Freitag, 14. November 2014

Der Sachverständigenrat zum Mindestlohn

Vorweg: Ich bin kein Freund eines gesetzlichen Mindestlohns und fände ein Lohnsetzung durch die Tarifparteien besser. Es handelt sich hier um einen Notbehelf für die Arbeitsverhältnisse die nicht durch einen Flächentarifvertrag abgedeckt werden. Wie ich in einem früheren Blog dargelegt habe, halte ich eine Beurteilung des Mindestlohnes, und generell der Lohnbildung, unter Beschäftigungsgesichtspunkten für falsch. Die Lohnbildung sollte primär unter Allokationsgesichtspunkten betrachtet werden. (Unter diesem Gesichtspunkt sind die Lohndifferenzen zwischen den verschiedenen Tätigkeiten sind zu groß.) Die Beschäftigung selbst ergibt sich aus der Nachfrage nach Gütern und Diensten, sie ist eine abgeleitete Nachfrage. Fehlentwicklungen bei der Beschäftigung -- Arbeitslosigkeit oder Überbeschäftigung --  sollten entsprechend durch Nachfragesteuerung bekämpft werden.

In der Öffentlichkeit wird der Mindestlohn jedoch hauptsächlich  so wahrgenommen, dass er einerseits die Lohngerechtigkeit bei den Beschäftigten verbessert, aber andrerseits zu einer Minderung der Beschäftigung führt. Der Sachverständigenrat geht deshalb völlig zu Recht auf diese Frage ein, allerdings in einer Weise, die höchst problematisch ist. Er schreibt in seinem Jahresgutachten auf S. 110::
Der Mindestlohn wird vor allem die Arbeitsnachfrage im Bereich einfacher Tätigkeiten belasten. Dort wird es im Jahr 2015 zu Lohnsteigerungen im zweistelligen  Prozentbereich  kommen...  Selbst  unter  der  Annahme  einer geringen Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage  und der Tatsache, dass zunächst – etwa  aufgrund  von  Ausnahmeregelungen – nicht  bei  allen  Beschäftigten  der Lohn entsprechend angepasst wird, ist von deutlich negativen Beschäftigungseffekten  auszugehen  (Henzel  und  Engelhardt,  2014).
Die Studie von Henzel und Engelhard wird also als Begründung für diese Einschätzung gegeben. Diese Studie ist aber hier höchst problematisch weil sie von vornherein Theorien ausschließt die zu gegenteiligen Ergebnissen führen. Die Autoren schreiben selbst in Fussnote 6:
Das Monopsonmodell wird hier nicht betrachtet. Es geht davon aus, dass Arbeitnehmer systematisch und flächendeckend zu niedrig (d.h. unterhalb ihrer Produktivität) entlohnt werden, da nur ein einzelner Arbeitgeber auftritt, der seine Marktmacht ausnutzen kann, um die Löhne niedrig zu halten. In solch einem Umfeld könnten Lohnsteigerungen zu einer Ausweitung der Beschäftigung führen. Wenngleich dies vereinzelt vorkommen mag, so fehlt doch die empirische Evidenz, dass im Niedriglohnsektor in Deutschland derzeit flächendeckend Monopsongewinne realisiert werden.
Diese Anmerkung von Henzel und Engelhard deutet auf eine gewisse Unkenntnis der Literatur hin und ist insofern für den Laien etwas irreführend. Monopsonistische Lohnbildung im Sinne monopsonistischer Konkurrenz (die hier relevant ist)  impliziert keine Monopsongewinne (Stichwort: "Tangentenlösung"). Ferner ist die Begründung, dass es hier "keine empirische Evidenz" gäbe unzutreffend. Vertreter dieser Theorie (zu denen ich nicht uneingeschränkt gehöre) weisen auf Firmengrößeneffekte, Agglomerationseffekte und Diskriminierung hin, die alle mit dem von Henzel und Engelhard gewählten traditionellen Ansatz in Widerspruch stehen, siehe auch einen früheren Blog von mir. Dies ist möglicherweise keine empirische Evidenz, aber für den von den Verfassern und implizit von Sachverständigenrat gewählten Ansatz gibt es auch keine bessere empirische Evidenz.

Konkurrierenden Ansätze werden also von vornherein per Annahme ausgeschlossen. Was ist nun aber mit dem Ansatz der Verfasser? Sie beschreiben ihn wie folgt (S. 24):
Geht man von einer einfachen Produktionsfunktion aus, bei der die beiden Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit in die Produktion einfließen, sinkt die Arbeitsnachfrage, wenn der Produktionsfaktor Arbeit durch den flächendeckenden Mindestlohn teurer wird. Bei gegebenem Output wird Arbeit durch den Produktionsfaktor Kapital substituiert. Die Unternehmen reagieren also mit einer kapitalintensiveren Produktion auf den Mindestlohn. Wie stark die Reaktion der Arbeitsnachfrage ausfällt, hängt unter anderem von der Lohnelastizität ab.
Die Verfasser untersuchen dann die Konsequenz unterschiedlicher stipulierter Nachfrageelastizitäten. Derartige hypothetische Rechnungen, haben durchaus eine gewisse Berechtigung, sie sollten nur nicht ohne entsprechende relativierende Hinweise zur Politikberatung herangezogen werden. Es sollte auch erwähnt werden, dass beim Übergang auf kapitalintensivere Produktion zusätzlich Nachfrage nach Kapitalgütern entsteht die dann auch zu positiven Beschäftigungswirkungen führt. (Dies wird in der Arbeit ebenso wie in den Studien zur Nachfrageelstizität, die die Verfasser zitieren, völlig vernachlässigt.) Es wird eben nicht beachtet, dass die Einführung des Mindestlohnes nicht einfach einen Nachfrageausfall nach bestimmten Gütern oder Tätigkeiten bewirkt, wie dies hier und auch in den Arbeiten, auf die sich die Verfasser berufen, unterstellt wird. Die Einführung eines Mindeslohnes führt, wenn überhaupt, nicht einfach zu einem Nachfrageausfall, sondern zu einer Nachfrageverlagerung. wie ich in einem früheren Blog erklärt habe. Aus meiner Sicht sind die Aussagen des Sachverständigenrates bloße Vermutungen und gewiß nicht "evidenzbasiert".

Dennoch: Der Sachverständigenrat hat eine Reihe von Erwartungen über die Wirkung eines Mindestlohnes formuliert. Es wird interessant sein, diese Prognosen empirisch zu überprüfen wenn einmal die Mindestlohngesetzgebung wirksam geworden ist.



Donnerstag, 13. November 2014

Mehr Vertrauen in Marktprozesse

Das neue Sachverständigengutachten trägt den den Titel "Mehr Vertrauen in Marktprozesse". Dies Vertrauen -- oder besser diese quasi-religiöse Überzeugung -- hat uns die Deregulierung der Finanzmärkte, und damit die Finanzkrise von 2008 gebracht. Wenn man heutzutage solch eine These vertritt ist das doch wohl eher glaubensbasierte als, wie die Sachverständigen für sich in Anspruch nehmen, evidenzbasierte wirtschaftspolitische Beratung. 

Zu dem gleichermaßen evidenzfernen Passagen zu Mindestlohn und Ungleichheit werde ich gelegentlich, wenn ich Zeit finde, noch Stellung nehmen. Aber vielleicht (hoffentlich) nehmen mir andere Blogger diese Trivialarbeit ab und ich kann dann einfach verlinken.

Mittwoch, 12. November 2014

Die Andy Warhols von Wolfgang Schäuble

Gabor Steingart schreibt in Handelsblatt Morning Briefing:
der Finanzminister will einen schuldenfreien Haushalt 2015 vorlegen und trotzdem die Investitionen um zehn Milliarden Euro erhöhen. Aber wie geht das? Das war bislang unklar. In einem Papier aus dem Finanzministerium, das unserer Zeitung vorliegt, lüftet sich das Geheimnis. Die Privatisierung von Staatsbeteiligungen ist geplant. Die Andy Warhols des Wolfgang Schäuble heißen Post und Bahn.
Das Problem ist nur: Das ist nicht besonders nachhaltig. Wenn die Warhols mal versilbert sind, kann man sie nicht noch einmal verscherbeln. Diese Art der Haushaltskonsolidierung ist nur kurzfristig möglich. Dazu vielleicht noch zwei Grafiken:
Rechts: Das Nettovermögen des Staates schrumpft. Quelle: Armin Willburger (Link)
Man sieht: das staatliche Nettovermögen -- Reinvermögen minus Verbindlichkeiten -- schrumpft. Einige Jahrzehnte früher hat es stets zugenommen. Außerdem:
Quelle: DGB (Link)



Der DGB bemerkt dazu:
Zukünftige Generationen brauchen nicht nur eine dicke Null im Haushalt, sondern vor allem ein intaktes Gemeinwesen.
Den ersten Satz halte ich für falsch und würde ihn streichen.Wenn staatliche wirtschaftliche Tätigkeit effizienter ist als private (z.B. bei der Bahn) sollte der Staat die erforderlichen Investitionen per Kreditaufnahme finanzieren. Der zweite Satz finde ich richtig.


So langsam verstehe ich die vielen Änderungen und Probleme bei der Bahn in den letzten Jahren: Sie soll für den Kapitalmarkt fit gemacht werden und bei Privatisierung hohe Einnahmen ermöglichen. Und die braucht man ja auch, trotz PPP, weil bei den nach Privatisierung zu erwartenden Bahnpreisen die Leute und Transporteure  vermehrt aufs Auto umsteigen werden und entsprechend mehr Straßen gebaut werden müssen. Ob das so induzierte Umsteigen von der Schiene auf das Auto volkswirtschaftlich sinnvoll ist bleibt unerwähnt.