Donnerstag, 25. April 2013

Ricardianische Äquivalenz -- ein nützlicher Aberglaube?

Die theoretische Gültigkeit der  Ricardianische Äquivalenzthese lässt sich mit einem einfachen Beispiel widerlegen. Diese Widerlegung gilt aber nicht nur in diesem Beispiel, sondern ganz allgemein. Derartige Einsichten treffen aber allseits auf den größten Widerstand. Interessanterweise, so mein Eindruck, ist dieser intellektuelle Widerstand nicht mit wirtschaftspolitischen Überzeugungen korreliert, wie man vielleicht erwarten könnte, denn auch Ökonomen, die sich in der gegenwärtigen Situation für zusätzliche kreditfinanzierte Staatsausgaben aussprechen, lassen sich nicht überzeugen. Typischerweise mutmaßen sie, das irgendetwas an dem Beispiel falsch sein müsse und machen oft Vorschläge zur Änderung der Annahmen oder Definitionen, die dann die Gültigkeit der Äquivalenzthese ermöglichen könnten, aber niemand hat dies wirklich zeigen können. (Eine Ausnahme bildet der Vorschlag eines Editors, Zinseinkommen, die aus dem Besitz von Staatspapieren herrühren, nicht zum verfügbaren Einkommen der Haushalte zu rechnen. Das ist zwar ökonomisch hirnrissig und widerspricht der üblichen und sinnvollen Definition, ist aber immerhin mathematisch stimmig.)

Dieser intellektuelle Widerstand war mir immer ein Rätsel. An sich, so dachte ich, bringt mein Nachweis, dass Verhalten gemäß der Ricardianischen Äquivalenzthese stets irrational ist, die Theorie näher an die Realität, denn nunmehr muss aus dem tatsächlichen Verhalten, welches im Widerspruch zur Ricardianischen Äquivalenzthese steht, nicht gefolgert werden, dass sich die Haushalte systematisch irrational verhalten und eröffnet (oder erweitert) so die Möglichkeit sinnvoller Theoriebildung in diesem Bereich. Aber diese Vermutung meinerseits hat sich als Irrtum herausgestellt.

So bleibt also die Frage: Warum ist die Äquivalenzthese so anziehend?

Ich habe jetzt eine Vermutung, die an Paul Samuelsons Überlegungen zum ausgeglichenen Staatshaushalt anknüpft. (Die Aussagen sind einem Interview entnommen, das Samuelson ca. 1988 dem bekannten Ökonomen Marc Blaug gegeben hat und in dem er Reagans Defizitpolitik als missverstandenen Keynesianismus geißelt.)

Samuelson nimmt zur Frage des ausgeglichenen Staatshaushaltes wie folgt Stellung:
"Der Aberglaube, dass der Staatshaushalt immer ausgeglichen sein müsse, enthält einen Kern von Wahrheit. Wenn dieser Glaube als Aberglaube entlarvt ist, fällt ein Bollwerk, das jede Gesellschaft benötigt, um sie vor unkontrollierten Ausgaben zu schützen. Die Allokation der Ressourcen muss diszipliniert erfolgen, sonst sind anarchisches Chaos und Ineffizienz unausweichlich."
Er fährt dann fort
"Eine der Funktionen der herkömmlichen Religion war, die Menschen durch Einflößung von Furcht  ... zu einem Verhalten zu veranlassen, das in zivilisierten Gesellschaften langfristig unabdingbar ist. Wir haben nun den Glauben zerstört, dass der Staatshaushalt jedes Jahr, oder wenigstens über kurze Zeitspannen hinweg, ausgeglichen sein sollte. ... Wenn Premierminiter Gladstone jetzt zum Leben erwachen würde, würde er sagen 'Oh,oh, oh, was habt ihr da nur gemacht?' ...  Ich  muss ich sagen, dass ich eine solche Reaktion nachvollziehen kann."
Hier spielt Samuelson auf die verbreitete (und, wie ich finde, falsche und zynische) Sicht der Religion als einer nützlichen Illusion an.  Moderne aufgeklärte Religionen sind aber nicht logisch falsch, wie dies bei der Ricardianischen Äquivalenzthese der Fall ist.

Aber nehmen wir die These, dass der Staatshaushalt stets ausgeglichen sein müsse, als nützliche Illusion, und nehmen wir ferner an, dass die Ricardianische Äquivalenzthese zutrifft (was nicht der Fall ist). Dann haben wir zwei Thesen:
  1. Der Staatshaushalt muss stets ausgeglichen sein (Schuldenbremse).
  2. Zur Finanzierung von Staatsausgaben sind Steuern und Defizite äquivalent (Äquivalenzthese). 
Wie Samuelson bemerkt, haben die Ökonomen den Glauben an die Notwendigkeit einer Schuldenbremse (These 1) zerstört. Wenn man die These aber für eine nützliche Illusion hält, kann man die These 2 (die Ricardianische Äquivalenzthese) heranziehen, um die These 1 als nützliche Illusion in gewisser Weise aufrecht zu erhalten. Die Argumentation ist wie folgt:
Die These 2 besagt, dass zur Finanzierung von Staatsausgaben Steuern und Defizite äquivalent sind. Deshalb können wir uns zur Vereinfachung die Forderung aufstellen, dass der Staatshaushalt stets ausgeglichen sein soll (Schuldenbremse). Zwar ist These 1 strikt genommen falsch, aber These 2 besagt, dass These 1 ohne Beschränkung der Allgemeinheit aufrecht erhalten werden kann.
Auf diese Weise könnte die Ricardianische Äquivalenzthese (wenn sie richtig wäre, was nicht der Fall ist) zur Stützung der nützlichen Illusion, wie sie These 1 annahmegemäß beinhaltet, herangezogen werden.

Wenn These 1 eine nützliche Illusion beinhaltet, könne These 2 mit dieser Argumentation ebenfalls als nützliche Illusion bezeichnet werden. Da sie aber erkennbar logisch falsch ist, sollte die Ricardianische Äquivalenzthese vielleicht dann besser als "nützlichen Aberglaube" bezeichnen.

These 1 ist aber tatsächlich keine nützliche sondern, im Vergleich zu möglichen Alternativen, ein schädlichen Aberglauben, wie etwa die Regel: "Wenn Du dünn bist, faste; wenn Du Übergewicht hast, lange kräftig zu". Dies entspricht exakt der Maxime zur Haushaltskonsolidierung, die ja auf die Maxime hinausläuft: "Bremse die Wirtschaft in schlechten Zeiten und tätige zusätzliche Ausgaben in guten Zeiten!"

Samuelson hat übrigens 1988 zu Reagans Schuldenpolitik bemerkt:
"Es ist überhaupt nicht widersprüchlich, damals [zur Zeit von Herbert Hoover] für ein Defizit zu sein und sich gegenwärtig dagegen auszusprechen."
Entsprechend würde ich sagen, dass heutzutage in Europa (mit der gegenwärtigen Rekordarbeitslosigkeit) Defizite aller Staatshaushalte zusammengenommen die unausweichliche Konsequenz sinnvoller expansiver Maßnahmen sind, ebenso wie zu Zeiten von Wirtschaftsbooms Haushaltsüberschüsse die notwendige Konsequenz der dann angebrachten kontraktiven Maßnahmen sind. Vor allem aber sind expansive Maßnahmen in Deutschland erforderlich um die Lohnentwicklung in Deutschland an das Inflationsziel der EZB anzupassen und die Lohnkostendisparitäten innerhalb Europas einzuebnen.

Quelle der Zitate: Mark Blaug, John Maynard Keynes, New York  (St. Martin's Press) 1990, S. 63.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen.. 

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