Dienstag, 16. Dezember 2014

Wer behauptet der Sachverständigenrat sei unseriös, der untertreibt

In einem früheren Blog hatte ich in Aussicht gestellt, noch etwas zum neuesten Sachverständigenratsgutachten zu sagen. Zur Analyse des Mindestlohn habe ich mich geäußert, zur wachsenden Ungleichheit wollte ich auf die gleiche Auslassung hinweisen, die ich im früheren Jahresgutachten beanstandet hatte und die nun wieder vorliegt, und zur Frage der innereuropäischen Ungleichgewichte wollte ich bemängeln, dass der Sachverständigenrat eine Politik empfiehlt, die diese innereuropäischen Ungleichgewichte verstärkt.

Es ist aber nicht mehr nötig, sich noch in irgendeiner Weise zu Meinungen des Sachvertändigenrats zu äußern. Norbert Häring  vom Handelsblatt hat das Gutachten durchgesehen und genauer die Quellen geprüft, auf die sich der Sachverständigenrat bezieht. Er hat sehr kenntnisreich und sorgfältig gearbeitet -- weit besser als ich das hätte machen können -- und hat dokumentiert, dass der Sachverständigenrat falsch zitiert und Tatsachen verdreht. Martin Schürz, Abteilungsleiter bei der Österreichischen Nationalbank, findet, dass die Wirtschaftsweisen einen Artikel von ihm „selektiv rezipiert“ hätten und er bezeichnet das als  „unseriös“. Ich halte diese Einschätzung für eine völlige Untertreibung.


Freitag, 5. Dezember 2014

Die Bahncard sollte abgeschafft werden

Es gab Meldungen, wonach die Deutsche Bahn die Bahncard abschaffen wollte. Leider sind diese Meldungen aber wohl falsch.

Die Bahncard ermöglicht es der Bahn jene Kunden, die wenig Bahn fahren, monopolistisch auszubeuten.

Volkswirtschaftlich richtige Preise sollen den Ressourcenaufwand widerspiegeln, der zur Produktion eines Gutes oder einer Leistung erforderlich ist. Sonst wären sie keine richtigen Knappheitsindikatoren, die die Nachfrage gemäß der volkswirtschaftlichen Kosten richtig steuern könnten. Der volkswirtschaftliche Ressourcenaufwand für die Fahrt eines Passagiers ist völlig unabhängig davon, ob der Passagier Vielfahrer ist oder nicht.  Deshalb sollten alle, die im gleich Zug fahren auch den gleichen Preis zahlen.

Es geht hier also bei den Unterschieden zwischen Normalpreis und "reduziertem" Bahncardpreis  nicht um eine volkswirtschaftlich sinnvolle Preisdifferenzierung sondern um eine "Abschöpfung von Konsumentenrente", wie es in der Fachsprache heißt. Dabei ist es eine Illusion zu glauben, dass die Preise für Vielfahrer durch die Bahncard geringer würden. Die scheinbar ermäßigten Preise, die die Bahncard-Besitzer zahlen müssen, sind so gesetzt, dass sich der maximale Ertrag für die Bahn ergibt, dass also nicht zu viele auf andere Transportmöglichkeiten umwechseln. Diese Preise sind deshalb weitgehend unabhängig von der Existenz des Bahncard-Systems. Mittels der Bahncard kann man aber zusätzliche Einnahmen von den Vielfahrern erzielen und zudem höhere Preise für die Gelegenheitsfahrer setzen. Ohne die Bahncard wären die Fahrpreise für die Gelegenheitsfahrer geringer (genau so hoch wie für die Vielfahrer), weil sonst die Vielfahrer abspringen würden. Allerdings kann man mittels der Bahncard unterschiedliche Preise für verschiedene Gruppen von Fahrgästen durchsetzen. Ohne Bahncard wäre das nicht möglich. Volkswirtschaftlich ist dies, wie gesagt, ineffizient und nachteilig.

Die Bahncard ermäßigt nicht die Fahrkosten für Vielfahrer, ehöht aber die Fahrkosten für Gelegenheitsfahrer und führt zu einer volkswirtschaftlich falschen Allokation, insbesondere einer Reduktion der Nachfrage nach Bahnleistungen bei Gelegenheitsfahrern die auf das Auto umsteigen aber bei dem Bahncardtarif die Bahn benutzen würden.

Aber die Bahn hat ja noch weitere Differenzierungen im Auge. Gut, dass der Straßenbau vorangetrieben wird, denn wenn das so weitergeht wird immer noch mehr Verkehr auf die Strassen gedrängt. Das kostet Geld -- den Steuerzahler, aber nicht die Bahn.

Dienstag, 2. Dezember 2014

Deutschlands Tanz aus der Reihe schadet Europa


Paul Krugman hat das schön dargestellt:
Der Sachverhalt ist einfach aber wichtig. Nach der Einführung des Euro haben sich Ungleichgewichte gebildet, die mit der Überflutung der Peripherie mit Kapitalzuflüssen einhergingen. Diese Ungleichgewichte sind durch eine extrem schmerzhafte und sehr kostspielige Deflation unter Kontrolle gebracht worden. Wenn wir den Zeitraum von 1999 bis jetzt betrachten, hatte der größte Teil Europas Kostensteigerungen und Inflationsraten die ungefähr den langfristigen Zielvorstellungen der Europäischen Zentralbank entsprachen: einer etwas unter zwei Prozent liegenden Inflationsrate. Es gibt aber eine große Ausnahme:
Lohnstückkosten (blau) und Preisentwicklung (rot), Quelle: Link nach OECD- und IMF-Daten.
Damit ist das europäische Ungleichgewicht ein deutsches Problem, verursacht durch die fortwährende Verletzung des Inflationsziels das der Euro erforderlich macht. Die zu niedrige Inflationsrate in Deutschland führt zu einem Deflationsexport in den Rest Europas. Im Gegensatz dazu haben sich Frankreich, Spanien, und sogar Italien an die Spielregeln gehalten.
Die schwarze Null ist zum schämen.

Freitag, 14. November 2014

Der Sachverständigenrat zum Mindestlohn

Vorweg: Ich bin kein Freund eines gesetzlichen Mindestlohns und fände ein Lohnsetzung durch die Tarifparteien besser. Es handelt sich hier um einen Notbehelf für die Arbeitsverhältnisse die nicht durch einen Flächentarifvertrag abgedeckt werden. Wie ich in einem früheren Blog dargelegt habe, halte ich eine Beurteilung des Mindestlohnes, und generell der Lohnbildung, unter Beschäftigungsgesichtspunkten für falsch. Die Lohnbildung sollte primär unter Allokationsgesichtspunkten betrachtet werden. (Unter diesem Gesichtspunkt sind die Lohndifferenzen zwischen den verschiedenen Tätigkeiten sind zu groß.) Die Beschäftigung selbst ergibt sich aus der Nachfrage nach Gütern und Diensten, sie ist eine abgeleitete Nachfrage. Fehlentwicklungen bei der Beschäftigung -- Arbeitslosigkeit oder Überbeschäftigung --  sollten entsprechend durch Nachfragesteuerung bekämpft werden.

In der Öffentlichkeit wird der Mindestlohn jedoch hauptsächlich  so wahrgenommen, dass er einerseits die Lohngerechtigkeit bei den Beschäftigten verbessert, aber andrerseits zu einer Minderung der Beschäftigung führt. Der Sachverständigenrat geht deshalb völlig zu Recht auf diese Frage ein, allerdings in einer Weise, die höchst problematisch ist. Er schreibt in seinem Jahresgutachten auf S. 110::
Der Mindestlohn wird vor allem die Arbeitsnachfrage im Bereich einfacher Tätigkeiten belasten. Dort wird es im Jahr 2015 zu Lohnsteigerungen im zweistelligen  Prozentbereich  kommen...  Selbst  unter  der  Annahme  einer geringen Lohnelastizität der Arbeitsnachfrage  und der Tatsache, dass zunächst – etwa  aufgrund  von  Ausnahmeregelungen – nicht  bei  allen  Beschäftigten  der Lohn entsprechend angepasst wird, ist von deutlich negativen Beschäftigungseffekten  auszugehen  (Henzel  und  Engelhardt,  2014).
Die Studie von Henzel und Engelhard wird also als Begründung für diese Einschätzung gegeben. Diese Studie ist aber hier höchst problematisch weil sie von vornherein Theorien ausschließt die zu gegenteiligen Ergebnissen führen. Die Autoren schreiben selbst in Fussnote 6:
Das Monopsonmodell wird hier nicht betrachtet. Es geht davon aus, dass Arbeitnehmer systematisch und flächendeckend zu niedrig (d.h. unterhalb ihrer Produktivität) entlohnt werden, da nur ein einzelner Arbeitgeber auftritt, der seine Marktmacht ausnutzen kann, um die Löhne niedrig zu halten. In solch einem Umfeld könnten Lohnsteigerungen zu einer Ausweitung der Beschäftigung führen. Wenngleich dies vereinzelt vorkommen mag, so fehlt doch die empirische Evidenz, dass im Niedriglohnsektor in Deutschland derzeit flächendeckend Monopsongewinne realisiert werden.
Diese Anmerkung von Henzel und Engelhard deutet auf eine gewisse Unkenntnis der Literatur hin und ist insofern für den Laien etwas irreführend. Monopsonistische Lohnbildung im Sinne monopsonistischer Konkurrenz (die hier relevant ist)  impliziert keine Monopsongewinne (Stichwort: "Tangentenlösung"). Ferner ist die Begründung, dass es hier "keine empirische Evidenz" gäbe unzutreffend. Vertreter dieser Theorie (zu denen ich nicht uneingeschränkt gehöre) weisen auf Firmengrößeneffekte, Agglomerationseffekte und Diskriminierung hin, die alle mit dem von Henzel und Engelhard gewählten traditionellen Ansatz in Widerspruch stehen, siehe auch einen früheren Blog von mir. Dies ist möglicherweise keine empirische Evidenz, aber für den von den Verfassern und implizit von Sachverständigenrat gewählten Ansatz gibt es auch keine bessere empirische Evidenz.

Konkurrierenden Ansätze werden also von vornherein per Annahme ausgeschlossen. Was ist nun aber mit dem Ansatz der Verfasser? Sie beschreiben ihn wie folgt (S. 24):
Geht man von einer einfachen Produktionsfunktion aus, bei der die beiden Produktionsfaktoren Kapital und Arbeit in die Produktion einfließen, sinkt die Arbeitsnachfrage, wenn der Produktionsfaktor Arbeit durch den flächendeckenden Mindestlohn teurer wird. Bei gegebenem Output wird Arbeit durch den Produktionsfaktor Kapital substituiert. Die Unternehmen reagieren also mit einer kapitalintensiveren Produktion auf den Mindestlohn. Wie stark die Reaktion der Arbeitsnachfrage ausfällt, hängt unter anderem von der Lohnelastizität ab.
Die Verfasser untersuchen dann die Konsequenz unterschiedlicher stipulierter Nachfrageelastizitäten. Derartige hypothetische Rechnungen, haben durchaus eine gewisse Berechtigung, sie sollten nur nicht ohne entsprechende relativierende Hinweise zur Politikberatung herangezogen werden. Es sollte auch erwähnt werden, dass beim Übergang auf kapitalintensivere Produktion zusätzlich Nachfrage nach Kapitalgütern entsteht die dann auch zu positiven Beschäftigungswirkungen führt. (Dies wird in der Arbeit ebenso wie in den Studien zur Nachfrageelstizität, die die Verfasser zitieren, völlig vernachlässigt.) Es wird eben nicht beachtet, dass die Einführung des Mindestlohnes nicht einfach einen Nachfrageausfall nach bestimmten Gütern oder Tätigkeiten bewirkt, wie dies hier und auch in den Arbeiten, auf die sich die Verfasser berufen, unterstellt wird. Die Einführung eines Mindeslohnes führt, wenn überhaupt, nicht einfach zu einem Nachfrageausfall, sondern zu einer Nachfrageverlagerung. wie ich in einem früheren Blog erklärt habe. Aus meiner Sicht sind die Aussagen des Sachverständigenrates bloße Vermutungen und gewiß nicht "evidenzbasiert".

Dennoch: Der Sachverständigenrat hat eine Reihe von Erwartungen über die Wirkung eines Mindestlohnes formuliert. Es wird interessant sein, diese Prognosen empirisch zu überprüfen wenn einmal die Mindestlohngesetzgebung wirksam geworden ist.



Donnerstag, 13. November 2014

Mehr Vertrauen in Marktprozesse

Das neue Sachverständigengutachten trägt den den Titel "Mehr Vertrauen in Marktprozesse". Dies Vertrauen -- oder besser diese quasi-religiöse Überzeugung -- hat uns die Deregulierung der Finanzmärkte, und damit die Finanzkrise von 2008 gebracht. Wenn man heutzutage solch eine These vertritt ist das doch wohl eher glaubensbasierte als, wie die Sachverständigen für sich in Anspruch nehmen, evidenzbasierte wirtschaftspolitische Beratung. 

Zu dem gleichermaßen evidenzfernen Passagen zu Mindestlohn und Ungleichheit werde ich gelegentlich, wenn ich Zeit finde, noch Stellung nehmen. Aber vielleicht (hoffentlich) nehmen mir andere Blogger diese Trivialarbeit ab und ich kann dann einfach verlinken.

Mittwoch, 12. November 2014

Die Andy Warhols von Wolfgang Schäuble

Gabor Steingart schreibt in Handelsblatt Morning Briefing:
der Finanzminister will einen schuldenfreien Haushalt 2015 vorlegen und trotzdem die Investitionen um zehn Milliarden Euro erhöhen. Aber wie geht das? Das war bislang unklar. In einem Papier aus dem Finanzministerium, das unserer Zeitung vorliegt, lüftet sich das Geheimnis. Die Privatisierung von Staatsbeteiligungen ist geplant. Die Andy Warhols des Wolfgang Schäuble heißen Post und Bahn.
Das Problem ist nur: Das ist nicht besonders nachhaltig. Wenn die Warhols mal versilbert sind, kann man sie nicht noch einmal verscherbeln. Diese Art der Haushaltskonsolidierung ist nur kurzfristig möglich. Dazu vielleicht noch zwei Grafiken:
Rechts: Das Nettovermögen des Staates schrumpft. Quelle: Armin Willburger (Link)
Man sieht: das staatliche Nettovermögen -- Reinvermögen minus Verbindlichkeiten -- schrumpft. Einige Jahrzehnte früher hat es stets zugenommen. Außerdem:
Quelle: DGB (Link)



Der DGB bemerkt dazu:
Zukünftige Generationen brauchen nicht nur eine dicke Null im Haushalt, sondern vor allem ein intaktes Gemeinwesen.
Den ersten Satz halte ich für falsch und würde ihn streichen.Wenn staatliche wirtschaftliche Tätigkeit effizienter ist als private (z.B. bei der Bahn) sollte der Staat die erforderlichen Investitionen per Kreditaufnahme finanzieren. Der zweite Satz finde ich richtig.


So langsam verstehe ich die vielen Änderungen und Probleme bei der Bahn in den letzten Jahren: Sie soll für den Kapitalmarkt fit gemacht werden und bei Privatisierung hohe Einnahmen ermöglichen. Und die braucht man ja auch, trotz PPP, weil bei den nach Privatisierung zu erwartenden Bahnpreisen die Leute und Transporteure  vermehrt aufs Auto umsteigen werden und entsprechend mehr Straßen gebaut werden müssen. Ob das so induzierte Umsteigen von der Schiene auf das Auto volkswirtschaftlich sinnvoll ist bleibt unerwähnt.


Montag, 20. Oktober 2014

Ein interessanter und bedenkenswerter Vorschlag

Giacomo Corneo, Professor für öffentliche Finanzen and der Freien Universität Berlin, macht einen interessanten Vorschlag zur Bekämpfung der zunehmeneden Ungleichheit und sich ständig verschärfenden Vermögenskonzentration. Hier die Zusammenfassung seines Artikels:
In „Le capital au XXIème siècle“ plädiert Thomas Piketty für eine drakonische Kapitalbesteuerung, um das Auseinanderdriften der Vermögen zu stoppen. Aber wegen ihrer schädlichen Anreizwirkung sind die von ihm anvisierten Steuersätze zu hoch. Eine Kombination aus niedrigeren Steuersätzen und einer aufgewerteten Rolle des öffentlichen Eigentums ist der Politikempfehlung Pikettys überlegen. Ein staatlicher Investitionsfond und ein Bundesaktionär sind die passenden Institutionen, damit das öffentliche Eigentum zu einer tragenden Säule der Wirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts werden kann.
Seine Kernüberlegung ist:
Wenn sehr hohe Kapitalsteuern wegen ihrer negativen Anreizwirkung ausfallen und dennoch die Vermögenskonzentration als zu hoch bewertet wird, sollte die Umverteilung schon vor dem Steuerzugriff ansetzen. D.h.: bei der Inanspruchnahme der Kapitaleinkommen. Dies ist möglich, sobald sich ein ausreichender Teil des Kapitals der Volkswirtschaft im öffentlichen Eigentum befindet. Denn die entsprechenden Kapitalerträge können in diesem Fall vollkommen gleichmäßig durch eine soziale Dividende an alle Bürger verteilt werden, womit der zunehmenden Ungleichheit entgegen gewirkt wird....
Eine gute Idee!  Kuwait, Norwegen und andere (meist nicht demokratische) Staaten machen das wohl schon. Was spricht eigentlich dagegen? Just Maastricht, stupid. Denn
Betrachten wir einsteigend das Problem der Bildung des öffentlichen Kapitals. Hierzu bedarf es keiner Enteignung. Der Staat kann an das erforderliche Kapital in Form z. B. von Aktienvermögen über Markttransaktionen kommen. Finanziert werden seine Aktienkäufe durch die Emission von staatlichen Schuldtiteln. Bei einem solventen Staat wie Deutschland sind seine Finanzierungskosten sehr niedrig, sodass die Kosten der damit einhergehenden Neuverschuldung mit einem kleinen Teil der aus dem Aktienvermögen erwirtschafteten Kapitalrendite gedeckt werden können. Wenn beispielsweise diese Kapitalrendite 6 % und der Zins auf Staatspapiere 1,5 % betragen, reicht ein Viertel der Kapitalrendite aus, um die Refinanzierungskosten zu decken. Tatsächlich könnte der Staat eine weitaus höhere Rendite erzielen und bei einem solventen Staat, der sich zum risikolosen Zins finanziert, bliebe ihm nach Zinszahlung die volle Risikoprämie übrig.

Übrigens war der klassische Finanzwissenschaftler Justi bereits 1762 der folgenden Meinung:
Der Aufwand des Staates muss zuförderst aus seinem unmittelbaren Vermögen bestritten werden.
Darüber wird heute kaum gesprochen; warum eigentlich nicht? Die bayerischen Staatsforsten sind doch, wie ich höre,  ziemlich profitabel!

Donnerstag, 9. Oktober 2014

Stiglitz zur Wirtschaftspolitik in Deutschland

Die Huffington Post berichtet über Stiglitz' Stellungnahme zur verfehlten deutschen Wirtschaftspolitik. Er befürwortet eine europäische Bankenunion und Eurobonds, weist auf die katastrophalen wirtschaftlichen Konsequenzen der Sparpolitik hin und bemerkt zutreffend dass die Rekord-Außenhandelsüberschüsse  nur die Kehrseite der schwachen Binnennachfrage und der schlechten wirtschaftlichen Performance Deutschlands sind. (Bei höherer Binnennachfrage in Deutschland wären die Importe höher und damit die Exportüberschüsse geringer. Außerdem wären die Exporte anderer Länder dann höher und deren Exportüberschüsse würden zunehmen, oder deren Exportdefizite würden sich verringern.)
Sehr lesenswert! Ich kann nur beipflichten.
Übrigens hat sich Stiglitz auf dem Nobelpreisträgertreffen in Lindau auch zur Ungleichheitsdebatte um Piketti geäußert, ziemlich ähnlich wie ich in einem früheren Beitrag.

Freitag, 3. Oktober 2014

Ordoarithmetik


Hier ein Post von Paul Krugman in deutscher Übersetzung:

Francesco Saraceno ist entsetzt und wütend auf Hans-Werner Sinn der unter anderem sagt, dass eine Deflation in  Südeuropa notwendig ist um die Wettbewerbsfähigkeit wiederherzustellen. Warum nicht Inflation in Deutschland?
Aber Saraceno versteht hier die deutsche Logik nicht. Wie die Deutschen es sehen befand sich ihre Wirtschaft  zum Ende der neunziger Jahre in einer Depression. Sie reduzierten ihre Lohnkosten, bekamen damit einen riesigen Wettbewerbsvorteil und erzielten gigantische Außenhandelsüberschüsse. Folgerichtig ist ihr Rezept für einen globalen Aufschwung dass jeder deflationiert, einen riesigen Wettbewerbsvorteil bekommt und gigantische Außenhandelsüberschüsse erzielt.
Man könnte denken dass hier ein  rein rechnerisches Problem auftritt, aber in Deutschland haben sie ihre eigene intellektuelle Tradition.
Aber mal Spaß beiseite: So zerstört man den Euro, ob mit Absicht oder ohne.  Vielleicht ist aber die regionale Lohnindexierung doch keine so schlechte Idee.

Montag, 22. September 2014

Die schwarze Null ist ein teurer Spaß

Finanzminister Schäuble ist "froh und dankbar" daß es ihm gelungen ist, für 2015 einen ausgeglichenen Haushalt durchzusetzen. Das ist ein teurer Spaß, denn es dürfte unmöglich sein, dringend benötigte Infrasturkturinvestitionen aus den laufenden Einnahmen zu finanzieren. Das wäre so wie wenn ein Privathaushalt sein Eigenheim ohne Kreditaufnahme finanzieren sollte. Dann gäbe es nicht viele Eigenheime - jedenfalls nicht für junge Familien. Natürlich sollten Investitionen, die über Jahrzehnte Nutzen stiften, mit Krediten finanziert werden, die über die Nutzungszeit getilgt werden, ebenso wie Eigenheime. Dies zu ermöglichen ist ja gerade ein entscheidendes Plus des modernen Kapitalismus (und der Finanzmärkte). Wie Vickrey zutreffend bemerkt:
Wenn General Motors, AT & T, und einzelne Haushalte gezwungen gewesen wären, ihre Haushalte in der Weise auszugleichen, wie dies die fiskalischen Fundamentalisten von der Bundesregierung  verlangen, gäbe es keine Aktien und Anleihen, keine Bankkredite, und und viel weniger Autos, Telefone, und Häuser.
Ebenso wie private Haushalte sollten auch öffentliche Haushalte Kredite aufnehmen, wenn der Nutzen aus der Investition die Kosten für die Zinsen und die Tilgung der Kredite übersteigt. Ferner: Um rentabel zu sein erfordern private Investitionen komplementäre öffentliche Investitionen - und das läßt sich mit einem ausgeglichenen Haushalt nicht optimal bewerkstelligen, wie Arrow und Kurz 1969 gezeigt haben.

Wie aber die Zukunftsinvestitionen finanzieren, wenn die Schuldenbremse eine sinnvolle Finanzierung verbietet? Schäuble hat eine Lösung: PPP - Public private partnership. Der Spiegel berichtet:
Schäuble will private Investoren dazu bewegen, sich bei Bau und Betrieb von Straßen im Rahmen von sogenannten Public-Private-Partnerships stärker als bislang zu engagieren. So hofft er, Milliarden an Investitionen für die Infrastruktur zu mobilisieren, die dem Staat bislang fehlen.
Diese Investitionen können nur erfolgen, wenn hinreichende Einnahmen aus diesen Investitionen zu erwarten sind. Hier gibt es zwei Möglichkeiten. Nehmen wir wieder den Straßenbau.
  1. Der Staatshaushalt zahlt für die Nutzung der Straßen jährlich an die Investoren eine  Nutzungsgebühr.
  2. Die Straßennutzung wird privatisiert. Die Investoren erhalten das Recht, Straßennutzungsgebüren zu erheben. 
Beide Alternativen sind ökonomisch ineffizient und, im Vergleich zum öffentlich finanzierten Straßenbau, sehr teuer.

Ein wesentlicher Faktor ist hier, daß die Verzinsung von Krediten, die der Staat aufnimmt, wesentlich niedriger ist als die Verzinsung von sonstigen Krediten, gleich welcher Bonität. Wenn die privaten Investitionen sich rentieren sollen, müssen die Kosten für die Straßennutzung unter PPP  allein schon deshalb höher sein als bei öffentlicher Finanzierung. Im ersten Fall sind damit die Kosten für die Steuerzahler unter PPP höher als bei staatlicher Finanzierung, im zweiten Fall sind die Kosten für die Straßennutzung bei PPP höher als sie sein müßten, wenn der Staat die Finanzierung der Investitionen über die Erhebung von Straßennutzungsgebühren selbst bewerkstelligen würde.

Darüber hinaus gibt es im Straßenbau unter PPP massive Probleme bei der Qualitätssicherung und der Monopolkontrolle, im Vergleich zur Finanzierung öffentlicher Investitionen mittels öffentlicher Kredite.

Was der Staat besser kann als die Privaten sollte der Staat machen. Deshalb gibt es ihn.

Freitag, 25. Juli 2014

Restriktive versus expansive Politik: Kansas und Kalifornien.

Hier ein Post von Paul Krugman, der die Wirkungen restriktiver und expansiver Politik gegenüberstellt, in Auszügen:
Die US-Bundesstaaten sind, wie Richter Brandeis bekannterweise bemerkt hat, die Laboratorien der Demokratie ... Kürzlich ist Kansas auf eine radikale angebotsorientierte Wirtschaftspolitik umgeschwenkt und hat die Steuern für die Reichen gesenkt, in der Hoffnung, damit die Initialzündung für einen großen Aufschwung zu geben. Der Aufschwung blieb aus, aber das Haushaltsdefizit ist explodiert -- ein Lehrbeispiel für alle, die willens sind, aus der Erfahrung zu lernen.

Es gibt noch eine größeres, aber nicht so drastisches Experiment in der anderen Richtung. Kalifornien hat lange unter politischer Lähmung gelitten ... Im Jahre 2012  wurden die Demokraten hinreichend stark um die zuvor von der republikanischen Minderheit erzwungene Blockade zu brechen. Gouverneur Jerry Brown war in der Lage, einige Maßnahmen, wie höhere Steuern, zusätzliche  Staatsausgaben und eine Erhöhung des Mindestlohnes durchzusetzen. ... 

Wie zu erwarten haben die Konservativen den Weltuntergang vorhergesagt. .... Aber was ist tatsächlich passiert? Ich bedaure: kein Anzeichen einer Katastrophe. Falls die Steuererhöhungen eine große Flucht aus Kalifornien verursacht haben sollten, kann man dies jedenfalls nicht in den Statistiken sehen. In den letzten 18 Monaten ist die Beschäftigung um 3,6% gestiegen. Zum Vergleich: In den USA insgesamt ist die Beschäftigung in diesem Zeitraum um 2,8% gestiegen. ...

Und übrigens, der kalifornische Staatshaushalt weist wieder einen Überschuss aus. ...

Der kalifornische Erfolg zeigt: Der ideologische Extremismus, der immer noch weite Bereichen der amerikanischen Politik dominiert, ist Unsinn.

Mittwoch, 23. Juli 2014

Ein wissenschaftlicher Rückschritt


Ein schönes Beispiel für die Verdrängung einer guten Theorie durch eine schlechtere Theorie findet sich in der makroökonomischen Konsumtheorie. Hier wurde James Duesenberrys Relativeinkommenshypothese aus dem Jahre 1949 durch Milton Friedmans Permanenteinkommenshypothese aus dem Jahre 1957 vollständig verdrängt in dem Sinne, dass sie in modernen Standard-Lehrbüchern wie etwa dem (ansonsten in vieler Hinsicht ausgezeichneten) Buch von Blanchard und Illing (2004) keine Erwähnung findet.

Bei der hier zu behandelnden Frage geht es um zwei empirische Regelmäßigkeiten. Die erste ist, dass zu einem gegebenen Zeitpunkt der Anteil der Ersparnis am Einkommen -- die Sparquote -- bei den Haushalten um so höher ist, je höher das Haushaltseinkommen ist:



Abbildung 1 Prozentuale Sparquote nach Einkommenshöhe.
Quelle: Brenke und Wagner, Wirtschaftsdienst 2013(2)



Die zweite Beobachtung ist, dass im Laufe der Zeit das Einkommen pro Kopf (in Kaufkraft gerechnet) stetig zunimmt:

  
Abbildung 2 Quelle: Ökonomenstimme (Link)


Das Pro-Kopf Einkommen hat sich also von 1950 bis 200 ungefähr verfünffacht. Das gilt für die Reichen und für die Armen. Aus der Sicht von 1950 sind die heutigen Armen reich, und aus heutiger Sicht sind die Reichen von 1950 arm. Dies führt auf das Problem, das den Ausgangspunkt von Duesenberrys Überlegungen bildet. Er schrieb 1949 (S. 26):
 Vor dreißig Jahren hat eine Durchschnittsfamilie mit einem Einkommen von 1500 $ (gerechnet in Preisen von 1940) 8 Prozent des Einkommens gespart. 1941 hat eine vergleichbare Familie nichts gespart. Man kann wohl kaum behaupten, dass in dieser Zeit das Sparbedürfnis, aus welchem Grunde auch immer, zurückgegangen wäre. Aus irgendeinem Grund ist das Bedürfnis nach Konsum gestiegen, das ist aber wohl schwerlich auf biologische Veränderungen oder gewachsene Bedürfnisses nach Komfort und Bequemlichkeit zurückzuführen.
Aus dieser Überlegung entwickelte er die These, dass sich die  Ersparnis nicht am absoluten Einkommen, sondern am relativen Einkommen orientiert. Wenn alle Einkommen sich verdoppeln, wird sich an dem in Abbildung 1 gezeigten Bild außer den Einkommensangaben nichts ändern. Die Einkommensangaben würden sich lediglich alle verdoppeln. Das zeigt sich auch daran, dass sie volkswirtschaftlich Sparquote über Jahrzehnte hinweg ziemlich konstant bleibt und keineswegs zunimmt, wenn alle Laute immer reicher werden.

Duesenberrys Erklärung war, dass die Menschen ihre Konsumentscheidungen an dem orientieren was sie als normal empfinden, und sie empfinden als normal, was sie um sich herum -- in ihrer "Bezugsgruppe", also bei den Menschen, mit denen sie sich vergleichen -- wahrnehmen. Diese These hat Duesenberry mit vielen Beobachtungen untermauert, z.B. mit der Beobachtung, dass die schwarzen Amerikaner durchschnittlich eine geringere Sparquote haben als die weißen, dass sich aber beim Vergleich von schwarzen und weißen Haushalten mit vergleichbarem Einkommen zeigt, dass die schwarzen Haushalte eine höhere Sparquote haben als die weißen. Dies steht im Einklang mit der Relativeinkommenshypothese, denn die Bezugsgruppen der schwarzen Haushalte verdienen weniger als die der weißen Haushalte, und entsprechend sind die Anschpruchsniveaus der schwarzen Haushalte geringer und sie konsumieren weniger und sparen mehr.. All das und vieles mehr hat Duesenberry mit umfangreichen Statistiken und Hinweisen auf eine Vielzahl soziologischer Studien zu dieser Thematik belegt.

Milton Friedman hat dies alles nicht angezweifelt, hat aber entgegengehalten, dass man eine viel einfachere Erklärung geben kann, die nicht auf soziologische Überlegungen zurückgreifen muss sondern rein ökonomisch bleiben kann und deshalb vorzuziehen sei. Seine Überlegung ist, dass man, wenn man weniger verdient als in seiner Bezugsgruppe durchschnittlich verdient wird, damit rechnen kann, dass das Einkommen nur vorübergehend niedrig ist und später entsprechend höher sein wird. Im Durchschnitt rechnet jeder damit, das zu verdienen, was in seiner Bezugsgruppe verdient wird. Jeder in einer Bezugsgruppe rechnet also mit einem ähnlichen "permanenten Einkommen"  und orientiert seine Konsumentscheidungen an diesem permanenten Einkommen. Entsprechend sparen die Armen wenig, weil sie damit rechnen, später reich zu werden, und die Reichen sparen viel, weil sie damit rechnen, später arm zu werden.

Auf den Mangel dieser Theorie muss ich nicht im einzelnen eingehen. Es erscheint insbesondere nicht besonders rational (um ein Lieblingsthema mancher Ökonomen aufzugreifen) bei relativ geringer sozialer Mobilität die Erwartung zu haben, bald reich oder bald arm zu werden.

Der bedeutende Ökonom Robert Frank hat dazu 2005 bemerkt:
Eine überwältigende Evidenz spricht dafür dass soziale Vergleichsprozesse wichtig sind: Deshalb ist es nur fair festzustellen, dass Duesenberrys Theorie auf realistischeren Annahmen über menschliches Verhalten beruht als die von Herrn Friedman.  Sie war außerdem erfolgreicher, das tatsächliche Ausgabeverhalten zu erklären. Dennoch bleibt seine Theorie, wie bemerkt, in den führenden Lehrbüchern unerwähnt.
Das hat sich seit 2005 nicht geändert. Es gibt aber neue Evidenz für Duesenberrys Theorie. Sie stammt aus der Neuroökonomie. Thomas Dohmen, Armin Falk, Klaus Fliessbach, Uwe Sunde und Bernd Weber haben mittels Funktioneller Resonanztomographie (fMRI, functional magnetic resonance imaginging) die Aktivität von Gehirnregionen untersucht, die auf Belohnungen ansprechen. Sie kommen zu dem Schluß:
Wir zeigen insbesondere dass der Aktivitätsgrad des ventral stratum mit zunehmendem absoluten Einkommen ansteigt und -- bei gegebenem absoluten Einkommen -- bei Verringerung des relativen Einkommens abnimmt.
Eine weitere Bestätigung von Duesenberrys These, diesmal aus neuro-ökonomischer Sicht.

Woher die sonderbare Ablehnung von Duesenberrys Überlegungen seitens der Ökonomen?

Die Ablehnung von Duesenberrys Theorie erfolgt wohl aus dem Bedürfnis vieler Ökonomen, alles soweit wie möglich "rein ökonomisch", d.h. aus Rationalverhalten und ohne Rückgriff auf psychologische oder soziologische Befunde, zu interpretieren. Sie nennen das dann "ökonomisch erklären".

Leider ist diese Schrebergartenmentalität -- die Weigerung, relevante Befunde aus anderen Disziplinen zur Kenntnis zu nehmen -- in der Ökonomie sehr verbreitet. Sie geht auf den österreichischen Volkswirt Carl Menger (1883) zurück und wurde in der modernen österreichischen Theorie etwa von Ludwig von Mises (1996) kultiviert. Friedman unterscheidet sich jedoch wohltuend von der Empiriefeindlichkeit dieser österreichischen Schule, weil er die Notwendigkeit empirischer Forschung betont. Er ist allerdings stolz darauf unrealistische Theorien zu vertreten wie er 1953 dargelegt hat. Seine Konsumtheorie steht insofern mit seinen methodischen Überzeugungen in Einklang.

Die Ökonomen sind ihm methodisch gefolgt. Die moderne Makroökonomik Chicagoer Provenienz treibt Friedmans theoretische Position auf die Spitze. Duesenberrys Theorie hat in dieser a-priori-Welt keinen Platz. Deshalb ist sie aus den Lehrbüchern verschwunden -- sogar überraschender Weise auch aus den neueren neo-keynesianischen Darstellungen, die in vielem Methodischen eher Chicago als Alfred Marshall und John Maynard Keynes folgen.

Es wird interessant sein zu sehen, wie die Entwicklung weitergeht.

Literaturhinweise

Blanchard, Olivier und Gerhard Illing (2008): Makroökonomie, 4. aktualisierte Auflage, Addison-Wesley (Link).

Dohmen, Thomas Johannes, Armin Falk, Klaus Fliessbach, Uwe Sunde und Bernd Weber:
Relative versus absolute income, joy of winning, and gender: Brain imaging evidence, Journal of Public Economics 2011, 95(3-4), 279-285 (Link)



Duesenberry, James (1949): Income, Saving, and the Theory of Consumer Behavior, Harvard University Press (Link).

Friedman, Milton (1957): A Theory of the Consumption Function, Princeton University Press (Link)

Friedman, Milton (1953): The Methodology of Positive Economics, in M. Friedman: Essays in Positive Economics, Chicago University Press  (Link)

Menger, Carl (1883): Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der politischen Ökonomie insbesondere. Mohr-Siebeck, Duncker und Humblot (Link)

Mises, Ludwig von (1996): Human Action: A Treatise in Economics, Liberty Fund, (Link)

Anmerkung: Ich habe Abbildung 1 neu angefertigt, da der ursprüngliche Link nicht mehr verfügbar war. (22.8.2021)




Sonntag, 29. Juni 2014

Pasinetti und Piketty (Leider lang und technisch)

Lance Taylor hat zu Recht auf den Zusammenhang von Thomas Pikettys Argumentation und den Überlegungen von Luigi Pasinetti aus dem Jahre 1962 hingewiesen. In dem Aufsatz zeigt Pasinetti, daß, wenn man von Besteuerung absieht,  langfristig der Zinssatz approximativ durch die Sparquote der Kapitaleinkommensbezieher mit der höchsten Sparquote und die Wachstumsrate der Wirtschaft bestimmt wird. Die Zinsbestimmung ist damit unabhängig von der Produktionstechnik. Man spricht deshalb auch vom "Pasinetti-Paradox".

Jedoch ist Pasinettis Ergebnis nicht an eine neo-keynesianische Modellierung gebunden, wie Lance Taylosrs Ausführungen nahelegen, sondern ergibt sich auch in strikt neoklassischen Modellen. Tatsächlich ist Pasinettis neo-keynesianische Formulierung sehr angreifbar weil sie die Annahme voraussetzt, dass die Reallöhne sich antizyklisch entwickeln was empirisch eher nicht der Fall ist. Jedoch sind Pasinettis Überlegungen von wesentlich allgemeinerer Bedeutung. Ich möchte deshalb die grundsätzliche Idee von Pasinetti in einem neoklassischen Rahmen erläutern und daran anschließend die Wirkung einer Vermögenssteuer, wie sie ja von Piketty gefordert wird, in diesem Zusammenhang diskutieren. Es wird sich zeigen dass die Einführung einer Vermögenssteuer immer dann sehr  problematisch wird, wenn man annimmt, dass höhere Ersparnis zu mehr Kapitalbildung führt. Eine Vermögenssteuer führt dann lediglich zu einer Erhöhung des Zinses um den Betrag der Steuer, sodass die Netto-Zinserträge unverändert bleiben und lediglich die Kapitalnutzungskosten erhöht werden, was die Reallöhne drückt.



Das Pasinetti-Paradox


Im folgenden versuche ich das, was ich allgemeiner in Schlicht (1975) formuliert habe, möglichst einfach darzustellen. Bezeichnen wir die Wachstumsrate mit g, die höchste Sparquote mit smax und den Zinssatz mit r, so laute diese Beziehung (die sogenannte Pasinetti-Relation)

(1)                   r=g / smax 

Die Überlegung, die hinter dieser Formel steht, ist die folgende.Wir betrachten n Gruppen von Haushalten und indexieren wir sie mit i=1,2,... n. Die Haushalte in jeder Gruppe sind gleich, aber die Gruppen unterscheiden sich untereinander. Jeder Haushalt bezieht Einkommen, das sich aus Lohneinkommen und Kapitaleinkommen zusammensetzt. Aus diesem Einkommen wird gespart. Das führt zu weiterer Kapitalbildung und damit zu einer eine Erhöhung des Kapitaleinkommens. Diejenigen, die mehr sparen, bekommen dann auf die Dauer das höchste Kapitaleinkommen und letztlich auch das höchste Einkommen. Daraus resultiert Vermögenskonzentration.  


Bezeichne  wi das Lohneinkommen eines Haushalts der Gruppe i und  ki sein Kapitalvermögen. Bei einem Zinssatz r resultiert daraus ein Einkommen aus Kapitalbesitz in Höhe rk . Zusammen mit dem Lohneinkommen wi ergibt sich dann das Einkommen des Haushalts i als yi=wi +rki. Handelt es sich um einen Haushalt, der kein Lohneinkommen bezieht, so ist wi =0. Jeder Haushalt in der Gruppe i spart mit der Sparquote si . Somit ergibt sich für jeden Haushalt in der Gruppe i die Ersparnis Si = s yi und somit Si = s (wi +rki). Das Haushaltsvermögen in der Gruppe i erhöht sich um diese Ersparnis. Die Wachstumsrate des Vermögens in der Gruppe i ist damit gegeben durch die Erhöhung des Kapitalvermögens dividiert durch das Kapitalvermögen, also Si /ki  oder das Verhältnis der Ersparnis Szum Vermögen ki . Wir bezeichnen die Wachstumsrate des Vermögens der Gruppe i mit gi  und können also schreiben:

(2)                    gi = s wi/ki +si r.    
Wir betrachten nun die Gruppe i =max mit der maximalen Sparquote smax. Für diese gilt

(3)                   gmax > smax r .
Wenn nun der Ausdruck smax größer ist als die allgemeine Wachstumsrate g des Vermögens in der Volkswirtschaft, nimmt der Anteil des Vermögens der Gruppe i=max laufend zu. Damit steigt das Einkommen, das die Gruppe max erhält. Da diese Gruppe eine höhere Sparquote als alle anderen hat, nimmt die volkswirtschaftliche Ersparnis und damit die Kapitalbildung zu. Das führt zu niedrigeren Zinsen. Die niedrigeren Zinsen reduzieren gemäß (3) die Wachstumsrate  gmax der Gruppe mit der höchsten Wachstumsrate. Das geht so weiter, bis die Wachstumsrate   gmax  gleich der allgemeinen Wachstumsrate g ist. Dann gilt g=smax  wmax/kmax +smax r. Wenn diese Gruppe ausschließlich Kapitaleinkommen und kein Lohneinkommen erhält (wmax=0), wie Pasinetti annimmt, ergibt sich daraus die Pasinetti-Beziehung (1). Sie ergibt sich auch approximativ, wenn das Verhältnis wmax/kmax praktisch Null ist, wie man bei Superreichen annehmen kann, denn ihr Lohneinkommen ist, wenn überhaupt vorhanden, nur ein Bruchteil ihres Vermögens. (Für einen Milliardär mit einem Lohneinkommen von einer Million pro Jahr wäre das Verhältnis w/k=1.000.000/1.000.000.000=1/1000.)

(Falls die maximale Sparquote smax gleich Eins ist, reduziert sich (1) zu r=g. Ein solcher Zustand erfüllt die "goldene Regel" und hat die Eigenschaft, dass der gleichgewichtige Konsum maximiert wird, siehe Phelps und von Weizsäcker. Im allgemeinen können wir davon ausgehen, dass smax nahe bei Eins liegt und daß mithin die goldene  Regel approximativ erfüllt ist.)

Wie sieht es für die anderen Gruppen aus? Bei diesen Gruppen ist  si r. < smax r. Handelt es sich um Haushalte, die kein Lohneinkommen beziehen ("Kapitalisten", wi = 0), so ist die Wachstumsrate ihres Vermögens kleiner als die allgemein Wachstumsrate g. Ihr Anteil am Kapitalbesitz geht gegen Null. Für die Haushalte mit positivem Lohneinkommen wird sich die Wachstumsrate des Vermögens auf die allgemeine Wachstumsrate g einstellen. Man erhält dann s wi/ki +si r=g und mithin

(4)                    ki = wi/(g-si r).
Im Gleichgewicht ist also, bis auf die Gruppe mit der höchsten Sparquote, das Vermögen ein Vielfaches des Lohneinkommens, wobei der Vervielfachungsfaktor  progressiv mit der Sparquote zunimmt.. Die allgemeine Lohnentwicklung wird folgen. Die allgemeine Lohnentwicklung wird mithin dadurch charakterisiert sein, daß die Löhne mit der allgemeinen Wachstumsrate g wachsen.

Wenn wir vernünftigerweise annehmen daß die Sparquote der Haushalte sich mit steigendem Einkommen erhöht ergibt sich daraus, daß die Vermögensverteilung wesentlich ungleicher ist als die Lohnverteilung. Das trifft empirisch zu. 


Aus der Beziehung (2) ergibt ist auch der Anpassungsprozess von ki an den in (4) angegebenen Gleichgewichtswert ersichtlich. Gemäß (2) nimmt die Wachstumsrate des Vermögens einer Gruppe mit zunehmenden Vermögen ab. Bei dem in (4) gegebenen Wert wächst das Vermögen der betrachteten Gruppe i gerade mit der allgemeinen Wachstumsrate g. Liegt das Vermögen dieser Gruppe über diesem Wert, so wächst das Gruppenvermögen langsamer als die Wachstumsrate und der Einkommensanteil dieser Gruppe nimmt ab. Umgekehrt nimmt das Vermögensanteil zu, wenn das Vermögen unter dem in (4) gegebenen Wert liegt.


Soviel zu Pasinetti. Für die an der Wissenschaftsgeschichte interessierten Leser sei an dieser Stelle bemerkt, dass ich es in meinem Aufsatz von 1975 nicht nötig befinden hatte, Pasinetti explizit zu zitieren. In der Einleitung hatte ich lediglich bemerkt, daß mein Modell zu Klassensparverhalten à la Pasinetti führt. Der Hintergrund ist der, daß um 1975 jeder Makrotheoretiker das Pasinetti-Paradoxon kannte und dass es deshalb nicht gesondert erläutert werden mußte. Heutzutage ist das wohl anders, sonst hätte wohl kaum der repräsentative Haushalt à la Lucas in die Makrotheorie Einzug halten können.



Die Wirkung einer Vermögenssteuer

Nun aber zum Thema: der Wirkung einer Vermögenssteuer auf die Vermögensverteilung.
Betrachten wir eine Vermögenssteuer von t. Sie wird auf das Vermögen erhoben und wirkt wie ein negativer Zinssatz. Das Kapitaleinkommen eines Haushalts der Gruppe i reduziert sich damit von rki auf  (r-t)ki . Damit wird die Pasinetti-Rekation (1) zu r-t = g / smax oder

(5)                    r =  g / smax + t .       
Eine Vermögenssteuer erhöht langfristig das Zinsniveau um die Rate der Vermögensbesteuerung. Entsprechend werden für die Unternehmungen die Kredite teurer und die Kapitalkosten steigen. Es wird deshalb Kapital durch Arbeit substituiert und die Reallöhne fallen. Insgesamt stehen dann alle schlechter da.


Der gleich Effekt tritt ein, wenn eine Einkommenssteuer von t erhoben wird. (Genau genommen geht es nur um den marginalen Steuersatz, also die Steuer, die zusätzlich gezahlt werden muß, wenn das Einkommen sich um einen Euro erhöht.)


Wenn wir hinreichende Heterogenität voraussetzten, wird die maximale Sparquote smax nahe bei Eins sein. (Genau genommen geht es hier übrigens wiederum um die marginale Sparquote, aber die hier gemachten Überlegungen haben die Unterscheidung zwischen durchschnittlicher und marginaler Sparquote vernachlässigt.)  Wenn smax ~ 1 ist reduziert sich (5) auf

(6)                    r ~ g +t

Damit wird deutlich, dass eine Vermögenssteuer nicht geeignet ist, den  empirischen Sachverhalt r > g  zu kompensieren, denn r > g  ist eine Konsequenz der Einkommens- und Vermögensbesteuerung. Je höher die Besteuerung t, umso höher wird die Differenz zwischen r und g . Im Rahmen von Pasinettis Überlegungen ist es deshalb abwegig, die Vermögenskonzentration durch Besteuerung zu bekämpfen, denn langfristig wird die Nettoverzinsung des Vermögens durch eine Einkommens- oder Vermögenssteuer nicht tangiert, wohl aber werden wegen nunmehr geringerer Kapitalausstattung der Arbeitsplätze die Reallöhne gesenkt, was einen Nachteil für die Lohnbezieher bedeutet. Siehe dazu auch  Bourgignon (1981).


Zwei Nachbemerkungen

Erstens ein Quellenhinweis. Das, was ich oben über Steuerwirkungen in der neoklassischen Variante von Pasinettis Überlegungen ausgeführt habe, stammt meinem Gedächtnis nach ursprünglich von einem japanischen Ökonomen und wurde in einer japanischen Zeitschrift um ca. 1980 auf englisch publiziert. Trotz sehr intensiver Suche meinerseits habe ich den Beitrag aber nicht finden können und habe ihn auch nicht mehr in meinen Unterlagen. Deshalb kann ich hier leider nicht korrekt zitieren und muss mich auf diesen Hinweis beschränken.

Zweitens eine wichtige Einschränkung der gesamten Argumentation: Eine wichtige Voraussetzung  ist, dass eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Ersparnis zu höherer Kapitalbildung führt. Das ist zwar bei Vollbeschäftigung der Fall, bei Unterbeschäftigung kann aber die gegenteilige Wirkung eintreten: Wenn die Besteuerung der hohen Einkommen die volkswirtschaftliche Sparquote reduziert, wird die Nachfrage größer, die Investitionen nehmen zu und am Ende steigt die volkswirtschaftliche Ersparnis -- das ist das bekannte Sparparadox. Das macht dann die gesamte Argumentation für den Fall der Unterbeschäftigiung hinfällig. Letztlich geht es immer um Förderung der Kapitalbildung zwecks Steigerung der Produktivität der Arbeitsplätze.



Literatur:


Bourguignon, F. (1981): Pareto Superiority of Unegalitarian Equilibria in Stiglitz' Model of Wealth Distribution with Convex Saving Function. Econometrica 49(6), 1469-75. (Link)
 
Pasinetti, Luigi (1962).:  Rate of Profit and Income Distribution in Relation to the Rate of Economic Growth 1962  Review of Economic Studies, S. 267-279 (Link) deutsch in Schlicht, E. (1976): Einführung in die Verteilungstheorie, Rowohlt: Reinbek, S. 205-222). (Die Stabilitätsbetrachtung in diesem Aufsatz ist etwas problematisch, aber die Gleichgewichtsbedingungen treffen zu und lassen sich auch mit anderen Stabilitätsmevchanismen herleiten, wie etwa bei Meade oder Samuelson und Modigliani oder auch wie in einem früheren Blog.)


Piketti, Thomas (2014), Das Kapital im 21. Jahrhundert, aus dem Französischen von Ilse Utz und Stefan Lorenzer C.H. Beck, München (Link)

Schlicht, E. (1975): A Neodassical Theory of Wealth Distribution. Jahrbücher für 
Nationalökonomie und Statistik 189(1/2) , 1975, 78-96. (Link)