Freitag, 28. Dezember 2012

Die drohende Fiskalklippe in den USA

Die in den USA drohende "Fiskalklippe" führt zu Steuererhöhungen und massiven Ausgabenkürzungen, wenn nicht zu Beginn des kommenden Jahres noch eine andere Regelung gefunden wird. Viele Ökonomen finden das beängstigend, aber die Verfechter einer bedingungslosen Restriktionspolitik sollten das nur zu begrüßen.

Deutschland befürwortet seit langem nachdrücklich solche und sogar drastischere Maßnahmen, insbesondere  für andere Länder. Wenn man unseren Fiskalfundamentalisten Glauben schenken würde, müßte man eine derartige Gesetzgebung für alle Länder in der EU fordern. Aber wir haben ja mit Maastricht wenigstens unsere kleine Klippe, oder vielleicht auch nur einen Abhang.
 


Samstag, 15. Dezember 2012

Unter medizinischem Gesichtspunkt

Im Blog The Irish Economy kann man ein sehr interessantes Theaterstück lesen, in dem auch ein Mr  deKrugman auftritt, der sich gegen die Aderlaß-Therapie ausspricht, wie sie von einem M Drachet empfohlen und konsequent angewandt wird, bis der Patient schließlich stirbt.

Das ist ziemlich lustig, aber vielleicht in unserem Fall nicht ganz zutreffend, denn die Austerity-Therapie wird von der Patientin Fräulein Germania selbst nachdrücklich gefordert und nicht von irgedeinem externen Experten. (Allerdings gibt es tatsächlich viele Experten die dem gleichen Aberglauben anhängen wie M Drachet.)

Eine bessere medizinische Analogie wäre deshalb vielleicht die folgende:

Fräulein Germania leidet unter Magersucht, genauer gesagt unter einer Körperschemastörung die sie veranlaßt, trotz Untergewichts zu hungern und ihre Gesundheit weiter zu ruinieren. Zudem drängt sie mit allen Mitteln darauf dass alle Familienmitglieder ebenfalls hungern und ihre Gesundheit ruinieren, und unglücklicherweise kann sie sich in der Familie durchsetzen. Das ist besonders misslich für ihre weniger robusten Geschwister.

Dienstag, 4. Dezember 2012

Nord-Währung und Süd-Währung?

Christian Wolf hat auf einen interessanten Beitrag von Heiner Flassbeck zur Euro-Krise hingewiesen. Heiner Flassbeck hat schon vor Jahren darauf aufmerksam gemacht, dass die Lohnkosten in Europa ständig  auseinander driften und betont, dass diese Entwicklung zwangsläufig zu massiven Schwierigkeiten führt, wie wir ja heute deutlich sehen. Das Problem kommt dadurch zustande, dass die Arbeitsmarktorganisation in den verschiedenen europäischen Ländern sehr unterschiedlich ist. Dies führt zu divergierenden Lohnkostenentwicklungen die dann die Probleme erzeugen, mit denen wir gegenwärtig konfrontiert sind.

Flassbeck hat die Hoffnung aufgegeben, dass das Problem vernünftig gelöst werden kann und empfiehlt, die gemeinsame Währung aufzugeben:
Also kann man nur allen zurufen: Trennt euch. Statt weiter an dem unverdaulichen Brei zu würgen, den Deutschland den anderen Ländern verschrieben hat, sollten sie (womöglich einige gemeinsam) alle Kraft darauf verwenden, halbwegs geordnet auszusteigen. Weil das technisch extrem schwierig und langwierig ist, muss man vorübergehend mit Notstandsmaßnahmen europäische Oberziele, wie die Freiheit des Kapital- und Güterverkehrs, aussetzen. Wichtigstes Ziel aller aussteigenden Länder muss es allerdings sein, ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wiederzuerlangen, was nur mit einer massiven Abwertung der neuen Währung gegenüber der neuen D-Mark oder der neuen Nord-Währung geht.
Ich würde hier zu bedenken geben, dass die Einführung einer regionalen Lohnindexierung möglicherweise einfacher zu administrieren ist und den Vorteil einer gemeinsamen Währung aufrecht erhält. Also: Statt eine Süd-Wahrung einzuführen wird eine Süd-Lohneinheit eingeführt. Alle Arbeitsverträge im Süden müssen in der Süd-Lohneinheit abgeschlossen werden. Die europäische Zentralbank, oder auch eine andere unabhängige Institution, bestimmt den Wechelkurs zwischen Euro und Süd-Lohneinheit so dass die Wettbewerbsfähigkeit der Süd-Gruppe gesichert ist. Gleiches gilt für den Norden: Eine Nord-Lohneinheit, statt einer Nord-Währung, aber alle Zahlungen, im Süden wie im Norden, erfolgen in Euro.

Hier müsste man nicht die Freiheit des Güter- und Kapitalverkehrs einschränken. Auch vermeidet man das Problem, dass die Nord-Währung zur inoffiziellen Währung im Süden wird. (In verschiedenen Ländern gab es solche Probleme. Ich selbst erinnere mich, dass ich während eines Aufenthalts in Moskau zur Zeit von Jeltzin praktisch nur mit D-Mark zahlen konnte.)

Wenn in Europa vernünftige Lohnkostenrelationen etabliert werden, wird es ohnehin Probleme geben. Flassbeck bemerkt dazu:
Auf Deutschland rollt bei diesem Szenario ein wirtschaftlicher Tsunami der höchsten Kategorie zu. Da inzwischen mit etwa 50 Prozent Exportanteil (am Bruttoinlandsprodukt) extrem exportabhängig, wird eine starke Aufwertung der deutschen Währung die Wirtschaft für viele Jahre zurückwerfen und Millionen Arbeitsplätze kosten.
Dies Problem wird sich so oder so (mit Nord-Währung und Süd-Währung oder bei regionaler Lohnindexierung) stellen. Mit regionaler Lohnindexierung ist die notwendige Anpassung aber politisch besser beherrschbar und weniger anfällig gegen allfällige Spekulationsattacken.  Außerdem kann natürlich durch Ausweitung der heimischen Nachfrage, etwa per Steuersenkung, die ausgefallenen Auslandsnachfrage ersetzt werden. Es ist ohnehin ungesund, wenn wir andauernd mehr exportieren als importieren und am Ende die erwirtschafteten Aussenhandelsüberschüsse entwertet werden oder abgeschrieben werden müssen.

Freitag, 30. November 2012

Vickrey zum Dritten: Kreditfinanzierte Staatsausgaben induzieren private Investitionen


Oft hört man die These, dass staatliche Ausgaben private Investitionen verdrängen. Diese These trifft dann zu, wenn die volkswirtschaftliche Produktion und Beschäftigung unverändert bleibt. In einer Unterbeschäftigungssituation ist jedoch das Gegenteil der Fall. Dann führen zusätzliche kreditfinanzierte Staatsausgaben zu einer Erhöhung der Produktion, der Einkommen und der privaten Investition. Vickrey erklärt das so:
Die staatliche Kreditaufnahme "verdrängt" angeblich private Investitionen

Im gegenwärtigen Zustand der Wirtschaft schaffen kreditfinanzierte Staatsausgaben (anders als steuerfinanzierte Staatsausgaben) jedoch zusätzlich verfügbares Einkommen. Die Nachfrage nach Erzeugnissen der Privatwirtschaft wird erhöht und die Renditeerwartungen privater Investitionen verbessern sich.

So lange viele ungenutzte Kapazitäten zur Verfügung stehen und sich die Geldpolitik vernünftig verhält (anstatt sich den vermeindlich inflationären Wirkungen des Staatsdefizits entgegenzustellen), können profitable Investitionsprojekte finanziert werden. Unter diesen Umständen kann jeder Dollar zusätzlichen Defizits mittel- und langfristig zwei oder mehr Dollar zusätzliche private Investition induzieren. Das Kapital, das dabei geschaffen wird, bedeutet für irgend jemanden einen Vermögenszuwachs und ipso facto zusätzliche private Ersparnis. Die These, dass das Angebot seine eigene Nachfrage schafft, trifft nicht zu, wenn ein Teil des Einkommens, das durch das Angebot hervorgerufen wird, gespart wird. Investitionen dagegen erzeugen selbst die Ersparnis zu ihrer Finanzierung. Irgendeine Verdrängung privater Investitionen durch defizitfinanzierte Staatsausgaben wäre nicht das Ergebnis ökonomischer Notwendigkeit sondern die Konsequenz unangebrachter restriktiver  Reaktionen der Geldpolitik auf das staatliche Defizit.
Möglicherweise ist diese Erklärung, die an sich richtig und stimmig ist, für manche Leser dieses Blogs nicht leicht nachvollziehbar. Deshalb hier noch ein weiterer Erklärungsversuch des angesprochenen Sachverhalts:

Wenn der Staat zusätzlich kreditfinanzierte Ausgaben tätigt (z.B. Sozialleistungen erhöht oder Infrastrukturverbesserungen durchführt)  entstehen zusätzliche Einkommen. Diese erzeugen zusätzliche Nachfrage die befriedigt werden kann, da ja unausgelastete Kapazitäten zur Verfügung stehen, die zur Produktion der zusätzlich nachgefragten Güter und Diensten genutzt werden können. Wenn auf diese Weise der Auslastungsgrad der Kapazitäten steigt, besteht ein Anreiz, Kapazitäten und Produktionsanlagen zu erhalten und auszubauen, die ohne die zusätzliche Nachfrage ungenutzt geblieben und nicht erhalten worden wären. Es werden also mindestens Erhaltungsinvestitionen induziert, die sonst unterblieben wären, aber auch Modernisierungsinvestitionen. Die zusätzliche Investitionsnachfrage führt dann ihrerseits zu zusätzlicher Nachfrage und verstärkt diesen Prozeß. Insgesamt kommt so eine Erhöhung der privaten Investitionen zustande, also keine Verminderung oder "Verdrängung" wie so oft gesagt wird.


William Vickrey (1996) Fifteen Fatal Fallacies of Financial Fundamentalism A Disquisition on Demand Side Economics.  October 5, 1996 .

Samstag, 24. November 2012

Vickrey zum Zweiten: Sparförderung bremst die Kapitalbildung

Hier ist der zweite Fehler der fiskalischen Fundamentalisten, den Vickrey benennt:

Wenn man den Privaten stärkere Anreize zum Bilden von Ersparnis gibt, würde dies angeblich die Investitionen  und das wirtschaftliche Wachstum anregen. Diese These scheint auf der Annahme eines festen volkswirtschaftlichen Produktionsvolumens zu beruhen, sodass alles was nicht konsumiert wird automatisch der Kapitalbildung dient.

Wiederum ist das genaue Gegenteil richtig. In einer Geldwirtschaft bedeutet die Entscheidung, mehr zu sparen typischerweise zugleich, weniger zu konsumieren. Verringerte Konsumausgaben eines Sparers bedeutet geringeres Einkommen und geringere Ersparnisse für die Verkäufer und Produzenten. Die volkswirtschaftliche Ersparnis wird dabei nicht erhöht, sondern tatsächlich verringert, weil die Verkäufer ihrerseits ihre Käufe verringern. So wird letztlich das Volkseinkommen und die volkswirtschaftliche Ersparnis reduziert. Ein einzelner Haushalt kann in der Tat seine eigene Ersparnis erhöhen, aber dies geht einher mit verminderten Einkommen und verminderter Ersparnis von anderen einher. Diese Reduktion von Einkommen und Ersparnis der anderen Haushalte übersteigt die anfängliche zusätzliche Ersparnis des einen Haushalts.

Wenn verringerten Ausgaben für nicht lagerfähige Dienste, wie Haare schneiden, zu zusätzlicher Ersparnis führen ist die Wirkung auf das Einkommen und die Ersparnis des Verkäufers direkt und offensichtlich. Wenn lagerfähige Güter betroffen sind, mag bei Nachfragerückgang eine kurzfristige Erhöhung des Lagerbestandes, und damit eine Lagerinvestition, die Folge sein, aber diese wird schnell abgebaut, wenn der Verkäufer seine Bestellungen bei seinen Zulieferern reduziert um seinen Lagerbestand auf ein normales Niveau zurückzuführen. Letztlich führt dies alles zu einer Reduktion der Produktion insgesamt, und damit zu einer Vermiderung der Beschäftigung und des Volkseinkommens.
Ersparnisse erzeugen keine erweiterten  Kreditspielräume aus dem Nichts. Es gibt keinen Grund warum die Erhöhung des Bankguthabens des Sparers die Kreditvergabemöglichkeiten der Bank um mehr erhöht als die Kreditvergabemöglichkeiten der Bank des Verkäufers eingeschränkt werden.
Wahrscheinlich wird der Verkäufer eher in Wertpapiergeschäften tätig sein und Kredite beanspruchen, die durch sein Geschäft besser abgesichert sind als beim Käufer, der eher steuerbegünstigte Altersvorsorge und ähnliches betreibt, sodass die Sparanreize das  Gesamtvolumen der Bankkredite insgesamt reduzieren.  Der Versuch, mehr zu sparen und weniger auszugeben erhöht in keiner Weise die Bereitschaft der Banken und anderer Finanzierungsinstitutionen, erfolgversprechende Investitionsprojekte zu finanzieren. Bei unausgelasteten Kapazitäten ist zusätzliche Ersparnis weder eine Voraussetzung noch ein Ergebnis von Kapitalbildung, weil ja das zusätzliche Einkommen, das durch Kapitalbildung entsteht, eine Quelle zusätzlicher Ersparnis darstellt.
Hier spielt Vickrey auf das sogenannte "Sparparadox" an: Wenn alle mehr sparen möchten, wird insgesamt weniger gekauft und es wird weniger produziert. Die Unternehmungen werden dann weniger investieren und die volkswirtschaftliche Ersparnis wird geringer ausfallen als sie vor der zusätzlichen Sparanstrengung war. Vickrey argumentiert zusätzlich, dass auch die Kreditmöglichkeiten in Folge einer solchen zusätzlichen Sparanstrengung eingeschränkt werden. Das trifft auf jeden Fall in der gegenwärtigen Situation zu, wo die risikofreien Zinsen nahezu Null sind und sich höhere Zinsen allein durch Risikoaufschläge bestimmen, denn bei einer geringeren Nachfrage werden die Investitionen riskanter und damit die Risikoaufschläge und die Zinsforderungen der Banken höher..

William Vickrey (1996) Fifteen Fatal Fallacies of Financial Fundamentalism A Disquisition on Demand Side Economics.  October 5, 1996 .

Freitag, 16. November 2012

Vickrey zum Ersten: Die Sparpolitik belastet zukünftige Generationen

Angesichts der erneuten Rekordwerte der Arbeitslosigkeit in Europa nehme ich mir ein Beispiel an Paul Krugman und wiederhole das offensichtliche wieder und wieder. Diesmal bringe ich einfach die Argumente von William Vickrey, dem bedeutenden Ökonomen und Nobelpreisträger, die er kurz vor seinem Tode (und vor dem Erhalt des Nobelpreises) niedergeschrieben hat. Er skizziert fünfzehn fatale Fehler des fiskalischen Fundamentalismus. Hier ist der erste.

Staatliche Defizite werden als sündhafte verschwenderische Ausgaben zu Lasten künftiger Generationen gesehen. Diese zukünftigen Generationen würden dann über geringere Kapitalausstattung verfügen als ohne diese Defizite. Dieser Trugschluss scheint aus einer falschen Analogie mit der Kreditaufnahme privater Haushalte herzurühren.  

Tatsächlich trifft gegenwärtig das nahezu genaue Gegenteil zu. Defizite erhöhen das verfügbare Einkommen der Individuen in dem Ausmaß, in dem Staatsausgaben private Einkommen darstellen, welche die Zahlungen für Steuern Gebühren und anderes übersteigen.
Diese zusätzliche Kaufkraft, wenn verwendet, schafft Märkte für private Produktion und veranlasst die Produzenten, in die Schaffung zusätzlicher Produktionskapazitäten zu investieren. Diese zusätzlichen Kapazitäten kommen den zukünftigen Generationen als reales Erbe zugute. Dies kommt zu den öffentlichen Investitionen in Infrastruktur, Bildung, Forschung und dergleichen hinzu. Defizite, die hinreichend groß sind um die Ersparnis aus einem wachsenden Sozialprodukte über das hinaus einer Verwendung zuzuführen, was von gewinnorientierten private Investitionen geleistet werden kann, sind keine ökonomische Sünde, sondern eine ökonomische Notwendigkeit. Defizite, die die Lücke zwischen  maximal erreichbarem Wachstum und tatsächlichem Output übersteigen, können in der Tat Probleme verursachen, aber wir sind weit von diesem Beschäftigungsniveau entfernt.

Auch die Analogie selbst ist fehlerhaft. Wenn General Motors, AT & T, und einzelne Haushalte gezwungen gewesen wären, ihre Haushalte in der Weise auszugleichen, wie dies die fiskalischen Fundamentalisten von der Bundesregierung  verlangen, gäbe es keine Aktien und Anleihen, keine Bankkredite, und und viel weniger Autos, Telefone, und Häuser.
Da kommt dann der Einwand: "Ist ja alles richtig, aber wer soll das bezahlen?" Dieser Einwand beruht wiederum auf einer falschen Analogie zum Privathaushalt, wie beispielsweise hier noch einmal nachzulesen ist. Auf jeden Fall entkräftet dieser "Einwand" nicht die Tatsache, dass durch Sparmaßnahmen Ressourcen (Arbeitskräfte und Produktionsanlagen) ungenutzt bleiben -- er bestätigt vilemehr die These. Die Verschwendung von Ressourcen geht nicht nur zu Lasten der gegenwärtigen Generationen, insbesondere der Jugendlichen, sondern, wie Vickrey richtig darlegt, auch zu Lasten zukünftiger Generationen. Es handelt sich um ein massives Marktversagen, das bekämpft werden muss, gerade auch im Interesse zukünftiger Generationen. Der fiskalische Fundamentalismus bewirkt das Gegenteil. Es ist eine Schande, zu Lasten gegenwärtiger und zukünftiger Generationen diese Verschwendung aus Denkfaulheit einfach zu akzeptieren statt sie zu bekämpfen.

William Vickrey (1996) Fifteen Fatal Fallacies of Financial Fundamentalism A Disquisition on Demand Side Economics.  October 5, 1996 .



Sonntag, 22. Juli 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (5): Man sollte es nicht glauben

Nun haben wir es also quasi offiziell:

"Ricardianische Erwartungen schließen aus, dass die Haushalte ihre Konsumentscheidungen am verfügbaren Einkommen orientieren, welches Zinseinkünfte aus dem Besitz von Staatspapieren einschließt."

Das ist völlig zutreffend: Die Gültigkeit der Ricardianisachen Äquivalenzthese erfordert, dass die Haushalte Zinseinkünfte aus Staatspapieren nicht nutzen dürfen. Eine solche Annahme ist natürlich völlig unsinnig, und zwar aus mindestens drei Gründen:
  1. Niemand würde dem Staat Geld leihen, wenn er die Zinsen nicht nutzen könnte
  2. Es ist wohl unmöglich für einen Haushalt zu wissen ob die Verzinsung seiner Spareinlagen bei der Sparkasse daraus resultiert, dass die Sparkasse mit den Spareinlagen Staatsschuldpapiere gekauft hat oder ob sie andere Wertpapiere erworben hat und dann aus den jeweiligen Zinsen die Verzinsung der Spareinlagen bestreitet. Wenn die Zinsen für die Spareinlagen aus Staatspapieren herrühren, dürften die Haushalte diese Einkünfte nicht nutzen, im anderen Falle schon. Ansonsten wäre die Ricardianische Äquivalenz zerstört.
  3. Es besteht aus der Sicht eines privaten Haushalts kein theoretischer Grund und auch keine empirische Evidenz dafür, die zwei Sorten von Zinseinkünften unterschiedlich zu behandeln, selbst wenn man sie unterscheiden könnte.
Fazit: Die Ricardianische Äquivalenzthese ist falsch.

Anmerkung: Mein Artikel ist von der Zeitschrift Economics E-Journal abgelehnt worden. Das obige Zitat ist dem Ablehnungsschreiben entnommen. Die Feststellung ist korrekt und entspricht dem, was ich in dem Beitrag festgestellt habe. Meine Ergebnisse wurden jedenfalls völlig bestätigt. Der Beitrag wurde dann aber letztlich abgelehnt, weil er der Mehrheitsmeinung der Ökonomen nicht entspricht! Wer das nicht glaubt und wen das interessiert der kann das alles ja hier nachlesen.

Nachtrag (7.4.2013): Der Artikel wird in erweiterter Form in der Zeitschrift Metroeconomica erscheinen.  Eine Vorab-Version findet sich hier.

Nachtrag (21.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..

Samstag, 7. Juli 2012

Ein Gegenaufruf

Zum Aufruf von Ökonomen gegen die Euro-Rettung gibt es jetzt einen Gegenaufruf,  in dem sehr sachlich und ökonomisch fundiert die Gründe dargelegt werden, warum die Gipfelbeschlüsse sinnvoll sind. Das Hauptargument ist, dass eine europäische Bankenaufsicht das Schicksal der einzelnen Banken von der Zahlungsfähigkeit oder -Unfähigkeit des jeweiligen Heimatstaates entkoppelt und so Bankenkrisen weniger wahrscheinlich macht.

Bankenkrisen sind realwirtschaftlich extrem kostspielig. Die Schuldenkrisen in den verschiedenen Ländern sind durch die Bankenkrise von 2008 wesentlich mitverursacht worden. Der Gegenaufruf artikuliert eine sinnvolle Position. Kein Wunder daß die meisten der führenden deutschen Geldtheoretiker zu den Erstunterzeichnern gehören..

Nachtrag: Hier und hier sind noch einmal die Aufrufe mitsamt Unterzeichnern. Mindestens ein Ökonom hat bei beiden Aufrufen unterzeichnet!

Freitag, 6. Juli 2012

Zum Aufruf von Ökonomen gegen Euro-Rettung

Kürzlich ist ein Aufruf von Ökonomen publiziert und in in verschiedenen Zeitungen (Handeslblatt, Welt, FAZ)  kommentiert worden, der sich gegen die jüngsten EU-Beschlüsse zur Eurorettung richtet. Mich, als Ökonom, hat überrascht, dass ausschliesslich  juristisch argumentiert wird -- wer soll in Haftung genommen werden, wem kann was zugemutet werden, etc. Letzten Endes handelt es sich um Gerechtigkeitsargumente und politische Erwägungen über Völkerfreundschaft und ähnliches. Das ist alles gut und schön.  Ich würde aber bei solch einem Aufruf erwarten, daß auf die realwirtschaftlichen Konsequenzen verschiedener Politikvarianten abgestellt wird und dass diese zumindest angedeutet werden.  Also: was wären die realwirtschaftlichen Konsequenzen von Bankenzusammenbrüchen? Was wären die Konsequenzen einer kollektiven Haftung für die Bankschulden? Was wäre die für Europa bessere Alternative? (Dabei geht es natürlich nicht um das Schicksal der einzelnen Banken, sondern um die volkswirtschaftlichen Konsequenzen.) In dem Aufruf ist davon nicht die Rede.  Ich selbst überschaue das nicht, es ist auch nicht mein Spezialgebiet. Aber so wie der Aufruf formuliert ist sehe ich kein spezifisch wissenschaftliches Argument, das besondere Fachkompetenz voraussetzen würde. Ich halte es aber generell für problematisch, sich auf Fachkompetenz oder Titel zu berufen, wenn diese Qualifikationen für ein Argument überhaupt keine Rolle spielen. Das ist hier der Fall.

Übrigens ist ja die Bankenkrise eher ein Symptom für tieferliegende Disparitäten die so oder so auf der Ebene des Geldwesens und der Fiskalpolitik nicht behoben werden; siehe dazu meinen früheren Blog-Eintrag.

Wenn ich diesen Aufruf nicht unterschrieben habe, so sollte das aber nicht als Ausdruck von Solidarität mit Frau Merkel gedeutet werden. Im Gegenteil: Ich distanziere mich ausdrücklich von deren Austerity-Politik weil ich denke, dass diese Politik die Schuldenproblematik unnötig verschärft.

Nachtrag: Interessant sind auch die Äußerungen von Gustav Horn in Die Zeit.
Nachtrag: Der Beitrag in der Zeit vurde von Mark Schieritz geschrieben, nicht von Gustav Horn. Sorry.

Donnerstag, 5. Juli 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (4): Die These ist falsch

Beim Verfassen meine Blog-Einträge zur Ricardianischen Äquivalenz, beginnend mit  diesem, ist mir aufgefallen, dass die  normalerweise vorgebrachte Argumentation problematisch ist. Ich habe mir daraufhin ein einfaches Beispiel überlegt, in dem die These klar unzutreffend ist. Ich habe dazu einen kleinen Aufsatz geschrieben und im Februar bei einer wissenschaftlichen Zeitschrift eingereicht. Man kann das hier einsehen.

In diesem Blog habe ich zu diesem Thema eine Sendepause eingelegt um den Begutachtunmgsprozess Zeit zu lassen. Da passiert aber nichts. Die (m.E. sehr kompetenten) Gutachter haben keinen Fehler in meiner Argumentation gefunden, bleiben aber weiterhin von der theoretischen (wenn auch nicht praktischen) Gültigkeit der Äquivalenzthese überzeugt. Der zuständige Herausgeber hat sich noch nicht geäussert. Deshalb nehme ich mir nun doch die Freiheit, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Herleitung von Barro einen elementaren Fehler enthält: Die Zinszahlungen auf Staatsschulden, die die Privaten erhalten, werden  bei deren verfügbaren Einkommen nicht berücksichtigt. Tut man dies, und das entspricht den Standarddefinitionen und ist sinnvoll, so ist die Äquivalenzthese direkt verletzt. Dagegen ist es nicht sinnvoll anzunehmen, dass die Privaten Staatspapiere kaufen und die Verzinsung dieser Papiere nicht als Einkommen rechnen, wie Barro dies implizit unterstellt. Der Fehler ist nur durch die eigenwillige Darstellung nicht recht transparent und ist deshalb wohl so lange -- nahezu vierzig Jahre -- nicht gesehen worden. Es ist fast ein Witz: Die theoretische Grundlage für Austerity ist fehlerhaft.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation bezüglich der Ricardianischen Äquivalenzthese fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..  

Mittwoch, 9. Mai 2012

Duale Währung oder regionale Lohnindexierung?

Der polnische Notenbankchef Marek Belka hat den Vorschlag gemacht, für Griechenland ein duales Währungssystem einzuführen: Löhne und Gehälter würden dann in einer lokalen Währung bezahlt, die gegenüber dem Euro abgewertet werden könnte.

Im Ergebnis läuft dies auf das gleiche Ergebnis hinaus wie die Einführung einen regionalen Lohnindexierung. Wenn die duale Lösung politisch eher durchsetzbar sein sollte, wäre das ein begrüßenswerter Schritt vorwärts.

Mit scheint allerdings die regionale Lohnindexierung attraktiver, weil sie einfacher und systematischer ist: einfacher, weil die Löhne und Gehälter gleich in Euro und nicht in einer weiteren Währung ausbezahlt würden, die dann wieder in den Euro eingetauscht werden müsste, und systematischer, weil die Lösung dann alle Länder betreffen würde. Die deutschen Löhne, in Euro umgerechnet, müssten steigen, die griechischen Löhne, in Euro umgerechnet, müssten fallen. Eine duale Währung für Griechenland allein würde den deutschen Anteil der Misere nicht bekämpfen - die unterdurchschnittlichen Lohn- und Kostensteigerungen in Deutschland im Vergleich zum Euroraum.

Ebenso erfreulich wie der Vorschlag von Marek Berka ist der Vorstoss des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble. Er findet es berechtigt, wenn die Löhne bei uns stärker steigen als in allen anderen EU-Ländern und er bemerkt richtig: "Diese Lohnsteigerungen tragen auch zum Abbau von Ungleichgewichten innerhalb Europas bei".

Das Problem bei Lohnsteigerungen ist aber natürlich, dass diese Lohnsteigerungen Kostensteigerungen bewirken und damit Preissteigerungen nach sich ziehen. Durch Lohnzurückhaltung in Deutschland wurde eine geringere Inflation im Euro-Raum bewirkt, als sie sonst zu erwarten gewesen wäre, und geldpolitische Restriktionsmaßnahmen wären die Folge gewesen, zum Nachteil für alle Länder. Dieser Zusammenhang würde durch eine regionale Lohnindexierung aufgehoben. Der Vorteil der Indexierungslösung ist, daß durch Indexierung der Wert des Euro stabilisiert werden kann, ohne daß Arbeitslosigkeit erforderlich wäre. Relative Lohnerhöhungen in Süddeutschland können beispielsweise durch durch Aufwertung der Lohneinheit in Süddeutschland oder durch Abwertung der Lohneinheiten in allen anderen Regionen erreicht werden.

Aber egal. Die Politiker fangen an zu denken. Die Wahlergebnisse in Frankreich und Griechenland werden dies hoffentlich beschleunigen.


Sonntag, 26. Februar 2012

Keynes war schockiert

Anläßlich des Aufenthalts von Keynes in Washingten im Februar 1943 organisierte Evsey Domar ein Seminar bei der Zentralbank in Washington. Auch Lerner war anwesend. Domar berichtet:
Jemand frage Keynes was er von Lerners Konzept der funktionalen Staatsfinanzen hielte. Er antwortete dass man alle hin und wieder täuschen könne aber nicht andauernd, usw....  Er sprach wahrscheinlich von "Humbug" oder etwas ähnlichem. Ich saß neben Lerner am unteren Ende des Tisches (mit Keynes und Hansen am Kopfende) und erinnere mich lebhaft wie rot Lerners Gesicht war. Niemand verteidigte ihn.
Nach dem Grund für Keynes' Reaktion gefragt war Domars Antwort:
In Anbetracht dessen, dass Keynes ein Jahr später Lerners Konzept der funktionalen Staatsfinanzen  über den grünen Klee lobte denke ich, dass Keynes entweder Lerners Artikel nicht gelesen hatte und das nicht zugeben wollte, oder dass er ihn gelesen aber nicht verstanden hatte. Er hatte reichlich Gesellschaft. Das Konzept der funktionalen Staatsfinanzen schockierte jeden. Stellen Sie sich einen tiefgläuibigen Menschen vor dem erzählt wird dass Gott nicht existiert!
 Lerner erinnert sich ebenfalls an das Gespräch:
Keynes war besorgt darüber, dass nicht ausreichend investiert wurde oder - in seiner Sprechweise - dass zu viel gespart wurde. Ich fragte warum wir darüber besorgt sein sollten. Wenn man den Leuten nur genügend Geld gäbe, würden sie mehr ausgeben. Dann wäre die Nachfrage hinreichend hoch. Eine Depression wäre vermeidbar, wenn wir bereit wären, den Leuten mehr Geld zu geben. Er fragte woher das Geld nehmen. Ich sagte nicht "Geld drucken" sondern "Kredit aufnehmen." Er antwortete dass die Staatsschuld dann ständig wachsen würde und ich sagte "ja". "Was würde dann passieren?" Ich antwortete "Nichts".  Wir sprachen noch ein wenig und Keynes sagte schließlich: "Nein, das ist Humbug" -- das war der Ausdruck, den er verwendete, Humbug (Quatsch) -- "die Staatsschuld kann nicht ewig wachsen."...
Evsey Domar, der daneben stand, bemerkte, Keynes solle vielleicht mal die General Theory lesen.

~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Nachweis: Alle Zitate sind dem sehr lesenswerten Buch The Coming of Keynesianism to America: Conversation With the Founders of Keynesian Economics, herausgegeben von  David C. Colander und Harry Landreth, Cheltenham: Edward Elgar 1996 entnommen (Seiten 184f. und 108f.)

Donnerstag, 23. Februar 2012

Primitiver Keynesianismus

Ich sehe dass nunmehr von "primitivem Keynesianismus" ("crude Keynsianism") gesprochen wird, wenn man Argumente angreifen will, die nachfragebelebende Massnahmen befürworten, aber selbst keine Argumente hat. Das ist ein großer Fortschritt. Anfang der 'neuziger Jahre wurde einfach gesagt: Das ist doch Keynesianismus! Dann waren weitere Argumente nicht mehr nötig. (So. z.B. Kurt Faltlhauser 1993 zu mir bei irgendeinem Empfang.) Offenbar gilt "Keynesianismus" nicht mehr eindeutig als Schimpfwort. Deshalb muß man nunmehr von primitivem Keynesianismus sprechen, wenn man keine Argumente vorbringen kann oder möchte.

Freitag, 3. Februar 2012

Wikipedia

In zwei früheren Posts habe ich mich auf Wikipedia-Einträge bezogen und die Fehler in diesen Eiunträgen als Hinweise auf weitverbreitete Missverständnisse genommen (hier und hier). Das war nicht als Kritik an Wikipedia gemeint. Meist ist Wikipedia besser als andere Nachschlagwerke. Z.B. kann man den Eintrag über Ricardianische Äquivalenz in der Wikipedia mit dem Eintrag in einem bekannten Wirtschaftslexikon vergleichen.
Die Wikipedia schreibt: (Stand:2.2.2012):
Die Ricardianische Äquivalenz ist ein auf David Ricardo zurückgehendes Konzept, das sich mit der Wirkung von Steuersenkungen in der Gegenwart, die mit höheren Steuern in der Zukunft finanziert werden, beschäftigt. Dieses Konzept wurde zuerst im 19. Jahrhundert formuliert und kürzlich wieder von Robert Barro aufgegriffen und popularisiert, daher wird in der Literatur auch von Barro-Ricardo-Äquivalenzproposition gesprochen.
Diesem ökonomischen Standpunkt zufolge sind die Wirtschaftssubjekte in der Lage zu erkennen, dass eine Steuersenkung heute, die in der Zukunft zu höheren Steuern führt, nicht ihr Vermögen über die Lebenszeit beeinflusst. Somit werden die Wirtschaftssubjekte das zusätzliche Einkommen, das sie durch die Steuersenkung erhalten, sparen und nicht für zusätzlichen Konsum ausgeben. Eine so angelegte fiskalpolitische Maßnahme würde also keinen positiven Effekt auf die konjunkturelle Situation der Volkswirtschaft ausüben können: Der private Sektor internalisiert das Staatsbudget im vollen Umfang.
Dagegen Gablers Wirtschaftslexikon (Stand: 2.2.2012)
These, die besagt, dass die Konsumenten zukunftsorientiert denken und daher wissen, dass eine Erhöhung der Staatsverschuldung in der Gegenwart zwangsläufig mit einer Steuererhöhung zu dem Zeitpunkt in der Zukunft verbunden ist, zu dem die Staatsschuld zurückgezahlt wird. Die Staatsverschuldung  ist äquivalent mit einer Steuerzahlung. Neben den Implikationen für die Lastverschiebungskontroverse gibt es verschiedene Aspekte für die Stabilisierung angesichts einer Rezession: die Crowding-Out-Effekte (s. Crowding-Out) beider Finanzierungsalternativen sind identisch.
Die Wikipedia ist deutlich präziser, weil sie sich auf  gegebene Staatsausgaben bezieht. Das ist bei Ricardo (und auch bei Barro) wesentlich. Gablers Artikel dagegen läßt offen, ob die Staatsverschuldung aus einer Senkung der Besteuerung oder aus einer Erhöhung der Staatsausgaben herrührt. (Nur das erste wäre korrekt).

Der entsprechende Artikel in "Die große Enzyklopädie der Wirtschaft"  (Stand: 2.2.2012) ist genau so unpräzise wie der Artikel bei Gabler - tatsächlich ist er fast deckungsgleich. Guttenberg läßt grüßen. 


Mein Eindruck ist, dass Wikipedia meist recht gut ist. Ich mache auch gelegentlich mit. Aber manche Artikel sind schwer reparabel, weil sie ungünstig organisiert sind. Dann werden Richtigstellungen sehr aufwendig.

Oft lohnt es sich auch, im New Palgrave nachzuschauen, aber die meisten Webnutzer werden keinen Zugang haben.


Mittwoch, 1. Februar 2012

Arbeitslosigkeit in der EU auf Rekordhoch

Die Arbeitslosigkeit in der Eurozone ist auf Rekordhoch und Frau Merkel will weitere Sparmaßnahmen bei den betroffenen Ländern durchsetzen! Damit wird das Problem verschärft.

Noch einmal: Die Arbeitslosigkeit ist, ebenso wie die Staatsverschuldung, eine Folge der Finanzkrise. Paul Krugman macht das sehr schön klar.

Dienstag, 31. Januar 2012

Sparkommissar für Griechenland?

Die Empörung über die deutschen Vorschläge für einen Sparkommissar für Griechenland ist verständlich. Das Hauptproblem bleibt aber die Lohnentwicklung. Hier will die Troika Maßnahmen wie Senkung der Mindestlöhne und Abschaffung des dreizehnten und vierzehnten Monatsgehalts erzwingen. Es ist zu bezweifeln, dass sich eine signifikante Senkung des Lohnniveaus auf diese Weise erreichen lässt - und die Senkung muss signifikant sein. Letztlich braucht es massive Arbeitslosigkeit um dieses Ziel zu erreichen. Die wird durch die oktroyierte Sparpolitik erzwungen, zum Schaden aller, auch der Deutschen. Das ist tragisch und inhuman.

Eine regionale Lohnindexierung wäre vielleicht weniger entwürdigend. Sie wäre auch fairer, da alle gleichmäßig betroffen wären. Und vor allem: es bräuchte dann keine Arbeitslosigkeit zur Lohnsenkung. Die Griechen sollten sich das mal überlegen - die Deutschen übrigens auch.


Montag, 30. Januar 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (3)

Eine der absurdesten Formulierungen der Ricardianischen Äquivalenz stammt von dem renommierten Ökonomen John Cochrane aus Chicago. (Paul Krugman  hat darauf aufmerksam gemacht). Cochrane schreibt:
Die "Ricardinaische Äquivalenz" ist das Theorem welches besagt, dass in einer gut funktionierenden Wirtschaft expansive Staatsausgabenpolitik nicht funktioniert.
Das hat nun nahezu nichts mit der Ricardianischen Äquivalenz zu tun, bringt aber auf den Punkt worum es den Chicago-Ökonomen bei dieser Diskussion geht. Sie wollen, koste es was wolle, die Staatstätigkeit einschränken. Die Gründe für diese Haltung sind keine ökonomischen Einsichten, denn ökonomisch gesprochen geht es stets um die bessere Lösung der Probleme. Hier gibt es keine Wahrheiten a priori. 

Verdächtig ist hier insbesondere die Formulierung "in einer gut funktionierenden Wirtschaft". Wenn das heißen soll "in einer vollbeschäftigten Wirtschaft" so stimmt sogar die Aussage, dass expansive Staatsausgabenpolitik nicht funktioniert, und Keynesianer wie Krugman würden der Aussage beipflichten. Die Begründung erfolgt dann aber nicht über Ricardianischer Äquivalenz, sondern mit Hinweis darauf, dass bei Nachfragesteigerung nicht mehr produziert werden kann, weil bereits Vollauslastung aller Ressourcen besteht. Diese Vollbeschäftigungsannahme wird in allen Modellen der neuen klassischen Makroökonomik immer getroffen. Fälle von Unterbeschäftigung, in denen Nachfragepolitik erforderlich ist, werden per Annahme ausgeschlossen und nicht behandelt. Deshalb sind diese Theorien für unsere gegenwärtigen Probleme ziemlich uninteressant.

Vielleicht wollte Cochrane einfach nur sagen: Die Welt ist eine Scheibe weil meine Theorien davon ausgehen.

Samstag, 21. Januar 2012

Sind Sonderrabatte für die Gattin des Bundespräsidenten ökonomisch effizient?

Dieser Tage liest man in der Zeitung, dass die gegenwärtige Gattin des Bundespräsidenten, Frau Bettina Wulff, beim Leasing eines Autos in den Genuß von Sonderrabatten gekommen ist, die an sich nur für VIP (very important persons, d.h. sehr wichtige Personen) vorgesehen sind.

Man könnte nun denken, dass zwar der Bundespräsident zu diesem erlauchten Kreis gehört, aber nicht notwendigerweise seine Gattin. Deshalb sollte die Präsidentengattin keine solchen Rabatte erhalten. Das ist aber juristisch gedacht und unter ökonomischem Gesichtspunkt nicht zutreffend, selbst für den Fall, dass die Präsidentengattin nicht zum Kreis der VIPs zu rechnen ist. Da Herr und Frau Wulff ihre Konsumentscheidungen gemeinsam fällen, würde die Preisstruktur, der sich die Familie Wulff gegenübersieht, verzerrt werden. wenn beide unterschiedliche Rabatte bekommen. Dies könnte sie zu ökonomisch ineffizienten Konsumentscheidungen veranlassen

Hier muss ich etwas grundsätzlicher werden. Er ist für Volkswirtschaftsstudenten im ersten Semester zwar leicht nachvollziehbar, für alle anderen Menschen aber schwerer zugänglich. Der Leser sollte mithin ggf. diesen Absatz überschlagen. Grundsätzlich gilt: In einer Marktwirtschaft sollen die Preisverhältnisse (das Verhältnis Preis Gut 1 zu  Preis Gut 2) die relativen volkswirtschaftlichen Knappheiten, gemessen an den Opportunitätskosten, widerspiegeln. Wenn Herr Wulff für sein Privatauto einen höheren Rabatt bekommt als seine Frau (er mit VIP-Rabatt, sie ohne) ist das Auto für Herrn Wulff im Vergleich zum Auto für Frau Wulff.zu billig, oder Frau Wulffs Auto vergleichseise zu teuer. Die Haushaltsentscheidung könnte dann sein, dass ein Auto für Herrn Wulff statt eines Autos für Frau Wulff angeschafft wird, obgleich es volkswirtschaftlich besser sein könnte, wenn ein Auto für Frau Wulff gekauft würde und der (vermutlich positive) Differenzbetrag zum Auto von Herrn Wulff anderweitig ausgegeben würde.

 
Also, kurz gesagt: Die Preisverhältnisse, denen sich der Haushalt Wulff gegenübersieht, müssen den Preisverhältnissen am Markt entsprechen. Deshalb müssen auf alle Waren und Dienstleistungen die gleichen Rabatte gegeben werden. In Anbetracht der Rabatte für Frau Wulffs Garderobe sollten wahrscheinlich diese Rabatte beträchtlich höher sein als die Rabatte, von denen wir sonst gehört haben. Das gilt auch für reduzierte Zinsen und Sonderkonditionen.  Auch diese sind aus volkswirtschaftlicher Sicht viel zu gering. Die Alternative wäre, überhaupt keine Rabatte für Mitglieder des Haushalts Wulff zu geben und die Besoldung des Bundespräsidenten entsprechend zu erhöhen.  Auch das würde die Konsumentscheidung des Ehepaars Wulff richtig lenken. Es hätte den Vorteil, dass die Verhandlungskosten entfielen, die bei der Pflege der Freundschaften von Herrn Wulff für ihn entstehen, hätte aber den Nachteil höherer Belastung für den Steuerzahler.

All dies gilt unter der m.E. realistischen Annahme, dass der Arbeitseinsatz des Bundespräsidenten nicht von der Höhe des allgemeinen Präsidentenrabatts beeinflusst würde.

Zu der obigen Argumentation gibt es einige Einwände, manche weniger zutreffend, andere schwer zu widerlegen. Ich nenne hier nur zwei derartige Einwände.
  • Man könnte einwenden, dass auch die Schwester von Herrn Wulff den Präsidentenrabatt bekommen sollte, da auch die Entscheidungen, die das Präsidentenehepaar und die Schwester von Herrn Wulff gemeinsam treffen, ansonsten verzerrt würden.

    Dies ist aber kein wichtiger Einwand, da kein Anhaltspunkt für solche gemeinsamen Entscheidungen besteht.
  • Ein weiterer Einwand ist der folgende: Der Berliner Autohändler, der Frau Wulff eine günstige Finanzierung geboten hat, ist auf die Gästeliuste des Bundespräsidialamtes gesetzt worden. Ihm war der finanzielle Verzicht, der mit dem Rabatt verbunden war, offenbar weniger wert als diese Einladung. Insofern ist durch die Transaktion sowohl der Autohändler als auch das Ehepaar Wulff besser gestellt worden. Hätte man diese Transaktion verboten, so wäre für beide Parteien ein Nutzenverlust eingetreten. Da sie miteinander verhandelt haben, haben sie das gemeinsame Optimum erreicht, wie das Coase-Theorem besagt.  Irgendwelche Eingriffe oder Vorgaben wären klar effizienzmindernd gewesen.

    Dieser Einwand ist nur schwer zu widerlegen. Allerdings gibt es hier aber weitere Externalitäten, denn auch andere Bürger würden vermutlich gerne vom Bundespräsidenten eingeladen werden. Die ökonomisch optimale Lösung wäre hier eine Versteigerung der Einladungen.

~~~~~~~~~~~~~~~~

Übrigens muss ich als Ökonom doch etwas Anstoß daran nehmen, dass das Tätigkeitswort "wulffen" nur in zwei Bedeutungen verwendet wird, die ökonomisch nicht besonders relevant sind. Die Annahme von Sonderrabatten ist ökonomisch wesentlich wichtiger, aber die Sprachwissenschaftler  übergehen hier wieder einmal den zentralen ökonomischen Aspekt. Das Verhalten der Bundeskanzlerin ist hier nicht besonders hilfreich, denn sie unterstützt doch recht undifferenziert das Wulffen an sich ohne zu sagen, auf welche Bedeutung sie sich bezieht. Diese Ambivalenz findet man auch bezüglich des Verbs "guttenbergen", was ja geistigen Diebstahl und Irreführung zusammen beinhaltet. Die Kanzlerin findet das tolerabel, Eigentumsdelikte sind jedoch für den Ökonomen grundsätzlich ein Problem. Das kann ich aber hier nicht im Einzelnen ausführen.

Dienstag, 17. Januar 2012

USA: Wo die Reichen leben

Im Time Magazine vom 9. Januar kann man lesen:
Im Schnitt haben die 10 Bundesstaaten mit den geringsten Einkommensunterschieden eine durchschnittliche Arbeitslosenquote von 6%, fast ein Drittel geringer als die Quote von 8,9% in den 10 Staaten mit den größten Einkommensunterschieden. Bundesstaaten mit großer Ungleichheit wie Florida und Kalifornien hatten darüber hinaus die größten Spekulationsblasen im Immobiliensektor ("housing bubbles") -- und Immobilienkrisen.
Vielleicht sollte man noch ergänzen, dass große Lohnunterschiede ökonomische Ineffizienz charakterisieren (pdf).

Soviel vorläufig zu Mitt Romneys Aversion gegen "Europäischen Sozialismus"

Samstag, 7. Januar 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (2)

Die ursprüngliche Überlegung zur Äquivalenz von Steuern und Staatsschulden stammt von David Ricardo. In einem Lexikonbeitrag zur Kriegsfinanzierung aus dem Jahre 1820 diskutiert er ob es besser sei, die Kosten der Kriegführung durch eine Kriegssteuer zu finanzieren, die während des Krieges erhoben wird und mit Kriegsende entfällt oder ob es besser sei, die Kriegskosten durch eine Kreditaufnahme zu finanzieren, mit oder ohne Tilgung, die zu einer dauerhaften Steuerbelastung auch nach Kriegsende führt. Er stellt fest:
Vom rein ökonomischen Standpunkt aus betrachtet besteht kein nennenswerter Unterschied zwischen diesen Finanzierungsformen.
Diese Aussage wird als Ricardianische Äquivalenz bezeichnet: Bei gegebenen Staatsausgaben ist die Finanzierung dieser Ausgaben mittels Schulden oder mittels Steuern äquivalent.

Allerdings schreibt Ricardo zu Beginn des betreffenden Absatzes:
Ich bin entschieden der Meinung, dass die erste Form der Finanzierung [die Kriegssteuer] vorzuziehen ist. ... Wenn die Lasten des Krieges direkt und ohne Abschwächung getragen werden müssen, werden wir weniger geneigt sein mutwillig einen teuren Konflikt zu beginnen.
Ricardo hat also "vom rein ökonomischen Standpunkt" aus Staatsschulden und Steuern zur Finanzierung einer gegebenen zusätzlichen Ausgabe als äquivalent betrachtet, war aber der Meinung, dass die Bürger oder Politiker sich unterschiedlich verhalten würden, je nachdem ob diese Ausgabe durch Steuern oder per Kredit und äquivalenter späterer Besteuerung finanziert würden.

Die neuen klassischen Ökonomen dagegen nehmen an, das die Ricardianische Äquivalenz das tatsächliche Verhalten der Wirtschaftssubjekte im Ergebnis approximativ beschreibt. Der Ökonom Robert Barro hat diese Position theoretisch entwickelt und stellt fest: (pdf)
Die ricardianische Sicht von Staatsdefiziten läuft auf die These hinaus dass die fiskalische Wirkung des Staates durch den Gegenwartswert der Staatsausgaben zusammengefasst werden kann. Ist dieser Wert gegeben, so haben Variationen des Zeitmusters der Besteuerung, wie sie durch Budgetdefizite impliziert sind, keinen Einfluss erster Ordnung auf die Wirtschaft.
Aus dieser Sicht ist es egal ob der Staat Defizite oder Überschüsse macht oder einen ausgeglichenen Staatshaushalt fährt. Die Schlussfolgerungen, die wirtschaftspolitisch aus dieser These gezogen werden sind aber völlig anders. In der deutschen Wikipedia (7.1.2012) heißt es in diesem Zusammenhang::
Kritiker einer Verschuldungspolitik argumentieren, dass durch die Staatsverschuldung die jetzige Generation auf Kosten zukünftiger Generationen lebe (Generationenbilanz). Danach seien Staatsschulden auf die Zukunft verschobene Steuererhöhungen, die dann von den „nachfolgenden Generationen zu tragen sind“.
Dieser Zusammenhang ist in der makroökonomischen Theorie als Barro-Ricardo-Äquivalenzproposition bekannt und beinhaltet als Kernaussage, dass sich das permanente Einkommen der Haushalte durch die Neuverschuldung (=Steuersenkung) nicht verändert und damit keine Auswirkung auf die Ausgaben (=Nachfrage) der Haushalte hat, da die Haushalte die zukünftigen Steuerzahlungen, die durch die gegenwärtige Verschuldung bedingt sind, schon in der Gegenwart durch Sparen antizipieren.
Das erscheint als völlig irrsinnig, die Verfasser des (an sich ordentlichen) Artikels treffen aber den Kern der Sache. So wird das Argument oft wahrgenommen.

Ein schönes Beispiel, wie theoretische Aussagen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung geradezu in ihr Gegenteil verdreht werden.

Nachtrag (1.2.2013)
Ich sollte vielleicht anmerken, dass die These  tatsächlich theoretisch falsch ist und auf dem Irrtum beruht, dass Zinseinkommen der privaten Haushalte aus Staatsschulden nicht zum verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte gerechnet werden, wie ich in einem späteren Blog erwähnt habe.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation bezüglich der Ricardianischen Äquivalenzthese im vorangegangenen Nachtrag fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..   

Freitag, 6. Januar 2012

Die missverstandene Ricardianische Äquivalenz (1)

Kritiker keynesianischer Überlegungen zur Staatsverschuldung beziehen sich oft, wenngleich meist recht vage, auf die sogenannte "Ricardianische 'Äquivalenz" die besagt dass für ökonomisch rational handelnde Wirtschaftssubjekte das Lebenseinkommen für den Konsum entscheidend ist und nicht das laufende Einkommen. Deshalb werden Steuersenkungen heute, bei entsprechenden zusätzlichen Steuern in der Zukunft, keinerlei Wirkung auf die Nachfrage haben, so lange eben das Lebenseinkommen (inklusive des Lebenseinkommens nachfolgender Generationen) nicht verändert wird.

Dies ist eine einfache Überlegung zu intertemporalen Budgetbeschränkungen, sowohl des Staates, als auch bei den Privaten, die selbst in ihrer reinsten Form keinerlei Schlüsse über die Höhe und Wirkung der Staatsverschuldung impliziert. Sie wird aber doch oft in dieser Weise fehlgedeutet. Ich werde in diesem Blog einige dieser Fehldeutungen besprechen.

Der (an sich recht ordentliche) Artikel in der deutschen Wikipedia zu diesem Thema (Stand: 5.1.2012) illustriert eine milde, aber sehr verbreitete Form dieses Missverständnisses:
Diesem ökonomischen Standpunkt zufolge sind die Wirtschaftssubjekte in der Lage zu erkennen, dass eine Steuersenkung heute, die in der Zukunft zu höheren Steuern führt, nicht ihr Vermögen über die Lebenszeit beeinflusst. Somit werden die Wirtschaftssubjekte das zusätzliche Einkommen, das sie durch die Steuersenkung erhalten, sparen und nicht für zusätzlichen Konsum ausgeben. Eine so angelegte fiskalpolitische Maßnahme würde also keinen positiven Effekt auf die konjunkturelle Situation der Volkswirtschaft ausüben können.
Diese Formulierung suggeriert stillschweigend, aber unzutreffend, eine Steuersenkung heute müsse notwendigerweise zu Steuererhöhungen in der Zukunft führen die das Lebenseinkommen unverändert ließen und damit keinen Einfluss auf die laufende Nachfrage ausüben würden.

Dies ist aber unzutreffend. Selbst unter idealen Bedingungen müssen Steuersenkungen heute nicht notwendigerweise zu gleichwertigen (d.h. das Lebenseinkommen unberührt lassenden) Steuererhöhungen in der Zukunft führen. 

Um den Fehler zu sehen, kann man den Fall eine Wirtschaft betrachten, die nominal mit 4% wächst (2% Inflation und 2% Wirtschaftswachstum, aber das dient nur zur Illustration, der Leser kann andere Zahlen einsetzen). Der Staat beginnt mit einem ausgeglichenen Haushalt (Einnahmen=Ausgaben, keine Staatsschuld) und senkt nun die Steuern so, daß sein Defizit 4% des Bruttoinlandsproduktes beträgt. Die Staatsschuld wird dann wachsen, denn in jedem Jahr werden neue Schulden aufgenommen. Das prozentuale Wachstum der Staatsschuld ist gleich dem Defizit geteilt durch die Staatsschuld:

                                                          Defizit
Wachstumsrate der Staatsschuld =   -----------------------------
                                                            Staatsschuld

Da anfangs die Staatsschuld gering ist,  ist das prozentuale Wachstum der Staatsschuld zunächst hoch. Mit zunehmender Staatsschuld wird das prozentuale Wachstum der Staatsschuld geringer. Hat die Staatsschuld 100% des Bruttoinlandsproduktes erreicht, so wird sie mit der Wachstumsrate von 4% wachsen. Hätte der Staat nur ein permanentes Defizit von 2% gefahren, so hätte sich die Staatsschuld auf einem Niveau von 50% des Bruttoinlandsproduktes stabilisiert. Eine solche dauerhafte Staatsschuld erfordert zur "Finanzierung" nicht, dass irgendwann in der Zukunft die Steuern erhöht werden und führt auch zu keinen Finanzierungsproblemen.

Man könnte nun einwenden, dass mit zunehmender Staatsschuld die Zinszahlungen des Staates an die Privaten Kreditgeber entsprechend zunehmen. Deshalb "nützt" eine Staatsverschuldung nichts, denn auf die Dauer wird das Defizit von den Zinszahlungen "aufgefressen" und ein "wirkliches" Defizit ist damit langfristig unmöglich.

Diese Überlegung ist aber insofern irreführend, als das Defizit nicht dazu dient, Staatsausgaben zu "finanzieren" sondern die Nachfrage zu stützen. Dies wird erreicht, wenn die Steuern gesenkt werden und wenn Zinszahlungen geleistet werden, die ja ebenfalls Einkommen darstellen. Man denke an den Grundsatz der funktionalen Finanzpolitik dass alle Maßnahmen allein in Hinblick auf ihr Ergebnis getroffen werden sollten und nicht nach irgendwelchen traditionellen Vorstellungen über gesunde oder ungesunde Finanzpolitik. Wenn es darum geht, die verfügbaren Einkommen zu erhöhen, wird dieses Ziel mittels permanenter Steuersenkungen erreicht.

Außerdem ist die Überlegung, dass der "Finanzierungsspielraum des Staates" durch Defizite eingeschränkt wird, in vielen Situationen einfach unzutreffend. Nehmen wir an, der Zinssatz sei 5%. Bei einem permanenten Defizit von 4%  beträgt die langfristige Staatsschuld 100% des Bruttoinlandsproduktes. Mithin muss der Staat 5% des Bruttoinlandsproduktes an Zinslasten permanent tragen, also mehr als das Defizit. Allerdings muss dann aber berücksichtigt werden, dass die Zinseinkünfte der Einkommenssteuer oder Abgeltungssteuer unterliegen. Werden die Zinseinkünfte beispielsweise (und der Einfahheit halber) mit einem Steuersatz von 20% besteuert, so fließt ein Fünftel der Zinszahlungen als Steuereinnahme an den Staat zurück. Netto muss der Staat dann 4% Zinsen zahlen. Das Defizit kann dann also gerade die Zinszahlungen "finanzieren". Wenn das Defizit auf Steuersenklungen beruht, die die Nachfrage stärken sollen, so wird das Ziel erreicht: Die verfügbaren Einkommen steigen aufgrund der Steuersenkungen und der Zinszahlungen und die verfügbaren Mittel des Staates werden nicht verändert. Liegt die Besteuerung der Zinseinkünfte über 20%, so wird in diesem Beispiel das Defizit nur zum Teil für Zinszahlungen verwendet. Liegt die Besteuerung unter 20%, so muss allerdings ein Teil der Zinszahlungen aus dem laufenden Budget zugeschossen werden. Auf jeden Fall aber wird das Defizit kurzfristig und langfristig nachfragewirksam sein. Das Ziel wird erreicht, selbst dann, wenn gar nicht eingerechnet wird, dass die Nachfragestärkung zu höheren Einkommen und höheren Steuereinnahmen führt.

Nebenbei: Wenn die Kredite zur Finanzierung des Defizits bei der Zentralbank aufgenommen werden, erfolgen die Zinszahlungen an die Zentralbank. Dies sind dann Gewinneinkünfte der Zentralbank, die  vollständig ins Staatsbudget zurückfließen. Auch hier wird natürlich das Ziel der Nachfragestärkung erreicht.

Der grundsätzliche Fehler von vielen Überlegungen in diesem Zusammenhang ist, daß sich die Schuldenproblematik in einer wachsenden (möglicherweise auch nur nominal wachsenden) Wirtschaft anders stellt als in einer stationären Wirtschaft. Die Diskussion um die Ricardianische Äquivalenz vollzieht sich oft vor einem gedanklichen Hintergrund, der in einer stationären Wirtschaft zutreffend sein mag, in einer wachsenden Wirtschaft aber wirklich irreführend ist.

~~~~~~~~

Die Grenze der Staatsschuld liegt nicht in irgendwelchen Finanzierungsproblemen sondern darin, dass der Staat nicht so viel ausgeben darf, dass Inflation entsteht. Das kann  bedeuten, dass er weniger ausgeben sollte als er einnimmt, das kann aber auch bedeuten, dass er mehr ausgeben sollte als er einnimmt. Mit der "Finanzierungsseite" hat das überhaupt nichts zu tun, denn die Staatsschuld wächst langfristig immer mit der gleichen Wachstumsrate wie das Inlandsprodukt.

Genaueres dazu findet man in meinem Beitrag zu diesem Thema (pdf). Es gibt auch eine inoffizielle deutsche Fassung (pdf)  die aber nicht von mir stammt.


Nachtrag (17.1.2012). Ich sollte anmerken dass die hier dargestellten Überlegungen bereits 1976 von Martin Feldstein publiziert wurden.

Nachtrag (24.2.2013) Nachtrag (1.2.2013). Ich sollte außerdem anmerken, dass die Äquivalenzthese tatsächlich theoretisch falsch ist und auf dem Irrtum beruht, dass Zinseinkommen der privaten Haushalte aus Staatsschulden nicht zum verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte gerechnet werden, wie ich in einem späteren Blog erwähnt habe.

Nachtrag (24.11.2013) Tatsächlich war meine Argumentation bezüglich der Ricardianischen Äquivalenzthese fehlerhaft. Ich bin einem Fehler in  einer von Barros Arbeiten aufgesessen. The Ricardianische Äquivalenzthese ist tatsächlich zutreffend. Ich habe ein entsprechendes Erratum geschrieben in dem ich meinen Fehler klarstelle. Diese Notiz wird demnächst in Metroeconomica erscheinen. Ich bitte bei den Lesern dieses Blogs ebenso wir bei den beteiligten Herausgebern und Gutachtern um Entschuldigung und werde meinen Irrtum demnächst in einem Blog nochmals klarstellen..   

Mittwoch, 4. Januar 2012

Mal nicht zur Sache: Wulffs Interview aus der Sicht eines Professors

Aus der Sicht eines Professors, unabhängig von jedweder Ökonomie:

Soeben habe ich das Interview des Bundespräsidenten gesehen, das er ARD und ZDF gewährt hat.

Ich habe viele mündliche Prüfungen abgehalten. Bei unserem Präsidenten sehe ich die gleiche Verhaltensweise wie bei unsicheren Studenten: Sie schauen permanent auf die Reaktion des Prüfers (bei Wulff: der Interviewer)  und richten ihtre Antworten nach der  Mimik des Prüfers. Sie versuchen nicht, den Prüfer von ihrer Ansicht zu überzeugen, oder mindestens davon, dass es gute Gründe für diese Antwort gibt, selbst wenn der Prüfer anderer Meinung sein sollte. Sie versuchen nur, sich durchzumogeln. Und so jemand ist Präsident!

Frau Wulff ist doch Medienexpertin. Warum hilft sie Ihrem neuen Mann nicht und bereitet ihn besser vor?

Nachtrag (10.1.2012): Das obige gibt meinen tatsächlichen Eindruck wieder. Dieser Eindruck ist nicht als Verleumdung  intendiert, sondern eben als wahrheitsgemäße Darstellung meines Eindrucks, der ja auch falsch sein kann.

Allerdings muss ich sagen, dass der Herr Bundespräsident seine im Interview gegebene Zusage gebrochen hat, alle 400 Fragen und Antworten aufs Netz zu stellen. Ich hatte ihm das, trotz meines Eindrucks, tatsächlich geglaubt und habe einige Zeit damit vergeudet, diese nicht vorhandenen Antworten am nächsten Tag auf dem Netz zu suchen. Es gibt nur eine recht uninformative Darstellung seiner Anwälte. Mein Eindruck war wohl doch nicht ganz falsch. Auch bei der Aussage, dass der Herr Bundespräsident seine öffentliche Zusage gebrochen hat, handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Ich nehme sie gerne zurück wenn sie widerlegt wird.


Montag, 2. Januar 2012

So nicht, Herr Präsident!

Ich meine hier nicht den Bundespräsidenten zu dem nichts weiter zu sagen ist, sondern den Präsidenten Anibal Cavaco Silva von Portugal. In einem Interview in "Time" vom 12. Dezember 2011 antwortet er auf die Frage, was in Portugal schief gelaufen sei:
Nach dem Beitritt Portugals zur Euro-Zone ging das Zinsniveau in Portugal stark zurück. Infolgedessen nahm die Binnennachfrage zu, die Verschuldung stieg, die Auslandsverschuldung stieg und die Defizite stiegen. Wir korrigieren nun diese Fehler.
Es ist aber grob irreführend zu behaupten, dass die Staatsverschuldung die gegenwärtigen Probleme verursacht haben, wie diese Formulierung nahelegt und wie viele immer wieder behaupten.  Vielmehr ist die Verschuldungskrise eine Folge der Finanzkrise, nicht umgekehrt. Im Falle von Portugal sieht das so aus:


Man sieht: Die Verschuldungskrise folgt auf die Finanzkrise von 2008. Das war nicht nur in Portugal so, sondern in allen Krisenländern (PIGS: Portugal, Irland,Griechenland, Spanien):



Man sieht außerdem, dass Spanien und Irland vor der Finanzkrise bei der Neuverschuldung zurückhaltender waren als die EU-Länder. Wer die gegenwärtigen Beschäftigungsprobleme in diesen Länder  auf exzessive Staatsverschuldung zurückführt stellt, wissentlich oder unwissentlich, die Wahrheit auf den Kopf.