Freitag, 19. April 2013

Warum Staatsverschuldung expansiv wirkt, insbesondere auch langfristig

In diesem Eintrag versuche ich möglichst allgemeinverständlich zu erklären, warum die Staatsverschuldung expansiv wirkt, und zwar nicht nur kurzfristig ("Strohfeuer") sondern auch langfristig. Dabei sei angemerkt, dass eine expansive Wirkung keinesfalls immer erwünscht ist. In Phasen der Hochkonjunktur würde eine Expansion zu Preissteigerungen führen, in Phasen der Depression ist dagegen Expansion aus verschiedenen Gründen erwünscht (Erhöhung der Produktion und der Beschäftigung, Weiterqualifikation der Arbeitskräfte im Produktionsprozeß, Erhöhung der Investitionsnachfrage, und damit Verbesserung des Produktionsapparates für die Zukunft, aber auch Reduktion der Selbstmordraten und Bekämpfung des Extremismus).

Die Überlegung erfolgt in zwei Schritten: Erstens wird gezeigt, das eine ständige Neuverschuldung nicht zu einer Schuldenexplosion führt, und zweitens wird dann erläutert, warum sich der finanzielle Spielraum der Haushalte durch Staatsverschuldung erweitert, und zwar auch langfristig, was dann zu der expansiven Wirkung der Staatsverschuldung führt.

Abschliessend füge ich noch einige Bemerkungen an, die bei dem einen oder anderen Leser das Verständnis erleichtern könnten.  

1. Die langfristige Stabilisierung der Schuldenquote bei fortwährender Neuverschuldung

Die Wachstumrate der Staatsschuld ist gegeben durch

                                                          Defizit
Wachstumsrate der Staatsschuld =   -----------------------------
                                                            Staatsschuld

Wenn der Staat also stets und fortlaufend 10% seiner Ausgaben für Güter und Dienste durch Kreditaufnahme finanziert, erhalten wir

                                                                      Staatsausgaben
Wachstumsrate der Staatsschuld =  0,1*  -----------------------------
                                                                       Staatsschuld

(Die Staatsausgaben schließen hier noch nicht die Zinszahlungen für Kredite an den Staat ein. Diese müssen durch zusätzliche Steuern finanziert werden.)

Wir betrachten nun -  ähnlich wie in einem früheren Eintrag -  eine Wirtschaft die nominal mit 4% wächst und bei der die Staatsausgaben ebenfalls um 4% wachsen. Die Staatsausgaben betragen 30% des Bruttoinlandsprodukts -- dreißig Prozent der Wirtschaftsleistung wir mithin für öffentlich finanzierte Aufgaben verwendet. Dann ergibt sich


                                                                                 0.3*Bruttoinlandsprodukt
         Wachstumsrate der Staatsschuld =  0,1* -------------------------------------
                                                                       Staatsschuld

also

                                                                          Bruttoinlandsprodukt
Wachstumsrate der Staatsschuld =  0,03*  -----------------------------
                                                                       Staatsschuld

Wenn das Bruttoinlndsprodukt mit 4% wächst, wird die Staatsschuld langfristig auch mit 4% wachsen. Würde sie schneller wachsen, so würde der Zähler schneller zunehmen als der Nenner und die Wachstumsrate der Staatsschuld würde zurückgehen bis Zähler und Nenner mit der gleichen Rate wachsen; würde die Staatsschuld langsamer wachsen als das Bruttoinlndsprodukt, so würde die Wachstumsrate der Staatschuld zunehmen bis Zähler und Nenner mit der gleichen Rate wachsen. Bei einer Wachstumsrate von 4% erhalten wir mithin


                        Bruttoinlandsprodukt
0,04 =  0,03*  -----------------------------
                       Staatsschuld 
oder
 
   Bruttoinlandsprodukt             4
  ---------------------------------    =    ----
            Staatsschuld                    3
 Da die Schuldenquote das Verhältnis von Staatsschuld zu Bruttoinlandsprodukt angibt, erhalten wir mithin das Ergebnis dass die sich langfristig auf einem Wert von 3/4, also 0,75% stabilisiert. Die anhaltende und dauernde Neuverschuldung des Staates führt also nicht zu einer Schuldenexplosion. (Dieses Ergebnis hängt nicht von den gewählten Werten für Wachstumsrate, Defizitquote usw,  ab, wie man leicht sehen kann, wenn man andere Werte einsetzt.)


2. Die Erweiterung des finanziellen Spielraum der Haushalte bei fortwährender Neuverschuldung des Staates


Vergleichen wir nun das verfügbare Einkommen der Haushalte in der betrachteten Wirtschaft für zwei Fälle: Der erste Fall ist der eines stets augeglichenen Staatshaushalts, der andere der im ersten Abschitt betrachtete mit einer Schuldenquote von 4/3.

1. Im ersten Fall (keine Staatsverschuldung) ist das verfügbare Einkommen der Haushalte gegeben durch ihr Einkommen vor Steuern (also das Bruttoinlandsprodukt) abzüglich der Steuern. Da der Staat keine Staatsschulden zu bedienen hat, sind die Steuern gleich seinen Ausgaben. Dies betragen in unserem Beispiel 30% des Bruttoinlandsproduktes. Bei ausgeglichenem Staatshaushalt erhalten wir also:

Verfügbares Einkommen = 0,7*Bruttoinlndsprodukt

2. Im zweiten Fall (bei ständiger Neuverschuldung in Höhe von 10% der Staatsausgaben) ist die Angelegenheit etwas komplizierter. Der Staat muss mit seinen Steuereinnahmen 90% der Staatsausgaben decken und zusätzlich Zinsen für die Bedienung der Staatsschuld zahlen. Nehmen wir an, der Zinssatz sei 5%. Dann sind die Steuern

0,9*Staatsausgaben + 0,05*Staatsschuld

Das verfügbare Einkommen der Haushalte ergibt sich daraus, dass die Haushalte von ihrem Einkommen vor Steuern (dem Bruttoinlandsprodukt) die Steuern abziehen und, da sie Zinseinkünfte aus dem Besitz von Staatspapieren haben, diese Zinseinkünfte hinzufügen. Die Zinszahlungen, die der Staat an die Haushalte leistet, sind 0,05*Staatsschuld. Wenn wir also vom Bruttoinlandsprodukt die Steuern von 0,9*Staatsausgaben + 0,05*Staatsschuld abziehen und die Zinseinkünfte von 0,05*Staatsschuld hinzuzählen, erhalten wir als verfügbares Einkommen der Haushalte

Verfügbares Einkommen = Bruttoinlndsprodukt - 0,9*Staatsausgaben

In unserem Beispiel betragen die Staatsausgaben 30% des Bruttoinlandsproduktes. Damit ergibt sich dannfür den Fall dauerhafter Staatsverschuldung

Verfügbares Einkommen = (1 - 0,9*0,3)*Bruttoinlndsprodukt
und mithin

Verfügbares Einkommen =  0,73*Bruttoinlandsprodukt

Gegenüber dem ersten Fall hat das verfügbare Einkommen der Haushalte also um 3% des Bruttoinlandsproduktes zugenommen.

Woher die wundersame Einkommenserhöhung?

Um das Ergebnis besser zu verstehen diskutieren wir den Übergang von einer Politik des ausgeglichenen Budgets zu einer wie oben beschriebenen Schuldenpolitik in zwei Fällen: Erstens bei Vollbeschäftigung, wo die Produktion nicht erhöht werden kann, und zweitens bei Unterbeschäftigung, wo das  Produktionspotential teilweise brach liegt.

Vollbeschäftigung. Wenn alle Ressourcen in der Wirtschaft ausgelastet sind, kann keine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes erfolgen. Wenn unter diesen Bedingungen der Staat von einer Politik des ausgeglichenen Budgets zu einer wie oben beschriebenen Schuldenpolitik wechselt, entsteht zusätzliches verfügbares Einkommen von 3% des Bruttoinlandsproduktes. Das wird zu zusätzlicher Güternachfrage führen, die aber nicht bedient werden kann. Preissteigerungen sind die Folge. Den Haushalten geht es nicht besser, weil nicht mehr Güter und Dienste zur Verfügung stehen. Die Einkommenserhöhung ist nur nominal. Die Staatsschuld wirkt so wie wenn der Staat Geld drucken und an alle Haushalte verschenken würde.

Unterbeschäftigung.  Sind die Produktionskapazitäten in der Volkswirtschaft nicht voll ausgelastet, so führt der Übergang zu einer Schuldenpolitik zu einer Erhöhung des verfügbaren Einkommens der Haushalte und damit zu einer Erhöhung der Nachfrage nach Gütern und Diensten. Dieser Nachfrage kann entsprochen werden, da Überkapazitäten zur Verfügung stehen. Das Bruttoinlandsprodukt kann steigen. Damit steigen Produktion und Einkommen. Die Einkommenserhöhung ist real. Die Staatsschuld wirkt auch hier so wie wenn der Staat Geld drucken und an alle Haushalte verschenken würde.

Letzten Endes geht es also darum, die vorhandenen Kapazitäten der Volkswirtschaft voll auszulasten. Die Finanzpolitik ist ein Mittel dazu (nicht das einzige). Bei Inflation sollte der Staat seine Staatsschulden abbauen (Steuererhöhungen oder Kürzungen der Staatsausgaben), bei Unterbeschäftigung sollte der Staat die Verschuldung erhöhen (Steuersenkungen oder Staatsausgabenerhöhungen). 

Welche Schuldenquote sich dabei ergibt ist ziemlich gleichgültig. Wie Stephan Kaufmann richtig bemerkt
 Es gibt beides – niedrige Schulden und geringes Wachstum wie auch hohe Schulden und hohes Wachstum.
Der Hintergrundaufsatz zu diesem Blog findet sich hier.



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