Samstag, 15. März 2014

Wirtschaftswachstum und Umverteilung

 In einem viel beachteten Beitrag haben Jonathan Ostry, Andrew Berg und  Charalambos Tsangarides vom Weltwährungsfonds den Zusammenhang zwischen Umverteilung, Ungleichheit und wirtschaftlichem Wachstum untersucht. Sie kommen zu folgendem Schluß:
Extreme Vorsicht bei Umverteilungsmaßnahmen -- und mithin Tatenslosigkeit in dieser Hinsicht -- ist wohl in vielen Fällen nicht sinnvoll. Im Durchschnitt, über die Zeit und viele Länder hinweg, haben die typischen Umverteilungsmaßnahmen nicht zu schlechten Wachstumsergebnissen geführt, außer vielleicht in Extremfällen. Die damit bewirkte Reduktion der Ungleichheit hat, über die ethischen, politischen und übergreifenden sozialen Gesichtspunkte hinaus, besseres und robusteres Wachstum unterstützt,
In Einzelnen bemerken sie:
Erstens findet in Gesellschaften mit mehr Ungleichheit mehr Umverteilung statt. …

Zweitens ist geringere Ungleichheit deutlich mit schnellerem und dauerhafterem Wirtschaftswachstum korreliert. …

Drittens scheint die Umverteilung im allgemeinen wachtumsfördernd zu sein, nur in Extremfällen könnten direkte negative Wirkungen vorliegen.

Die direkten und indirekten Wirkungen von Umverteilungsmaßnahmen einschließlich des positiven Einflusses geringerer Ungleichheit sind im Schnitt wachstumsfördernd.


Diese Schlussfolgerungen erscheinen mir insgesamt recht plausibel. Dennoch hege ich große Skepsis bezüglich der vorgelegten Analyse.



Der Grund für meine Skepsis liegt darin, daß die Autoren explizit annehmen, die im Markt (vor Steuern) beobachtete Ungleichheit sei nicht  von der Besteuerung beeinflusst. Ich denke aber, dass dem nicht so ist. Eine höhere Progressivität der Einkommensbesteuerung (also mehr Umverteilung) geht mit einer geringeren Ungleichheit vor Steuern einher, wie ich in einem früheren  Artikel dargelegt habe.



Aber selbst wenn man von diesem Problem absieht ist es abwegig, die Umverteilung durch die Differenz zwischen Ungleichheit vor Steuern und Ungleichheit nach Steuern zu messen, wie die Verfasser dies tun. Das führt zu Fehlschlüssen, wie man sich leicht überlegen kann:



Bei gleichem Steuersystem in zwei sonst gleichen Ländern wird, wenn man so misst, in dem Land mit der größeren Ungleichheit vor Steuern mehr umverteilt als in dem Land mit der geringeren Ungleichheit. Das Umverteilungssystem ist jedoch in beiden Ländern gleich, nur ist es so, dass in dem Land mit der größeren Gleichheit weniger umverteilt wird – bei dem gleichen System der Umverteilung. Deshalb kommen die Verfasser zu dem m.E. irrigen Schluss, dass in Ländern mit größerer Ungleichheit mehr umverteilt wird (ihre These 1). Die Umverteilung sollte man besser durch die Progressivität des Steuer- und Sozialsystems messen.


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