Dienstag, 10. Dezember 2013

Ergänzung zu Volker Casparis Bemerkungen zum Mindestlohn

Lieber Volker Caspari,

ich wollte eine Ergänzung zu Ihrem Kommentar verfassen. Die ist aber länger geraten als  die Blogger-Software das für Antworten akzeptiert. Deshalb hier meine leider etwas langatmig gewordenen ergänzenden Bemerkungen:

Wenn die Haushalte ihre Gaststättenbesuche einschränken und ihr Bier zu Hause trinken, haben sie weniger Ausgaben für Gaststättenbesuche. Das Eingesparte können sie entweder sparen oder anderweitig ausgeben. Wenn sie tatsächlich mehr sparen wäre die Situation wohl etwa so, wie Sie es beschreiben und wie sie auch meistens dargestellt wird.

Das Argument berücksichtigt aber noch nicht die weiteren Wirkungen der Einsparung bei Gaststättenbesuchen bezüglich anderer Ausgaben. Unter diesem Gesichtspunkt muss die Skepsis bezüglich mancher Haltungen zum Mindestlohn nur noch größer werden.

Es ist wohl so, dass die Haushalte das Eingesparte nicht einfach sparen sondern anderweitig ausgeben Dann entsteht anderweitig zusätzliche Nachfrage, die dann anderweitig zu zusätzlicher Beschäftigung führt. Vielleicht leisten die Haushalte sich mit dem Eingesparten eine etwas bessere Ausstattung ihres neuen Autos. Dann ist die Frage: Ist diese zusätzliche Beschäftigung geringer, gleich oder größer als der Beschäftigungsrückgang bei den Gaststätten aufgrund des wegen Mindestlohn erhöhten Lohnes? Man könnte denken, dass die zusätzliche Beschäftigung anderweitig höhere Lohnkosten pro Beschäftigten bedingt als bei der ausgefallenen Beschäftigung, und dass deshalb weniger zusätzliche Beschäftigung erfolgt als ursprünglich entfallen ist. Das ist aber keineswegs notwendigerweise so, denn die höher bezahlten Arbeitsplätze erfordern weitaus höhere Investitionen pro Arbeitsplatz. Die aus der zusätzlichen Nachfrage für Autoausstattung abgeleitete Nachfrage ist die zusätzliche Arbeitsnachfrage in der Automobilindustrie und die zusätzliche abgeleitete Nachfrage nach Ausstattung dieser Arbeitsplätze. Dies hat wieder Beschäftigungswirkungen bei den Branchen zur Folge, die die Ausstattung dieser Arbeitsplätze produzieren, u.s.w. (Natürlich müsste man entsprechend auch in dem ursprünglichen Argument beim Ausfall von Beschäftigung im Gaststättengewerbe den abgeleiteten Beschäftigungsausfall bei den Zulieferern des Gaststättengewerbes berücksichtigen.)

Letztlich ist die Beschäftigungswirkung aufgrund der Verlagerung der Nachfrage, wie sie möglicherweise durch einen Mindestlohn erfolgen könnte, unklar. In einem Input-Output-Kontext könnte ein höherer Mindestlohn ebenso zu einer höheren wie auch einer geringeren Beschäftigung führen. Man müsste wirklich eine sorgfältige Input-Output-Analyse machen wenn man irgendetwas Substantielles sagen wollte. Interessanterweise wird das nicht gemacht.

Ich selbst hätte die Erwartung, dass eine solche Analyse praktisch keine Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes aufzeigen würde, selbst wenn im Gaststättengewerbe deutliche Beschäftigungswirkungen eintreten würden,  aber das ist eine reine Vermutung die sich allein auf meine Erinnerung an eine entsprechende Input-Output-Analysen des DIW aus den achtziger Jahren stützt. Aber wie dem auch sei, ich erwarte keine wesentlichen Beschäftigungswirkungen durch den Mindestlohn. Eine definitive Aussage zu den Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes steht auf jeden Fall noch aus, ungeachtet der definitiven Äußerungen des Sachverständigenrats, die ich für völlig aus der Luft gegriffen halte.

Vielleicht  sollte ich noch anmerken, dass meine grundsätzliche Sympathie für den Mindestlohn mit den (wohl eher nicht vorhandenen) negativen Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes nur wenig zu tun hat. Ich denke eher, dass die Lohnstruktur (also die Differenz zwischen den Entlohnung verschiedener Tätigkeiten) sowohl unter Gerechtigkeits- als auch unter Effizienzgesichtspunkten zu stark gespreizt ist. (Die Lohndifferentiale sind zu groß.) Die empirischen Studien weisen nun aber darauf hin, dass ein Mindestlohn die Lohnstruktur zumindest im unteren Bereich staucht, also die Lohnspreizung verringert. Das ist sowohl unter Effizienzgesichtspunkten als auch unter Gerechtiglkeitsaspekten zu befürworten, völlig unabhängig von den (wohl eher nicht vorhandenen) Beschäftigungswirkungen eines Mindestlohnes. (Siehe dazu auch meinenBeitrag.)

Wie Sie richtig bemerken ist die Arbeitsnachfrage eine aus der Nachfrage für Güter und Dienste abgeleitete Nachfrage, die einfach durch expansive Nachfragepolitik geschaffen werden kann. Deshalb sollte die Mindestlohnfrage m.E. nicht unter Beschäftigungsgesichtspunkten sondern unter Allokationsgesichtspunkten behandelt werden.

Dienstag, 3. Dezember 2013

Neues zu Mindestlohn



Nancy Folbre macht auf eine interessante  neue Studie zur Beschäftigungswirkung von Mindestlöhnen mit ziemlich eindeutigem Ergebnis aufmerksam. Die Schlußfolgerung ist: Mindestlöhne haben keine wesentlichen negativen Beschäftigungswirkungen, auch nicht bei schlechter Konjunktur. Das wird in dem Interview von einem der Verfasser sehr schön erklärt:




Das Ergebnis bestätigt einige frühere Studien und räumt einige gängige Einwände aus. Außerdem wird die positive Wirkung auf die Gesamtnachfrage (und damit auf die Beschäftigung) erklärt.

Die Verfasser untersuchen dabei die Beschäftigungsentwicklung in angrenzenden Gemeinden, die zu unterschiedlichen Bundesstaaten mit unterschiedlichen Mindestlöhnen gehören, das alles über einen längeren Zeitraum. Zum Teil gab es enorme Unterschiede. Extrem:  8,00 $ auf der einen Seite der Grenze (Washington), 5,15 auf der anderen Seite (Idaho), und dennoch keine Beschäftigungswirkungen....

Das liegt wohl daran, dass der Mindestlohn in den USA hauptsächlich ortsgebundene Dienstleistungen (Restaurants etc. ) betrifft, deren Produktionsstätte nicht verschoben werden kann.Wenn allerdings der Mindestlohn flächendeckend ist, kann es Ausweichreaktionen, wie sie entlang der Staatsgrenzen in den USA denkbar sind (aber nach dieser Studie keine Rolle spielen) nicht geben. Das hat der Sachverständigenrat wohl übersehen. Allerdings konnte der Sachverständigenrat diese Studie bei seinem Gutachten nicht berücksichtigen. Vielleicht ändert er aber angesichts der neuen Befunde seine Meinung. Das wäre schön.

Dienstag, 19. November 2013

Der Sachverständigenrat zur Entwicklung der Ungleichheit

In den Passagen zur Entwicklung der Ungleichheit folgt der Sachverständigenrat in seinem Gutachten dem beschönigenden Armutsbericht und urteilt:
So hat die Ungleichheit der Einkommen gemessen am Gini-Koeffizienten seit Beginn der 1990er-Jahre lediglich moderat zugenommen.
Das verwundert. Der Rat hatte für diese Frage bessere Daten als das Sozio-ökonomische Panel zur Verfügung, das dem No-response measurement error unterliegt, da es auf freiwilligen Auskünften beruht. Der Sachverständigenrat hatte nämlich selbst von Bernd Fitzenberger eine  Expertise zur Entwicklung der Lohnungleichheit in Deutschland erstellen lassen, die auf den wesentlich vollständigeren und genaueren Daten der Besachäftigtenstatistik der Bundesanstalt für Arbeit aufbaut. Hier zeigt sich eine dramatische Zunahme der Lohnungleichheit in Deutschland. Vergleicht man die Entwicklung der Durchschnittverdienste der geringer verdienenden mit denen der höher verdienenden so ergibt sich aufgrund der Daten auf S. 27 folgendes Bild:

Entwicklung der höheren Löhne (80. Perzentil) und der niedrigeren Löhne (10. Perzentil) in Deutschland Quelle

Die obere Kurve gibt dabei die Entwicklung der Reallöhne in Deutschland bei den besserverdienenden (80. Perzentil) und die untere Kurve bei den geringer verdienenden (20. Perzentil) ganztags sozialversicherungspflichtig Beschäftigten. Die Reallohne sind in der einen Gruppe innerhalb der letzten fünfzehn Jahren um knapp zehn Prozent gestiegen,  die in der anderen Gruppe um knapp zehn Prozent gefallen. (In Fitzenbergers Expertise finden sich übrigens eine Reihe von sehr detaillierten Darstellungn.)

Unter einem Perzentil ist folgendes zu verstehen.  Man reiht alle Lohnempfänger nach der Größe ihres Lohnes. Der Lohn, unter dem gerade den 10% der Beschäftigten verdienen, gibt das 10. Perzentil, der Lohn, unter dem gerade 20% verdienen gibt das 20. Perzentil und so weiter. Mithin gibt das 80. Perzentil den Lohn, unter dem 80% verdienen.


Die Besserverdienenden hatten von 1995 bis 2010 eine Reallohnsteigerung von kanpp 10%, die geringer verdienenden eine Reallohnsenkung um knapp 10 Prozent.

Anders ausgedrückt: Das Verhältnis der Durchschnittslöhne der Besserverdienenden (80. Perzentil) zu den Durchschnittslöhnen der geringer verdienenden (20. Perzentil) hat sich in der Zeit von 1995-2010 von 1,92 auf 2,32 kontinuierlich erhöht:


Zunahme der Lohnungleichheit (80 zu 20. Perzentil) in Deutschland. Quelle
Und dabei sind nicht einmal die Teilzeitbeschäftigten und Arbeitslosen erfaßt, und auch nicht die Minjobber!

Die Expertise von Fitzenberger war dem Sachverständigenrat nicht unbekannt. Er zitiert sie im Zusammenhang mit Mindestlöhnen:
Ein Mindestlohn von 8,50 Euro würde vor allem Arbeitnehmer in Ostdeutschland, in
kleinen Betrieben, in konsumnahen Wirtschaftszweigen und insbesondere diejenigen mit geringer Qualifikation betreffen. ... Diese Befürchtung wird durch die Kennzahlen zur Lohnstruktur in Deutschland aus der im Auftrag des Sachverständigenrates für das Jahresgutachten 2012 erstellten Expertise untermauert (Fitzenberger, 2012). 
Es ist bemerkenswert, daß Fitzenbergers Studie so selektiv herangezogen wird: Die Ergebnisse werden nur dort verwendet, wo sie passen (Warnung vor Mindestlöhnen), aber dort übergangen, wo sie ein unerwünschtes Bild zeichnen (Zunahme der Ungleichheit).

Im übrigen ist in Zeiten geringer werdender Arbeitslosigkeit eine Abnahme der Ungleichheit zu erwarten. Es stimmt aber bedenklich, wenn bei abnehmender Arbeitslosigkeit dennoch das Armutsrisiko zunimmt, wie der DGB in seiner Stellungnahme zum Armutsbericht dargelegt hat:
Arbeitslosenquote (rot), Armutsrisikoquote (oben) und dauerhafte Armut (unten) Quelle

Mit anderen Worten: Der Sachverständigenrat urteilt bezüglich der Entwicklung der Ungleichheit  nicht objektiv sondern benutzt die vorhandene Evidenz selektiv, und damit verzerrend.


Nachtrag (22.11.2013) Stefan Dudey hat mich darauf aufmerksam gemacht, daß es statt "sozialhilfepflichtig" "sozialversicherungspflichtig" heißen mußte. Ich habe das im Blog korrigiert. Vielen Dank!

Nachtrag (28.11.2013) Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, daß meine Erklärung der Perzentile in der ersten Fassung falsch war. Ich habe das oben korrigiert.

Donnerstag, 14. November 2013

Der Sachverständigenrat zum Mindestlohn

In seinem neuesten Gutachten schreibt der Sachverständigenrat:
Für Deutschland gibt es naturgemäß bislang keine Evaluation eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Jüngst wurden im Rahmen einer groß angelegten Evaluationsstudie die Wirkungen branchenspezifischer Lohnuntergrenzen untersucht. Die auf Mikrodaten beruhenden Studien finden unterschiedliche Effekte, wobei die Beschäftigungseffekte zumeist nicht sehr groß ausfallen, die Lohnstruktur aber deutlich komprimiert wird (Möller, 2012; Paloyo et al., 2013).
Möller (2012), der führende Experte zu dieser Problematik, wird hier richtig wiedergegeben. Er schreibt:
Als wesentliches Ergebnis aus den bisher vorliegenden Mindestlohnstudien für Deutschland ist festzuhalten: Beschäftigungsverluste durch einen Mindestlohn sind weitgehend ausgeblieben. Insbesondere in Ostdeutschland lassen sich hingegen deutliche Effekte der Lohnuntergrenze auf die Lohnverteilung nachweisen.
Payolo et al. (2013) ist ein Editorial und bezüglich der  Problematik nichtssagend. Dennoch schließt, oder zumindest schreibt, der Sachverständigenrat:

Ein generelles Problem stellt dabei jedoch die Übertragbarkeit solch sektorspezifischer Ergebnisse auf die Folgen eines flächendeckenden Mindestlohns dar. Bei letzterem sind keine Ausweichreaktionen von Arbeitnehmern in andere Sektoren mehr möglich. Das wahrscheinliche Resultat sind eine Kompression der Lohnverteilung am unteren Rand und höhere Arbeitslosigkeit.
Dazu muß man anmerken: Die von Möller referierten Ergebnisse wurden ungeachtet der möglichen Ausweichreaktionen  gefunden, die im Prinzip zu verstärkt negativen sektoralen Beschäftigungswirkungen hätten führen können. Wie der Sachverständigenrat richtig bemerkt, bestehen diese Ausweichmöglichkeiten volkswirtschaftlich nicht, oder nur in geringerem Maße. Mithin müßten die sektorspezifischen Ergebnisse gegenüber den volkswirtschaftlich zu erwartenden ausgeprägtere negative Beschäftigungswirkungen aufweisen. Die Schlussfolgerung, daß auf volkswirtschaftlicher Ebene höhere Arbeitslosigkeit zu erwarten sei, ist im Rahmen dieser Argumentation falsch:  Dass in den Sektorstudien keine wesentlichen negativen Beschäftigungswirkungen gefunden wurden, gilt umso mehr für die Volkswirtschaft insgesamt. Mir ist rätselhaft wie eine solche fehlerhafte Argumentation in einer so wichtigen Frage durchgehen konnte.

Donnerstag, 19. September 2013

Eine berechtigte Beschwerde

Der französische Wirtschaftsminister Benoit Hamon hat Deutschland beschuldigt, durch Lohndumping einen unfairen Wettbewerbsvorteil anzustreben. Er appelliert an die künftige deutsche Regierung fair zu spielen. Zu Angela Merkels Appell an Frankreich die Löhne zu senken  um wettbewerbsfähiger zu werden bemerkt er dass er solcher Ratschläge müde sei wenn "einige Länder Richtlinien umgehen und ihre Arbeitskräfte unterbezahlen." Tatsächlich war die deutsche Lohnentwicklung immer unter dem Durchschnitt in Euro Raum, die französische folgte aber ziemlich genau der anvisierten Entwicklung.

Hanon hat recht. Auch ökonomisch gesehen ist ein Wettbewerbsvorteil, der aus Lohnzurückhaltung  resultiert, nicht sinnvoll. Tatsächlich kann dadurch effiziente Technologie ausgebremst werden. 

 


"3€80-Job trifft 4€20-Job"
Quelle: http://www.flickr.com/photos/abuaiman/1148686429/ 
Wenn die grüne Post (links im Bild)  € 3,80 zahlt,die gelbe Post (rechts im Bild) aber € 4,20, wie das früher der Fall war, können die sonstigen Kosten bei der grünen Post deutlich höher sein, z.B. wegen schlechterer Technologie, Organisation und Verwaltung, ohne dass sie ihren Wettbewerbsvorteil verliert. Nur wenn gleiche Arbeit gleich bezahlt wird, haben die Unternehmungen, die effizienter wirtschaften, stets den Wettbewerbsvorteil.  Das gilt auch zwischen Ländern. Bei zu niedrigen Löhnen in Deutschland kann eine schlechtere deutsche Technologie eine überlegene französische Technologie auskonkurrieren.

Übrigens auch ein Aspekt bei der Mindestlohndebatte.


Dienstag, 10. September 2013

Noch einmal zu Japan

Die japanische Wirtschaftspolitik wurde von vielen kritisiert, ist aber erfolgreich. Allerdings gab es Zweifler, die befürchteten, dass die Produktionssteigerung nicht zur Beschäftigungssteigerung führt - ein schwer nachvollziehbarer Gedanke. Das Problem hat sich aber inzwischen geklärt: Die Beschäftigung steigt:

Arbeitslosigkeit in Japan
Wie beabsichtigt (und zu erwarten) nimmt auch die Preissteigerungsrate zu:

Entwicklung des Verbraucherpreisindex über das letzte Jahr hinweg
Japan ist also aus der Deflationsfalle herausgekommen.

Die Ratingagenturen stufen  aber Japans Kreditwürdigkeit wegen der Staatsverschuldung herab. Die Anleger sind davon nicht beeindruckt und sehen das wohl anders. Hier die Renditen von 30-jährigen Staatsanleihen gegenwärtig und vor einem Jahr (Quelle: Bloomberg)





Japan

Deutschland

USA

Gegenwärtig

1,78

2.76

3,87

vor einem Jahr

1,89

2.40

2,41

Da niedrigere Renditen höheres Vertrauen signalisieren, scheint das Vertrauen in die japanischen Staatsschuldpapiere zugenommen zu haben, während es für die deutschen und die US-amerikanischen Papiere abgenommen hat. 

Soviel zur Konsolidierungspolitik. All das war zu erwarten: hier, hier und hier.

Montag, 1. Juli 2013

Die Jugendarbeitsloigkeit ist eine Konsequenz der Arbeitslosigkeit


Die Zeit online berichtet:
Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat einen Ausbildungspakt für Europa gefordert, um der dramatisch steigenden Zahl arbeitsloser Jugendlicher – speziell im Süden Europas – entgegenzuwirken. "Das Risiko einer verlorenen Generation steht im Raum", sagte die CDU-Politikerin dem Tagesspiegel am Sonntag. Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften müssten gemeinsam dafür sorgen, dass junge Menschen eine Perspektive hätten. 
Die Besorgnis um eine verlorene Generation ist berechtigt und sollte wesentlich stärker betont werden als dies üblicherweise der Fall ist.

Die nun verfolgte Politik ist, gezielt die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen:
Bisher planten die EU-Staaten mit einem Budget von sechs Milliarden Euro gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen. In dem Interview verlangte von der Leyen, diesen Betrag aufzustocken. "Die sechs Milliarden Euro sind ein wichtiger Beitrag, sie reichen aber nicht", sagte von der Leyen. 
Das ist nicht nur unzureichend, sondern höchst problematisch, denn die Jugendarbeitslosigkeit ist eine Konsequenz der Arbeitslosigkeit. Um die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfenmuss man die Arbeitslosigkeit bekämpfen.

Jeder kennt die Problematik bei der Parkplatzsuche: Man kommt zu spät und alle Parkplätze sind belegt. Dann muss man warten, bis ein Parkplatz frei wird. Wer früher gekommen ist, hat mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Parkplatz gefunden als ein Neuankömmling. Auf dem Arbeitsmarkt ist das nicht anders: Die Arbeitskräfte, die schon vor langer Zeit in den Arbeitsmarkt eingetreten sind haben mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Arbeitsplatz als die Neuankömmlinge.

Die vernünftige Methode ist, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Dann verringert sich auch die Jugendarbeitslosigkeit, und zwar überproportional. Man sollte auch bedenken: Wenn man die Jugendarbeitslosigkeit bei gleichbleibender Arbeitslosigleit verringert, muss man die Arbeitslosigkeit bei den Nicht-Jugendlichen erhöhen. Ist das intendiert?

Karl Brenke vom DIW behauptet:
Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland ist weiterhin vor allem ein Qualifikationsproblem, mehr als die Hälfte aller arbeitslosen Jugendlichen im Jahr 2010 hatte keinen Berufsabschluss. 
Das ist m.E. irreführend. Die schlechter ausgebildeten Arbeitskräfte werden immer unter höherer Arbeitslosigkeit leiden als die besser qualifizierten. Das gilt natürlich auch bei den Jugendlichen. Die Unternehmungen ziehen stets die qualifizierteren unter den Bewerbern  den weniger qualifizierten vor. Findet ein Arbeitnehmer keinen ausbildungsadäquaten Ausbildungsplatz, so wird er sich um eine Tätigkeit bemühen, die geringere Kenntnisse erfordert und für die er überqualifiziert ist. Dort wird er den geringer - aber tätigkeitsadäquat- qualifizierten Bewerbern vorgezogen.  Die Stelle steht dann nicht mehr für adäquat ausgebildete Arbeitssuchenden zur Verfügung. Auch diese werden sich in einem niedrigeren Qualifikationssegment umschauen, und so weiter. Die am wenigsten qualifizierten Arbeitssuchenden bleiben übrig.

Letzten Endes finden wir im Konjunkturverlauf deshalb deutliche Schwankungen der Arbeitslosigkeit im unteren Qualifikationssegment, weitaus geringere Schwankungen bei besser qualifizierten Arbeitnehmern uund praktisch keine konjunkturellen Schwankungen bei Universitäts-- und Fachhochschulabsolventen:

Qualifikationsspezifische Arbeitslosenquoten. Quelle: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Nürbnberg, http://www.iab.de/UserFiles/Image/Publikationen/aloquoten_1975_2009_gr1.png


Das zeigt: Die Arbeitsmärkte für die verschiedenen Qualifikationen sind keine getrennten Märkte, wie das Gerede über "strukturelle Gründe" der Jugendarbeitslosigkeit uns weis machen will, sondern hängen miteinender zusammen. Was oben überschwappt wird eine Etage tiefer aufgefangen, was dort überschwapp, noch eine Etage tiefer, und so weiter.

Um die Arbeitslosigkeit in Europa zu bekämpfen muss die mangelnde private Nachfrage durch leichte Kreditvergabe und Steuersenkungen gestärkt und  durch zusätzliche staatliche Nachfrage ergänzt werden. Dies mag zu einer vorübergehenden Erhöhung der Staatschuld führen, führt aber keineswegs zu einer "Schuldenexplosion", denn eine Schuldenexplosion würde eine Nachfrageexplosion und Überbeschäftigung implizieren, und schon lange vorher ist es Zeit für Steuererhöhungen und Einschränkungen der Staatsausgaben um dem entgegenzuwirken.

Ergänzung (10.7.2013): Ich schreibe oben: "Die am wenigsten qualifizierten Arbeitssuchenden bleiben übrig." Zur Verdeutlichung des Punktes hätte ich besser schreiben sollen: "Die am wenigsten qualifizierten Arbeitssuchenden bleiben übrig, egal wie gut qualifiziert sie sind."

Donnerstag, 13. Juni 2013

Das Bundesverfassungsgericht hat über die Euro-Rettung zu befinden

In seinem heutigen "Morning Briefing" schreibt das Handelsblatt:
Die Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht zur Euro-Rettung entwickelt sich zum Politkrimi. Die Kläger halten die milliardenschweren Aufkäufe von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank für illegal. Die Befürworter - darunter gestern IWF-Chefin Christine Lagarde - fürchten im Fall einer Beendigung Massenarbeitslosigkeit und soziale Aufstände.
Richtig wird dazu bemerkt:
Das Fatale: Wahrscheinlich haben beide Recht.
Das Gericht sollte sich bewusst sein (und ist sich wohl auch bewusst) dass eine strickte Einschränkung der Haftung des deutschen Steuerzahlers wesentlich höhere Kosten für den deutschen Steuerzahler nach sich ziehen würde als die gegenwärtige Politik. Vernünftig, und deshalb wohl auch juristisch begründbar, wäre es deshalb, wenn das Verfassungsgericht die Aufkäufe von Staatsschuldpapieren für einen gewissen Zeitraum weiter akzeptiert und längerfristig eine Verfassungsänderung einfordert, die die solidarische Haftung in Europa ermöglicht.

Die deutschen Flutopfer werden aus dem europäischen Solidaritätsfonds Hilfe erhalten. Vielleicht verdeutlicht dies für die Öffentlichkeit, dass Solidarität wechselseitige Verpflichtungen impliziert.

Freitag, 17. Mai 2013

Japan: Abenomics scheint bislang erfolgreich

Die Welt schreibt:
Jahrelang war Japan so etwas wie das Synonym für Dauer-Krise. Nun zeigt die aggressive Geldpolitik erstmals Wirkung. .... Das Land, das in den vergangenen Jahren in einer Dauer-Krise feststeckte, ist im ersten Quartal so schnell gewachsen wie kein anderes großes Industrieland. ...
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der weltweit drittgrößten Volkswirtschaft stieg nach Angaben der Regierung in Tokio im Zeitraum von Januar bis März um 0,9 Prozent Die Strategie des japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe, mit Hilfe einer aggressiven Geldpolitik, umfangreichen Konjunkturprogrammen und einer rasanten Abwertung der Landeswährung Yen die jahrelange Wirtschaftsflaute zu bekämpfen, scheint aufzugehen...  Deutschland wies zuletzt nur noch ein Mini-Wachstum von 0,1 Prozent aus. Das schwächelnde Frankreich rutschte zeitgleich sogar in die Rezession. 
Das war, trotz aller Unkenrufe, zu erwarten. Die Skeptiker sehen die Gefahr einer zunehmenden Staatsverschuldung und beziehen sich dabei auf die Schuldenquote, also das Verhältnis von Staatsschuld zu Bruttoinlandsprodukt.  Die Schuldenquote wird für das nächste Jahr in Japan auf 240% geschätzt. Dagegen nimmt sich der Schuldenstand von 85% in der Europäischen Union, oder 81% in Deutschland recht bescheiden aus. Kurzfristig ist das kein großes Problem, aber wie sieht es langfristig aus?

Zunächst einmal: Wenn das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 3,6% wächst und Japan neue Schulden in Höhe von 2*3,6%=7,2% des Bruttoinlandsprodukts macht,  fällt die Schuldenquote.

Die Schuldenquote ist ja gegeben durch

Staatsschulden
___________________

Bruttoinlandsprodukt

Diese Schuldenquote ist in Japan größer als zwei. Wenn zusätzliche Staatsschulden von 7,2% des Bruttoinlandsproduktes aufgenommen werden, steigen die Staatsschulden um weniger als 3,6%. Bei einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes um 3,6% wird deshalb die Schuldenquote in Japan aufgrund der Expansionspolitik abnehmen.

Langfristig wirkt die Staatsverschuldung expansiv,  Falls die Inflationsmarke von 2% überschritten wird, müssen allerdings die expansiven Massnahmen zurückgefahren werden. Tatsächlich machen sie sich selbst überflüssig:  Die zunehmende Nachfrage wird zusätzliche Investitionsnachfrage induzieren (was bisher noch nicht der Fall war)  und eine Rückführung der expansiven Maßnahmen erforderlich machen.

Freitag, 10. Mai 2013

Zypern und die Sparneigung

Es ist eigentlich egal ob der Staat oder die Haushalte die Ausgaben erhöhen. Unter diesem Gesichtspunkt hat die Zypern-Krise, so tragisch sie ist, auch etwas gutes. Reuters meldet:
Die Sparneigung fiel im April auf einen historischen Tiefstand, wie die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) am Dienstag zu ihrer monatlichen Umfrage unter 2000 Verbrauchern mitteilte. "Die Zwangsabgabe in Zypern hat somit auch die bundesdeutschen Sparer in ihrem Vertrauen in die Sicherheit ihrer Einlagen erschüttert", sagte GfK-Experte Rolf Bürkl. 
Das ist gut für Deutschland (jedenfalls für die Binnennachfrage) aber in Zypern, wo mehr Nachfrage weitaus dringender wäre, nicht realisierbar. 

Donnerstag, 9. Mai 2013

Warum Haushaltskonsolidierung langfristig kontraktiv wirkt

Dass eine Politik der Haushaltskonsolidierung (also Ausgabenkürzungen des Staates oder Steuererhöhungen oder beides) kurzfristig kontraktiv wirkt, weil die Nachfrage eingeschränkt wird, dürfte hinreichend klar sein.  In einer inflationären Situation ist diese kontraktive Wirkung erwünscht, in einer Unterbeschäftigungssituation, (erneut Rekordarbeitslosigkeit in Europa) ist dies aber wirtschaftlich (und sozial) unerwünscht, geradezu verheerend.

Was aber ist langfristig?  In Umkehrung des Arguments, warum Staatsverschuldung kurzfristing und langfristig expansiv wirkt kann man sagen: Haushaltskonsolidierung (also Abbau der Staatsschulden) wirkt kontraktiv, insbesondere auch langfristig. Im folgenden soll das, anknüpfend an den früheren Eintrag, etwas ausgeführt werden.

Man betrachte, wie in dem früheren Eintrag, eine Wirtschaft die nominal mit 4% wächst und bei der die Staatsausgaben ebenfalls um 4% wachsen. Die Staatsausgaben betragen 30%. 10% dieser Ausgaben werden durch Kreditaufnahme finanziert. Die Zinsen betragen 5%. Weil das schon immer so war, hat sich die Staatsschuld bei einer Schuldenquote von 75% stabilisiert. Die zur Finanzierung von 90% der Staatsausgaben und der Bedienung der Staatsschulden von 75% des Bruttoinlandsproduktes bei einem Zinssatz von 5% notwendigen Steuern sind

0,9*0,3*Bruttoinlandsprodukt +0,05*0,75*Bruttoinlandsprodukt

also 30,75% des Bruttoinlandsproduktes.

Ohne Staatsverschuldung betragen die Steuern 30% des Bruttoinlandsproduktes. Bei Staatsverschuldung sind die Steuern mithin um 1,025% höher, oder bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt, um 0,75% höher. Die Zinseinkünfte aus dem Besitz von Staatsschuldpapieren betragen, bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt,  3.75%. Dieses Einkommen entsteht ohne Staatsschuld nicht. Der langfristige Einkommensverlust von 3,75%, der bei komplettem Schuldenabbau entsteht, übersteigt die Steuerreduktion von 0.75% um 3%. Dies ist die langfristige Restriktionswirkung des Schuldenabbaus.


Die kurzfristigen Effekte einer Restriktionspolitik sind natürlich weitaus dramatischer. Wenn der Staat Steuern erhöht oder seine Ausgaben einschränkt, hat dies in einer unterhalb der Kapazitätsgrenze operierenden Wirtschaft Einschränkungen der Produktion, Einkommensrückgang, und dadurch bedingt den Rückgang von Steuereinnahmen und die Zunahme von Transfers und letztlich eine dramatische Steigerung der Staasschulden im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt zur Folge. Durch Restriktionspolitik werden kurzfristig (und auch mittelfristig) die Staatsschulden erhöht und nicht reduziert. Die Finanzkrise hat durch hohe Zinsen für die Staatsschuld zu Restriktionsmaßnahmen in den betroffenen Ländern geführt, die dann die Staatsverschuldung weiter erhöht haben.  Insofern ist es angebracht, den Vertrag von Maastricht als Instabilitäts- und Stagnationspakt zu bezeichnen. Instabilität wird erzeugt, weil in Zeiten schlechter Beschäftigung Restriktionsmaßnahmen erzwungen werden, die in den besonders betroffenen Ländern die Probleme besonder verschärfen, und Stagnation wird erreicht, weil Investitionen gebremst werden, die betriebliche Aus- und Weiterbildung reduziert wird und Jugendliche en masse in die Hoffnungslosigkeit getrieben werden.

Dienstag, 30. April 2013

Blaue und rote Eurobonds - ein vernünftiger Vorschlag

Jacob Delpha und Jakob von Weizsäcker haben 2010 einen interessanten Vorschlag gemacht, der in der Öffentlichkeit kaum diskutiert wird aber durchaus mehr Aufmerksamkeit verdient.

Die Idee ist, die Anzahl der Eurobonds, die von einem Land begeben werden können und für die gemeinschaftlich gehaftet wird, auf 60% des Bruttoinlandsprodukts zu begrenzen. Dies wären die "blauen" Eurobonds. Wenn Staaten sich darüber hinaus verschulden wollen, gibt es keine gemeinschaftliche Haftung. Dies sind die "roten" Eurobonds. (Einzelheiten hier, hier, und hier.)

Die blauen Eurobonds wären sehr sicher und würden sich nur gering verzinsen. Die roten Bonds wären riskant und hoch verzinslich. Die Vorteile wären, dass sich die Länder, die weniger gut dastehen als Deutschland (u.a. auch wegen der deutschen Abweichung von den vereinbarten Zielen bei der Lohnkostenentwicklung) bei den  Zinsbelastungen im blauen Bereich deutlich entlastet würden was ihre wirtschaftlichen Erholungschancen verbessern und damit die zu erwartenden Kosten für die besser dastehenden Länder (wie Deutschland) verringern würde.

Martin Schütte und Nicholas Blanchard bemerken in ihrem sehr lesenswerten Kommentar zu diesem Vorschlag:

Um die gemeinsame Währung dauerhaft zu retten, ist der Einstieg in eine Fiskalunion der richtige Schritt, da nur so der »Geburtsfehler« der Währungsunion beseitigt werden kann. Eurobonds werden auch dabei eine Forderung sein, der sich Deutschland auf Dauer nicht widersetzen können wird. Dabei könnte das vorgeschlagene Konzept, Eurobonds auf die Finanzierung nur eines »konkursfesten« Sockelvolumens zu beschränken, eine sinnvolle und konsensfähige Lösung sein. Die genannten Vorteile von Gemeinschaftsanleihen (Eurobonds) könnten realisiert werden, wie Schaffung eines einheitlichen Kapitalmarkts durch ein gemeinsames Produkt und die Reduzierung der Zinsbelastung für die Grundfinanzierung auch der schwachen Staaten. Die Nachteile würden vermieden, da der Druck der Kapitalmärkte für den »nachrangigen« Teil der Staatsschulden erhalten bliebe ....
Natürlich sind die Eurogegner anderer Meinung. Ihre Argumente laufen darauf hinaus, dass das alles nichts nützen wird und wir jedenfalls nichts tun sollten um die gemeinsame Währung aufrecht zu erhalten. Zurück zur Kleinstaaterei!

Samstag, 27. April 2013

Haushaltskonsolidierung als Lachnummer

Paul Krugman hat recht: Die Haushaltskonsolidierer werden zu Witzfiguren, jedenfalls in den USA. Unten ein Interview mit dem Doktoranden, der die Fehler bei Reinhart und Rogoff mit aufgedeckt hat.

Hier ein Ausschnitt:

Frage: Denken Sie dass die Restriktionspolitik richtig ist?
Antwort: Nein. Ich halte diese Bemühungen zum jetzigen Zeitpunkt für kontraproduktiv.
Frage: Aber man sieht dass diese Politik in ganz Europa verfolgt wird. Sie ist so beliebt, dass die Menschen auf die Straßen gehen und feiern, und manchmal sind überall Freudenfeuer ...


Hier das volle Interview:





Mit dem gewohnten Lag von zwei Jahren werden die deutschen Experten der Entwicklung in den USA folgen.






Freitag, 26. April 2013

Reinhart und Rogoff als Lachnummer

Paul Krugman hat recht: Die Haushaltskonsolidierer werden zu Witzfiguren, jedenfalls in den USA.

Hier ein Beispiel:


(ab Sekunde 46 wird Reinhart-Rogoff behandelt)

Donnerstag, 25. April 2013

Ricardianische Äquivalenz -- ein nützlicher Aberglaube?

Die theoretische Gültigkeit der  Ricardianische Äquivalenzthese lässt sich mit einem einfachen Beispiel widerlegen. Diese Widerlegung gilt aber nicht nur in diesem Beispiel, sondern ganz allgemein. Derartige Einsichten treffen aber allseits auf den größten Widerstand. Interessanterweise, so mein Eindruck, ist dieser intellektuelle Widerstand nicht mit wirtschaftspolitischen Überzeugungen korreliert, wie man vielleicht erwarten könnte, denn auch Ökonomen, die sich in der gegenwärtigen Situation für zusätzliche kreditfinanzierte Staatsausgaben aussprechen, lassen sich nicht überzeugen. Typischerweise mutmaßen sie, das irgendetwas an dem Beispiel falsch sein müsse und machen oft Vorschläge zur Änderung der Annahmen oder Definitionen, die dann die Gültigkeit der Äquivalenzthese ermöglichen könnten, aber niemand hat dies wirklich zeigen können. (Eine Ausnahme bildet der Vorschlag eines Editors, Zinseinkommen, die aus dem Besitz von Staatspapieren herrühren, nicht zum verfügbaren Einkommen der Haushalte zu rechnen. Das ist zwar ökonomisch hirnrissig und widerspricht der üblichen und sinnvollen Definition, ist aber immerhin mathematisch stimmig.)

Dieser intellektuelle Widerstand war mir immer ein Rätsel. An sich, so dachte ich, bringt mein Nachweis, dass Verhalten gemäß der Ricardianischen Äquivalenzthese stets irrational ist, die Theorie näher an die Realität, denn nunmehr muss aus dem tatsächlichen Verhalten, welches im Widerspruch zur Ricardianischen Äquivalenzthese steht, nicht gefolgert werden, dass sich die Haushalte systematisch irrational verhalten und eröffnet (oder erweitert) so die Möglichkeit sinnvoller Theoriebildung in diesem Bereich. Aber diese Vermutung meinerseits hat sich als Irrtum herausgestellt.

So bleibt also die Frage: Warum ist die Äquivalenzthese so anziehend?

Ich habe jetzt eine Vermutung, die an Paul Samuelsons Überlegungen zum ausgeglichenen Staatshaushalt anknüpft. (Die Aussagen sind einem Interview entnommen, das Samuelson ca. 1988 dem bekannten Ökonomen Marc Blaug gegeben hat und in dem er Reagans Defizitpolitik als missverstandenen Keynesianismus geißelt.)

Samuelson nimmt zur Frage des ausgeglichenen Staatshaushaltes wie folgt Stellung:
"Der Aberglaube, dass der Staatshaushalt immer ausgeglichen sein müsse, enthält einen Kern von Wahrheit. Wenn dieser Glaube als Aberglaube entlarvt ist, fällt ein Bollwerk, das jede Gesellschaft benötigt, um sie vor unkontrollierten Ausgaben zu schützen. Die Allokation der Ressourcen muss diszipliniert erfolgen, sonst sind anarchisches Chaos und Ineffizienz unausweichlich."
Er fährt dann fort
"Eine der Funktionen der herkömmlichen Religion war, die Menschen durch Einflößung von Furcht  ... zu einem Verhalten zu veranlassen, das in zivilisierten Gesellschaften langfristig unabdingbar ist. Wir haben nun den Glauben zerstört, dass der Staatshaushalt jedes Jahr, oder wenigstens über kurze Zeitspannen hinweg, ausgeglichen sein sollte. ... Wenn Premierminiter Gladstone jetzt zum Leben erwachen würde, würde er sagen 'Oh,oh, oh, was habt ihr da nur gemacht?' ...  Ich  muss ich sagen, dass ich eine solche Reaktion nachvollziehen kann."
Hier spielt Samuelson auf die verbreitete (und, wie ich finde, falsche und zynische) Sicht der Religion als einer nützlichen Illusion an.  Moderne aufgeklärte Religionen sind aber nicht logisch falsch, wie dies bei der Ricardianischen Äquivalenzthese der Fall ist.

Aber nehmen wir die These, dass der Staatshaushalt stets ausgeglichen sein müsse, als nützliche Illusion, und nehmen wir ferner an, dass die Ricardianische Äquivalenzthese zutrifft (was nicht der Fall ist). Dann haben wir zwei Thesen:
  1. Der Staatshaushalt muss stets ausgeglichen sein (Schuldenbremse).
  2. Zur Finanzierung von Staatsausgaben sind Steuern und Defizite äquivalent (Äquivalenzthese). 
Wie Samuelson bemerkt, haben die Ökonomen den Glauben an die Notwendigkeit einer Schuldenbremse (These 1) zerstört. Wenn man die These aber für eine nützliche Illusion hält, kann man die These 2 (die Ricardianische Äquivalenzthese) heranziehen, um die These 1 als nützliche Illusion in gewisser Weise aufrecht zu erhalten. Die Argumentation ist wie folgt:
Die These 2 besagt, dass zur Finanzierung von Staatsausgaben Steuern und Defizite äquivalent sind. Deshalb können wir uns zur Vereinfachung die Forderung aufstellen, dass der Staatshaushalt stets ausgeglichen sein soll (Schuldenbremse). Zwar ist These 1 strikt genommen falsch, aber These 2 besagt, dass These 1 ohne Beschränkung der Allgemeinheit aufrecht erhalten werden kann.
Auf diese Weise könnte die Ricardianische Äquivalenzthese (wenn sie richtig wäre, was nicht der Fall ist) zur Stützung der nützlichen Illusion, wie sie These 1 annahmegemäß beinhaltet, herangezogen werden.

Wenn These 1 eine nützliche Illusion beinhaltet, könne These 2 mit dieser Argumentation ebenfalls als nützliche Illusion bezeichnet werden. Da sie aber erkennbar logisch falsch ist, sollte die Ricardianische Äquivalenzthese vielleicht dann besser als "nützlichen Aberglaube" bezeichnen.

These 1 ist aber tatsächlich keine nützliche sondern, im Vergleich zu möglichen Alternativen, ein schädlichen Aberglauben, wie etwa die Regel: "Wenn Du dünn bist, faste; wenn Du Übergewicht hast, lange kräftig zu". Dies entspricht exakt der Maxime zur Haushaltskonsolidierung, die ja auf die Maxime hinausläuft: "Bremse die Wirtschaft in schlechten Zeiten und tätige zusätzliche Ausgaben in guten Zeiten!"

Samuelson hat übrigens 1988 zu Reagans Schuldenpolitik bemerkt:
"Es ist überhaupt nicht widersprüchlich, damals [zur Zeit von Herbert Hoover] für ein Defizit zu sein und sich gegenwärtig dagegen auszusprechen."
Entsprechend würde ich sagen, dass heutzutage in Europa (mit der gegenwärtigen Rekordarbeitslosigkeit) Defizite aller Staatshaushalte zusammengenommen die unausweichliche Konsequenz sinnvoller expansiver Maßnahmen sind, ebenso wie zu Zeiten von Wirtschaftsbooms Haushaltsüberschüsse die notwendige Konsequenz der dann angebrachten kontraktiven Maßnahmen sind. Vor allem aber sind expansive Maßnahmen in Deutschland erforderlich um die Lohnentwicklung in Deutschland an das Inflationsziel der EZB anzupassen und die Lohnkostendisparitäten innerhalb Europas einzuebnen.

Quelle der Zitate: Mark Blaug, John Maynard Keynes, New York  (St. Martin's Press) 1990, S. 63.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen.. 

Montag, 22. April 2013

Krugman zum Ausrutscher von Reinhart und Rogoff

Paul Krugman bemerkt zum Reinhard-Rogoff-Komplex:
Was die Wahrscheinlichkeit betrifft, mit der das Reinhart-Rogoff-Fiasko irgendetwas in der Politik bewirken würde, war ich ziemlich zynisch und ich hege immer noch meine Zweifel. Ich frage mich aber, ob ich vielleicht nicht zu zynisch war -- oder jedenfalls zynisch in falscher Richtung. Meine dumpfes Gefühl ist, dass das Debakel die öffentliche Diskussion doch ziemlich stark verändert, sogar bei den bewussten wohlbetuchten Herren. Der  Fehler in der Excel-Tabelle hat es bewirkt. ....
Wenn Olli Rehn, George Osborne oder Paul Ryan das nächste Mal moralisierend verkünden, dass wir konsolidieren müssen weil ernst zu nehmende Ökonomen (d.h. nicht Krugman und seine Freunde) sagen, dass Staatsschuld eine schlimme Sache ist, werden die Zuhörer kichern -- was sie eigentlich schon immer hätten tun sollen. Aber nunmehr ist das sozial akzeptabel.
Statt Rehn, Osborne oder Ryan kann man bezüglich der deutschen Debatte vieler Politikernamen einsetzen -- und die Namen vieler Wirtschaftsprofessoren. Krugmans Zweifel teile ich. Schuldenreduktion wird nicht als etwas betrachtet, was etwas sinnvolles bewirken soll, sondern ist für die bewussten wohlbetuchten Herren (und einige Damen) reiner Selbstzweck, besonders, was andere Länder betrifft. (Zu Reinhart-Rogoff siehe auch hier.)

Sonntag, 21. April 2013

Ein neues Überdenken der Makroökonomik?


Der Weltwährungsfond hat vom16 bis 17 April in Washington eine Konferenz mit mit dem programmatischen Titel "Rethinking Macro Policy II: First Steps and Early Lessons" veranstaltet. Die Sitzungen sind gefilmt worden. Man kann sie hier anschauen. (Via Greg Mankiw).  Das interessiert vielleicht einzelne Leser, nicht so sehr wegen neuer Einsichten, sondern wohl hauptsächlich wegen der Nuancen und Tendenzen wie sie in den Äußerungen dieser hochkarätigen Ökonomen aufscheinen.  Interventionistische Überzeugungen scheinen sich mehr und mehr durchzusetzen.

Ich werde gelegentlich zu dem einen oder anderen Statement Stellung nehmen.

Freitag, 19. April 2013

Warum Staatsverschuldung expansiv wirkt, insbesondere auch langfristig

In diesem Eintrag versuche ich möglichst allgemeinverständlich zu erklären, warum die Staatsverschuldung expansiv wirkt, und zwar nicht nur kurzfristig ("Strohfeuer") sondern auch langfristig. Dabei sei angemerkt, dass eine expansive Wirkung keinesfalls immer erwünscht ist. In Phasen der Hochkonjunktur würde eine Expansion zu Preissteigerungen führen, in Phasen der Depression ist dagegen Expansion aus verschiedenen Gründen erwünscht (Erhöhung der Produktion und der Beschäftigung, Weiterqualifikation der Arbeitskräfte im Produktionsprozeß, Erhöhung der Investitionsnachfrage, und damit Verbesserung des Produktionsapparates für die Zukunft, aber auch Reduktion der Selbstmordraten und Bekämpfung des Extremismus).

Die Überlegung erfolgt in zwei Schritten: Erstens wird gezeigt, das eine ständige Neuverschuldung nicht zu einer Schuldenexplosion führt, und zweitens wird dann erläutert, warum sich der finanzielle Spielraum der Haushalte durch Staatsverschuldung erweitert, und zwar auch langfristig, was dann zu der expansiven Wirkung der Staatsverschuldung führt.

Abschliessend füge ich noch einige Bemerkungen an, die bei dem einen oder anderen Leser das Verständnis erleichtern könnten.  

1. Die langfristige Stabilisierung der Schuldenquote bei fortwährender Neuverschuldung

Die Wachstumrate der Staatsschuld ist gegeben durch

                                                          Defizit
Wachstumsrate der Staatsschuld =   -----------------------------
                                                            Staatsschuld

Wenn der Staat also stets und fortlaufend 10% seiner Ausgaben für Güter und Dienste durch Kreditaufnahme finanziert, erhalten wir

                                                                      Staatsausgaben
Wachstumsrate der Staatsschuld =  0,1*  -----------------------------
                                                                       Staatsschuld

(Die Staatsausgaben schließen hier noch nicht die Zinszahlungen für Kredite an den Staat ein. Diese müssen durch zusätzliche Steuern finanziert werden.)

Wir betrachten nun -  ähnlich wie in einem früheren Eintrag -  eine Wirtschaft die nominal mit 4% wächst und bei der die Staatsausgaben ebenfalls um 4% wachsen. Die Staatsausgaben betragen 30% des Bruttoinlandsprodukts -- dreißig Prozent der Wirtschaftsleistung wir mithin für öffentlich finanzierte Aufgaben verwendet. Dann ergibt sich


                                                                                 0.3*Bruttoinlandsprodukt
         Wachstumsrate der Staatsschuld =  0,1* -------------------------------------
                                                                       Staatsschuld

also

                                                                          Bruttoinlandsprodukt
Wachstumsrate der Staatsschuld =  0,03*  -----------------------------
                                                                       Staatsschuld

Wenn das Bruttoinlndsprodukt mit 4% wächst, wird die Staatsschuld langfristig auch mit 4% wachsen. Würde sie schneller wachsen, so würde der Zähler schneller zunehmen als der Nenner und die Wachstumsrate der Staatsschuld würde zurückgehen bis Zähler und Nenner mit der gleichen Rate wachsen; würde die Staatsschuld langsamer wachsen als das Bruttoinlndsprodukt, so würde die Wachstumsrate der Staatschuld zunehmen bis Zähler und Nenner mit der gleichen Rate wachsen. Bei einer Wachstumsrate von 4% erhalten wir mithin


                        Bruttoinlandsprodukt
0,04 =  0,03*  -----------------------------
                       Staatsschuld 
oder
 
   Bruttoinlandsprodukt             4
  ---------------------------------    =    ----
            Staatsschuld                    3
 Da die Schuldenquote das Verhältnis von Staatsschuld zu Bruttoinlandsprodukt angibt, erhalten wir mithin das Ergebnis dass die sich langfristig auf einem Wert von 3/4, also 0,75% stabilisiert. Die anhaltende und dauernde Neuverschuldung des Staates führt also nicht zu einer Schuldenexplosion. (Dieses Ergebnis hängt nicht von den gewählten Werten für Wachstumsrate, Defizitquote usw,  ab, wie man leicht sehen kann, wenn man andere Werte einsetzt.)


2. Die Erweiterung des finanziellen Spielraum der Haushalte bei fortwährender Neuverschuldung des Staates


Vergleichen wir nun das verfügbare Einkommen der Haushalte in der betrachteten Wirtschaft für zwei Fälle: Der erste Fall ist der eines stets augeglichenen Staatshaushalts, der andere der im ersten Abschitt betrachtete mit einer Schuldenquote von 4/3.

1. Im ersten Fall (keine Staatsverschuldung) ist das verfügbare Einkommen der Haushalte gegeben durch ihr Einkommen vor Steuern (also das Bruttoinlandsprodukt) abzüglich der Steuern. Da der Staat keine Staatsschulden zu bedienen hat, sind die Steuern gleich seinen Ausgaben. Dies betragen in unserem Beispiel 30% des Bruttoinlandsproduktes. Bei ausgeglichenem Staatshaushalt erhalten wir also:

Verfügbares Einkommen = 0,7*Bruttoinlndsprodukt

2. Im zweiten Fall (bei ständiger Neuverschuldung in Höhe von 10% der Staatsausgaben) ist die Angelegenheit etwas komplizierter. Der Staat muss mit seinen Steuereinnahmen 90% der Staatsausgaben decken und zusätzlich Zinsen für die Bedienung der Staatsschuld zahlen. Nehmen wir an, der Zinssatz sei 5%. Dann sind die Steuern

0,9*Staatsausgaben + 0,05*Staatsschuld

Das verfügbare Einkommen der Haushalte ergibt sich daraus, dass die Haushalte von ihrem Einkommen vor Steuern (dem Bruttoinlandsprodukt) die Steuern abziehen und, da sie Zinseinkünfte aus dem Besitz von Staatspapieren haben, diese Zinseinkünfte hinzufügen. Die Zinszahlungen, die der Staat an die Haushalte leistet, sind 0,05*Staatsschuld. Wenn wir also vom Bruttoinlandsprodukt die Steuern von 0,9*Staatsausgaben + 0,05*Staatsschuld abziehen und die Zinseinkünfte von 0,05*Staatsschuld hinzuzählen, erhalten wir als verfügbares Einkommen der Haushalte

Verfügbares Einkommen = Bruttoinlndsprodukt - 0,9*Staatsausgaben

In unserem Beispiel betragen die Staatsausgaben 30% des Bruttoinlandsproduktes. Damit ergibt sich dannfür den Fall dauerhafter Staatsverschuldung

Verfügbares Einkommen = (1 - 0,9*0,3)*Bruttoinlndsprodukt
und mithin

Verfügbares Einkommen =  0,73*Bruttoinlandsprodukt

Gegenüber dem ersten Fall hat das verfügbare Einkommen der Haushalte also um 3% des Bruttoinlandsproduktes zugenommen.

Woher die wundersame Einkommenserhöhung?

Um das Ergebnis besser zu verstehen diskutieren wir den Übergang von einer Politik des ausgeglichenen Budgets zu einer wie oben beschriebenen Schuldenpolitik in zwei Fällen: Erstens bei Vollbeschäftigung, wo die Produktion nicht erhöht werden kann, und zweitens bei Unterbeschäftigung, wo das  Produktionspotential teilweise brach liegt.

Vollbeschäftigung. Wenn alle Ressourcen in der Wirtschaft ausgelastet sind, kann keine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes erfolgen. Wenn unter diesen Bedingungen der Staat von einer Politik des ausgeglichenen Budgets zu einer wie oben beschriebenen Schuldenpolitik wechselt, entsteht zusätzliches verfügbares Einkommen von 3% des Bruttoinlandsproduktes. Das wird zu zusätzlicher Güternachfrage führen, die aber nicht bedient werden kann. Preissteigerungen sind die Folge. Den Haushalten geht es nicht besser, weil nicht mehr Güter und Dienste zur Verfügung stehen. Die Einkommenserhöhung ist nur nominal. Die Staatsschuld wirkt so wie wenn der Staat Geld drucken und an alle Haushalte verschenken würde.

Unterbeschäftigung.  Sind die Produktionskapazitäten in der Volkswirtschaft nicht voll ausgelastet, so führt der Übergang zu einer Schuldenpolitik zu einer Erhöhung des verfügbaren Einkommens der Haushalte und damit zu einer Erhöhung der Nachfrage nach Gütern und Diensten. Dieser Nachfrage kann entsprochen werden, da Überkapazitäten zur Verfügung stehen. Das Bruttoinlandsprodukt kann steigen. Damit steigen Produktion und Einkommen. Die Einkommenserhöhung ist real. Die Staatsschuld wirkt auch hier so wie wenn der Staat Geld drucken und an alle Haushalte verschenken würde.

Letzten Endes geht es also darum, die vorhandenen Kapazitäten der Volkswirtschaft voll auszulasten. Die Finanzpolitik ist ein Mittel dazu (nicht das einzige). Bei Inflation sollte der Staat seine Staatsschulden abbauen (Steuererhöhungen oder Kürzungen der Staatsausgaben), bei Unterbeschäftigung sollte der Staat die Verschuldung erhöhen (Steuersenkungen oder Staatsausgabenerhöhungen). 

Welche Schuldenquote sich dabei ergibt ist ziemlich gleichgültig. Wie Stephan Kaufmann richtig bemerkt
 Es gibt beides – niedrige Schulden und geringes Wachstum wie auch hohe Schulden und hohes Wachstum.
Der Hintergrundaufsatz zu diesem Blog findet sich hier.



Mittwoch, 17. April 2013

Reinhart-Rogoff

In einer einflussreichen Studie haben Carmen Reinhart and Kenneth Rogoff die These vertreten, daß Länder mit einer Staatsschuld von über 90% ungefähr 1% geringeres Wachstum haben als die Länder mit geringerer Staatsschuld. Diese These ist oft bezweifelt, ist aber letzthin weitgehend akzeptiert worden. Wie Paul Krugman bemerkt, hat sich die These wohl endgültig als  fehlerhaft herausgestellt. Mike Konczal bemerkt zu einem dieser Fehler in einer Excel-Tabelle, den er selbst genauer angeschaut hat:
"Ohne diesen Fehler wären die publizierten Ergebnisse nicht zustande gekommen. Dies erklärt auch zu einem guten Teil warum die Ergebnisse von anderen nicht repliziert werden konnten. Wenn es sich hier um einen tatsächlichen Fehler bei Reinhart und Rogoff handelt, kann man nur hoffen, dass künftige Historiker einmal anmerken werden: Einer der zentralen empirischen Thesen, die die intellektuelle Grundlage für die weltweite Restriktionspolitik im beginnenden zweiten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts bilden, hat sich daraus ergeben, dass irgendwer zufälligerweise vergessen hatte, eine Zeile in einer Excel-Tabelle zu aktualisieren."
Vielleicht können künftige Historiker in diesem Sinne ebenfalls anmerken, dass eine der zentralen theoretischen Begründungen für die Restriktionspolitik um 2010, die Ricardianische Äquivalenzthese, auf der abwegigen Annahme beruht hat, dass die Haushalte Zinseinkünfte aus dem Besitz von Staatspapieren nicht zu ihrem verfügbaren Einkommen rechnen.

Nachtrag (17.4.2013): Auch der Spiegel hat über Reinhart-Rogoff berichtet.Die Schlußfolgerung, die der Spiegel zieht ist allerdings nicht zu halten. Dort heißt es
Was bleibt also am Ende von diesem Wissenschaftsskandal? Der Zusammenhang von hohen Schulden und schwachem Wachstum ist nicht zu leugnen. Er wird auch in der neuen Studie aus Massachusetts deutlich. Doch die Schwelle von 90 Prozent wird so schnell wohl kein Politiker mehr als Argument benutzen.
Der Zusammenhang von hohen Schulden und schwachem Wachstum beruht wahrscheinlich auf einem einfachen Fehlschluß. Wie Krugman bemerkt ist das Ergebnis im wesentlichen auf die Daten aus Italien und Japan zurückzuführen, bei denen die Staatschulden wegen des schlechten Wachstums gestiegen sind. Die naheliegende Frage der umgekehrten Kausalität (größere Staatsdefizite bei schlechter Konjunkturlage) ist überhaupt nicht behandelt, und die Wirkung der Schuldenpolitik auf die Schuldenquote ist ziemlich klar: Je weniger Sparpolitik bei Arbeitslosigkeit  um so geringer die Schuldenquote.


Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation bezüglich der Ricardianischen Äquivalenzthese fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..  

Dienstag, 16. April 2013

So zerstört man den Euro

In einem sehr lesenswerten Interview bemerkt Heiner Flassbeck:

Na ja, wer sind die Verursacher der Krise? Da muss man natürlich tief bohren ...  Sie kennen ja sicherlich meine These, dass Deutschland auch einen erheblichen Anteil an der Krise hat, nämlich mit dem Lohn, mit der Lohnmoderation der 2000er-Jahre hat man einen Keil sozusagen in die Währungsunion getrieben, der jetzt auf der einen Seite sich in den hohen Schulden dieser Defizitländer, auch hier in Zypern zeigt, und den hohen Forderungen des Gläubigerlandes, Deutschland vor allem, und an diese Frage geht niemand ran. Man geht an ganz viele Einzelfragen ran, und das ist das eigentliche Problem der Rettung im Moment, oder der sogenannten Rettung, dass man an dieses Grundproblem - wie kriegen wir diesen Keil aus der Währungsunion heraus, diese riesige Lücke in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Ländern, wo Deutschland etwas getan hat, was auch nicht gerechtfertigt war, was überhaupt nicht gerechtfertigt war, weil Deutschland hat gegen das Inflationsziel, das man gemeinsam beschlossen hat, verstoßen. Wie kriegen wir das wieder raus, und wie kommen wir hin zu einer Situation, wo alle Länder wieder normal wirtschaften können? Diese Frage wird leider nicht behandelt, sondern es wird immer nur von Fall zu Fall, wird ein Land vorgenommen, das wird angeguckt, und dann sagt man: Ja, da ist vieles im Argen und da schlagen wir jetzt mal drauf. Das ist aber keine systematische Lösung, und so wird es nicht gehen, so zerstört man den Euro. Hier denken die Leute ganz offen darüber nach, wie können wir aussteigen, gibt es eine Möglichkeit zum Aussteigen.
Meines Erachtens sieht Flassbeck das Problem völlig richtig. Die Anpassung der Löhne nach unten funktioniert aber nicht so einfach, wenn überhaupt. (Man spricht von "Lohnstarrheit nach unten", "downward wage rigidity", siehe auch was Paul Kriugman dazu zu sagen hat). Die andere volkswirtschaftlich gesehen wesentlich billigere Komponente -- insbesondere Lohnerhöhungen in Deutschland über Produktivitätszuwächse und das 2% Inflationsziel hinaus -- fehlt. (Finanzminister Schäuble sieht das wohl, scheint aber die dafür notwendigen expansiven Maßnahmen in Deutschland nicht zu unterstützen.)

Regionale Lohnindexierung wäre vielleicht ein einfacherer Weg, die Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Euro-Zone auszubalancieren. Auf diese Weise ließe sich die langanhaltende Arbeitslosigkeit mit ihren hohen ökonomischen und sozialen Kosten zu vermeiden. Ein Index für die sozialen Kosten sind die erhöhten Selbstmordraten in Griechenland in Folge der Austerity-Politik. Ähnliches ist für Zypern zu erwarten.

Sonntag, 14. April 2013

Japanische Staatsverschuldung

In seinem sehr lesenswerten Blog bemerkt Heiner Flassbeck:
In Japan ist die Staats­ver­schul­dung (vgl. Abbil­dung 1) inzwi­schen mehr als dop­pelt so hoch wie im Euro­raum, und sie liegt auch schon seit 18 Jah­ren ober­halb des für das Wirt­schafts­wachs­tum angeb­lich kri­ti­schen Wer­tes von 90% des Brut­to­in­lands­pro­dukts, hätte also genü­gend Zeit gehabt, ihre infla­tio­näre Wir­kung zu entfalten. - See more at: http://www.flassbeck-economics.de/japanische-deflation-verwirrung-in-der-deutschen-bundesbank-auf-hochstem-niveau/#sthash.JjaizH9m.dpuf
In Japan ist die Staats­ver­schul­dung (vgl. Abbil­dung 1) inzwi­schen mehr als dop­pelt so hoch wie im Euro­raum, und sie liegt auch schon seit 18 Jah­ren ober­halb des für das Wirt­schafts­wachs­tum angeb­lich kri­ti­schen Wer­tes von 90% des Brut­to­in­lands­pro­dukts, hätte also genü­gend Zeit gehabt, ihre infla­tio­näre Wir­kung zu entfalten. - See more at: http://www.flassbeck-economics.de/japanische-deflation-verwirrung-in-der-deutschen-bundesbank-auf-hochstem-niveau/#sthash.JjaizH9m.dpuf
 In Japan ist die Staatsverschuldung inzwischen mehr als doppelt so hoch wie im Euroraum, und sie liegt auch schon seit 18 Jahren oberhalb des für das Wirtschafts­wachs­tum angeb­lich kri­ti­schen Wer­tes von 90% des Brut­to­in­lands­pro­dukts, hätte also genü­gend Zeit gehabt, ihre infla­tio­näre Wir­kung zu entfalten. Doch nichts der­glei­chen ist zu sehen: Japans Preis­ent­wick­lung ist seit über 15 Jah­ren defla­tio­när.
Die Weigerung der Verantwortlichen in Deutschland, diese Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen, bleibt für mich ein Rätsel.
Doch nichts der­glei­chen ist zu sehen: Japans Preis­ent­wick­lung ist seit über 15 Jah­ren defla­tio­när - See more at: http://www.flassbeck-economics.de/japanische-deflation-verwirrung-in-der-deutschen-bundesbank-auf-hochstem-niveau/#sthash.JjaizH9m.dpuf
Doch nichts der­glei­chen ist zu sehen: Japans Preis­ent­wick­lung ist seit über 15 Jah­ren defla­tio­när - See more at: http://www.flassbeck-economics.de/japanische-deflation-verwirrung-in-der-deutschen-bundesbank-auf-hochstem-niveau/#sthash.JjaizH9m.dpuf
In Japan ist die Staats­ver­schul­dung (vgl. Abbil­dung 1) inzwi­schen mehr als dop­pelt so hoch wie im Euro­raum, und sie liegt auch schon seit 18 Jah­ren ober­halb des für das Wirt­schafts­wachs­tum angeb­lich kri­ti­schen Wer­tes von 90% des Brut­to­in­lands­pro­dukts, hätte also genü­gend Zeit gehabt, ihre infla­tio­näre Wir­kung zu entfalten. - See more at: http://www.flassbeck-economics.de/japanische-deflation-verwirrung-in-der-deutschen-bundesbank-auf-hochstem-niveau/#sthash.JjaizH9m.dpuf
In Japan ist die Staats­ver­schul­dung (vgl. Abbil­dung 1) inzwi­schen mehr als dop­pelt so hoch wie im Euro­raum, und sie liegt auch schon seit 18 Jah­ren ober­halb des für das Wirt­schafts­wachs­tum angeb­lich kri­ti­schen Wer­tes von 90% des Brut­to­in­lands­pro­dukts, hätte also genü­gend Zeit gehabt, ihre infla­tio­näre Wir­kung zu entfalten. - See more at: http://www.flassbeck-economics.de/japanische-deflation-verwirrung-in-der-deutschen-bundesbank-auf-hochstem-niveau/#sthash.JjaizH9m.dpuf
In Japan ist die Staats­ver­schul­dung (vgl. Abbil­dung 1) inzwi­schen mehr als dop­pelt so hoch wie im Euro­raum, und sie liegt auch schon seit 18 Jah­ren ober­halb des für das Wirt­schafts­wachs­tum angeb­lich kri­ti­schen Wer­tes von 90% des Brut­to­in­lands­pro­dukts, hätte also genü­gend Zeit gehabt, ihre infla­tio­näre Wir­kung zu entfalten. - See more at: http://www.flassbeck-economics.de/japanische-deflation-verwirrung-in-der-deutschen-bundesbank-auf-hochstem-niveau/#sthash.JjaizH9m.dpuf

Dienstag, 9. April 2013

Pflichtlektüre für Quotenfetischisten

In einem früheren Eintrag habe ich beklagt, daß viele Argumente zur Staatsverschuldung auf die Verschuldungsquote (das Verhältnis von Staatsschuld zu Bruttoinlandsprodukt) abstellen.

Für diejenigen aber, die sich vom Quotenfetischismus nicht abbringen lassen wollen empfehle ich die Lektüre des kürzlich erschienen Aufsatzes "The Effect of Government Spending on the Debt-to-GDP Ratio: Some Keynesian Arithmetic" von Pedro Leao.

Die Grundüberlegung ist, stark vereinfacht, die folgende: Man betrachtet die Schuldenquote

                            Staatschuld
Schuldenquote = --------------------------------
                              Bruttoinlansprodukt

und trägt dem einfachen Sachverhalt Rechnung, dass bei Unterbeschäftigung zusätzliche Staatsschulden, sagen wir in Höhe von Z, zu einer Erhöhung des Bruttoinlandsprodukts von a*Z führen. Dabei ist a (der "Multiplikator") typischerweise größer als Eins, denn der Staat kauft zusätzliche Waren und Dienstleistungen in Höhe von Z ein. Damit entsteht zusätzliche Produktion und zusätzliche Einkommen im Werte von Z. Wegen der zusätzlichen Einkommen entsteht eine zusätzliche Nachfrage, und damit zusätzliche Produktion und zusätzliche Einkommen und so weiter. Letzten Endes entsteht durch eine zusätzliche Staatsschuld von Z zusätzliches Bruttoinlandsprodukt von  a*Z.

Wenn das Bruttoinlndaprodukt um a*Z zunimmt, steigen die Steuereinnahmen, während Zahlungen für Sozialtransfers (Hartz IV etc.) zurückgehen. Letzten Endes ergibt sich dann eine Entlastung des Staatshaushalts von b*a*Z, wobei der Koeffizient b die fiskalische Entlastungswirkung einer Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes beschreibt.

Bei zusätzlichen Staatsausgaben und zusätzlicher Verschuldung um Z ändert sich die Schuldenquote deshalb um


            Staatschuld  + Z  - b*a*Z                     Staatschuld
                                      --------------------------------------     -   -------------------------------                  
                 Bruttoinlansprodukt + a*Z               Bruttoinlansprodukt


Wir fragen nun, bei welchen Werten  die Schuldenquote bei zusätzlichen Staasausgaben  fällt, also die linke Seite kleiner als die rechte Seite ist.

Durch einfache Umstellung erhält man

                    Staatschuld +Z -b*a*Z       Bruttoinlansprodukt + a*Z     
                                        -------------------------------   < ----------------------------------------                  
              Staatschuld                        Bruttoinlansprodukt



und schließlich das Ergebnis

                                           Staatsschuld
                         1/a - b   <   ---------------------------
                                              Bruttoinlandsprodukt



Wenn also die Schuldenquote 100% ist, geht die Schuldenquote auf jeden Fall zurück., da ja bei Unterauslastung der Volkswirtschaft 1/a < 1 ist.


Leao  setzt in diese Formel die empirischen Werte für verschiedene Länder ein und kommt zu dem Schluß:
 Wenn wir die entsprechenden Schätzwerte einsetzen und diese Formel für verschiedene relevante Länder und Regionen auswerten, ergibt sich, dass bei Arbeitslosigkeit zusätzliche Staatsausgaben die Schuldenquote reduzieren.
Im Umkehrschluß kann man sagen: Sparmaßnahmen (also Z<0) erhöhen die Schuldenquote. Wenn also Gregory Mankiw Präsident Obama einen Abbau der Schuldenquote empfiehlt, sollte er Obama zusätzliche kreditfinanzierte Staatsausgaben nahelegen. Auch Herr Schäuble könnte sich das mal überlegen.

Freitag, 5. April 2013

Quotenfetischismus (in milder Form) sogar bei Greg Mankiw

Greg Mankiw ist ein bekannter Makroökonom. Er ist Professor in Harvard und war  Vorsitzender des "Council of Economic Advisors" des Präsidenten George W. Bush. Er wird zu den "Neokeynesianern" gerechnet. Sein Hund heißt Maynard (nach John Maynard Keynes). Er hat ein schönes Lehrbuch zur Makroökonomik für Anfänger geschrieben, das ich früher gerne verwendet habe (allerdings nicht als alleinige Literatur).

Mankiw hat die erhöhte Staatsverschuldung unter George W. Bush verteidigt, m.E. mit zutreffenden Argumenten, wenngleich die Staatsverschuldung zu jener Zeit, wie so oft, wesentlich durch Kriegskosten getrieben war, aber das ändert an der ökonomischen Argumentation nur wenig.. (Auch Ricardo hatte ja dieses Thema unter dem Gesichtspunkt der Kriegskostenfinanzierung behandelt.) Unter Bush haben viele demokratisch orientierte Ökonomen, die nunmehr die Staatsverschuldungspolitik von Obama als unzureichend bezeichnen (was ich ebenfalls für richtig halte), die Staatsverschuldung unter Bush heftig angegriffen.

In einem einem kürzlich erschienen Artikel in der New York Times  kritisiert nunmehr Mankiw die Politik von Obama mit dem Argument, dass Obama sich nicht damit begnügen sollte, die Schuldenquote (das Verhältnis von Staatschuld zu Bruttoinlandsprodukt) zu stabilisieren, er müsse vielmehr diese Quote laufend reduzieren, weil Krisen wie Kriege oder Konjunktureinbrüche zusätzliche Staatsverschuldung erforderlich machen würden; schließlich könne sich der Staat nicht beliebig verschulden.("der Staat kann sehr lange Schulden auflaufen lassen, kann aber nicht verrückt spielen.")

Diese Überlegungen illustrieren recht schön die Art der gegenwärtigen Debatte, die man vielleicht als "Quotenfetischmus" bezeichnen könnte.

Quotenfetischmus deshalb, weil immer wieder auf die Schuldenquote  (das Verhältnis von Staatschuld zu Bruttoinlandsprodukt) abgestellt wird ohne dass es einen vernünftigen Grund dafür gibt, diese Maßzahl zu betrachten. Mankiw selbst verteidigt die Verwendung dieser Maßzahl ebenfalls nicht sondern beschränkt sich auf den völlig zutreffenden Hinweis: "Eine Maßzahl, die Ökonomen oft verwenden um die fiskalische Situation zu bewerten ist die Schuldenquote."

Es gibt aber überhaupt kein stichhaltiges Argument warum die Schuldenquote irgendeine Aussagekraft haben sollte. Wenn der Staat, statt Schulden aufzunehmen, Staatsbesitz verkauft aus dessen Ertrag er die Schulden hätte tilgen können, fällt zwar die Schuldenquote, aber der wirtschaftliche Spielraum des Staates wird geringer; ansonsten ändert sich nichts. Außerdem lässt sich zeigen dass die Schuldenquote umso höher sein muss, je geringer das Verhältnis von Staatsausgaben zu Bruttoinlandsprodukt ist. wenn die Staatseinnahmen und Staatsausgabe optimal gesteuert werden, so wie es aus Sicht der  funktionalen Finanzpolitik geboten wäre. 

Tatsächlich sind die Schuldenquoten in verschiedenen Ländern sehr unterschiedlich. Es gibt keinen ökonomischen Gesichtspunkt, unter dem eine Schuldenquote von Null zu empfehlen wäre -- außer dass man von vornherein die Annahme trifft, daß die Wirtschaft dann optimal funktioniert. Das wäre aber nur zufällig denkbar.

Eigentlich gibt es nur zwei Gesichtspunkte, unter denen etwas über die Schuldenquote gesagt werden kann. Der erste Gesichtspunkt ist der, der früher im Grundgesetz so formuliert war, dass die Nettokreditaufnahme die Investitionen nicht übersteigen sollte. Die Begründung ist, dass der Schuldendienst für diese Kredite entsprechend dem Nutzen aus den Investionen verteilt sein sollten und dass der Nutzen der Investitionen, der über viele Jahre erfolgt, den Schuldendienst finanziert. Nutzen und Kosten einen öffentlichen Investition werden so miteinander synchronisiert. Verbietet man Staatsschulden so erreicht man, dass die gegenwärtige Generation die Kosten der öffentlichen Investitionen trägt die zukünftige Generationen nutzen -- geradezu ein Rezept zur Unterdrückung notwendiger öffentlicher Investitionen.

Diese Überlegung beruht aber auf der stillschweigenden Annahme, dass Angebot und Nachfrage auf dem Gütermarkt zum richtigen Zins geräumt werden. Das ist allokationstheoretisch problematisch, aber oft (wie gegenwärtig bei einem Zinsniveau von praktisch Null) nicht realisierbar. In diesem Fall muß die Gütermaktsteuerung (und damit Steuerung der Beschäftigung) durch Steuersenkungen und/oder Staatsaugabenerhöhungen erfolgen. Welche Schuldenquote sich dabei ergibt ist völlig gleichgültig. Es geht um die richtige Steuerung der realwirtschaftlichen Abläufe. Fiskalische Guthaben- und Schuldenpositionen ergeben sich entsprechend. Sie stellen keinen Selbstzweck dar.

Die sogenannte Ricardianische These, dass die Verschuldungspolitik gleichgültig sei, wird aber paradoxerweise oft als Argument gegen Staatsverschuldung angeführt und bildet bei manchen wohl auch die Grundlage für eine Unterstützung der Maastricht-Kriterien und der Schuldenbremse. Hier hat der Quotenfetischismus absolut, ja geradezu überirdisch, triumphiert. Damit wird eine sinnvolle Konjunkturpolitik ausgeschlossen. Mankiw treibt es (vernünftigerweise) nicht so weit, seine Empfehlungen sind aber dennoch theoretisch nicht begründbar.