Samstag, 7. Januar 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (2)

Die ursprüngliche Überlegung zur Äquivalenz von Steuern und Staatsschulden stammt von David Ricardo. In einem Lexikonbeitrag zur Kriegsfinanzierung aus dem Jahre 1820 diskutiert er ob es besser sei, die Kosten der Kriegführung durch eine Kriegssteuer zu finanzieren, die während des Krieges erhoben wird und mit Kriegsende entfällt oder ob es besser sei, die Kriegskosten durch eine Kreditaufnahme zu finanzieren, mit oder ohne Tilgung, die zu einer dauerhaften Steuerbelastung auch nach Kriegsende führt. Er stellt fest:
Vom rein ökonomischen Standpunkt aus betrachtet besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen diesen Finanzierungsformen.
Diese Aussage wird als Ricardianische Äquivalenz bezeichnet: Bei gegebenen Staatsausgaben ist die Finanzierung dieser Ausgaben mittels Schulden oder mittels Steuern äquivalent.

Allerdings schreibt Ricardo zu Beginn des betreffenden Absatzes:
Ich bin entschieden der Meinung, dass die erste Form der Finanzierung [die Kriegssteuer] vorzuziehen ist. ... Wenn die Lasten des Krieges direkt und ohne Abschwächung getragen werden müssen, werden wir weniger geneigt sein mutwillig einen teuren Konflikt zu beginnen.
Ricardo hat also "vom rein ökonomischen Standpunkt" aus Staatsschulden und Steuern zur Finanzierung einer gegebenen zusätzlichen Ausgabe als äquivalent betrachtet, war aber der Meinung, dass die Bürger oder Politiker sich unterschiedlich verhalten würden, je nachdem ob diese Ausgabe durch Steuern oder per Kredit und äquivalenter späterer Besteuerung finanziert würden.

Die neuen klassischen Ökonomen dagegen nehmen an, das die Ricardianische Äquivalenz das tatsächliche Verhalten der Wirtschaftssubjekte im Ergebnis approximativ beschreibt. Der Ökonom Robert Barro hat diese Position theoretisch entwickelt und stellt fest: (pdf)
Die ricardianische Sicht von Staatsdefiziten läuft auf die These hinaus dass die fiskalische Wirkung des Staates durch den Gegenwartswert der Staatsausgaben zusammengefasst werden kann. Ist dieser Wert gegeben, so haben Variationen des Zeitmusters der Besteuerung, wie sie durch Budgetdefizite impliziert sind, keinen Einfluss erster Ordnung auf die Wirtschaft.
Aus dieser Sicht ist es egal ob der Staat Defizite oder Überschüsse macht oder einen ausgeglichenen Staatshaushalt fährt. Die Schlussfolgerungen, die wirtschaftspolitisch aus dieser These gezogen werden sind aber völlig anders. In der deutschen Wikipedia (7.1.2012) heißt es in diesem Zusammenhang::
Kritiker einer Verschuldungspolitik argumentieren, dass durch die Staatsverschuldung die jetzige Generation auf Kosten zukünftiger Generationen lebe (Generationenbilanz). Danach seien Staatsschulden auf die Zukunft verschobene Steuererhöhungen, die dann von den „nachfolgenden Generationen zu tragen sind“.
Dieser Zusammenhang ist in der makroökonomischen Theorie als Barro-Ricardo-Äquivalenzproposition bekannt und beinhaltet als Kernaussage, dass sich das permanente Einkommen der Haushalte durch die Neuverschuldung (=Steuersenkung) nicht verändert und damit keine Auswirkung auf die Ausgaben (=Nachfrage) der Haushalte hat, da die Haushalte die zukünftigen Steuerzahlungen, die durch die gegenwärtige Verschuldung bedingt sind, schon in der Gegenwart durch Sparen antizipieren.
Das erscheint als völlig irrsinnig, die Verfasser des (an sich ordentlichen) Artikels treffen aber den Kern der Sache. So wird das Argument oft wahrgenommen.

Ein schönes Beispiel, wie theoretische Aussagen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung geradezu in ihr Gegenteil verdreht werden.

Nachtrag (1.2.2013)
Ich sollte vielleicht anmerken, dass die These  tatsächlich theoretisch falsch ist und auf dem Irrtum beruht, dass Zinseinkommen der privaten Haushalte aus Staatsschulden nicht zum verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte gerechnet werden, wie ich in einem späteren Blog erwähnt habe.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation bezüglich der Ricardianischen Äquivalenzthese im vorangegangenen Nachtrag fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..   

3 Kommentare:

  1. Ich bin immer wieder erstaunt darüber, daß Ökonomen oft die Realwirtschaft außer Acht lassen. Von Geld alllein kann man weder essen noch schießen. Es muß alles produziert werden - sowohl Getreide als auch Kanonen. Im Kriege müssen die Leute länger arbeiten um so etwas Überflüssiges wie Waffen herzustellen. Bestenfalls werden Leute für die Waffenproduktion motiviert, indem sie vom mehr an Lohn etwas Sinnvolles kaufen können (was ggf. auch zusätzlich produziert werden muß) - was anschließend auch noch durch Bomben zerstört wird.

    Diese Mehr an Lohn kann von Gelddrucken, Schulden oder Inflation kommen. Nach dem Krieg ist es gleich, wie wieder der ausgeglichene Haushalt kommt, ob das Geldniveau unverändert ist (Inflation) oder durch höhere Steuern die Schulden abgebaut werden (Abbau der Schulden = größere Kaufkraft der Gläubiger) usw. - aber alles was zu Ricardos Zeiten funktionierte, funktioniert heute nicht mehr. Was soll eine Bedienung der Gläubiger? Die Gläubiger haben heute in der Regel so viel Geld, daß sie mit der Bedienung wenig anfangen können, was sollen sie denn davon zusätzlich kaufen? Investitionen lohnen sich nur, wenn man sich davon einen erhöhten Absatz versprechen kann.

    MfG

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  2. Sie haben völlig recht mit Ihrer Kritik, dass Ökonomen oft die realwirtschaftlichen und die finanziellen Aspekte vermengen. Früher wurde auf eine in dieser Hinsicht saubere Analyse im Studium wesentlich stärker Wert gelegt als heute.

    Ricardo ist von Vollbeschäftigung ausgegangen. Wenn den Krieg Ressourcen beansprucht werden, entfallen diese für den privaten Konsum oder irgendwo sonst. Wenn Staatsanleihen statt Güter gekauft werden, kann der Staat mit dem geborgten Geld Güter kaufen. Die Versorgungslage in der Zukunft ändert sich dann, grob gesprochen, nicht, und schulden oder Steuern sind lediglich verschiedene Formen, mit denen die realwirtschaftlichen Vorgänge organisiert werden. In diesem Sinne besteht ricardianische Äquivalenz.

    Wenn jedoch Ressourcen nicht genutzt werden, kann Gelddrucken sinnvoll sein, weil es realwirtschaftliche Effekte (Reduktion der Arbeitslosigkeit) ermöglicht, eben die nicht genutzten Ressourcen einer Nutzung zuführt. Das belastet dann die zukünftigen Generationen nicht. Vielmehr wird dann auch mehr investiert und die Arbeitskraft wird durch "on-the-job training", also den Gewinn von Berufserfahrung produktiver. Dann stehen realwirtschaftlich in der Zukunft auch mehr Ressourcen zur Verfügung.

    Der Staat sollte sich unter Bedingungen unzureichender Nachfrage verschulden, ebenso sollte er bei Inflationsgefahr die Kaufkraft beschränken, entweder durch Verringerung der Staatsausgaben oder durch Steuererhöhung. Zwar ist wegen Wirkungsverzögerungen und gewissen Instabilitäten keine "Feinsteuerung" im Sinne der Vermeidung jeglicher Arbeitslosigkeit möglich, aber Massenarbeitslosigkeit über Jahrzehnte hinweg, wie wir sie uns in Deutschland geleistet haben, ist sicher nicht notwendig.

    Die Verfechter der Nichtwirksamkeit von Nachfragesteuerung machen die unzutreffende Annahme, dass sich die Wirtschaft stets in Vollbeschäftigung befindet. Mit dieser Annahme wird stillschweigend angenommen, dass durch Staatsausgaben keine Ressourcen mobilisiert werden können. Ich werde dazu bei Gelegenheit einen Blog schreiben.

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  3. Sehr geehrter Herr Schlicht,

    zur Ricardianischen Äquivalenz habe ich, unabhängig von ihrer Gültigkeit, eine Frage. Warum funktioniert diese nur unter der Annahme, dass die Haushalte mittels einer Kopfsteuer besteuert werden, nicht mit einer proportionalen oder progressiven Einkommenssteuer? Über eine Antwort oder mögliche Verweise wäre ich Ihnen sehr dankbar. Mit besten Grüßen,
    Leonhard Fuchs

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