Anspruchsniveaus angehoben. Die Verschlechterung bei der öffentlichen Versorgung hat demgegenüber drastische Nachteile mit sich gebracht.

Es ist aber gut zu wissen, dass die massive Vergeudung von Ressourcen, die durch die zunehmende Ungleichheit bewirkt wurde, leicht gemindert werden kann. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass dies jemals in die Tat umgesetzt wird solange unsere politischen Kontroversen sich nicht den praktischen Folgen der Ungleichheit zuwenden.