Dienstag, 20. Dezember 2011

Die ökonomische Funktion des Zinsniveaus

Paul Krugman setzt sich in seinem heutigen Blog  mit dem öfters zu vernehmenden Argument auseinander, dass niedrige Zinsen die Kreditversorgung bremsen, weil die Banken dann weniger interessiert sind, Geld zu verleihen. Er bemerkt zutreffend, dass ein niedriges Zinsniveau sich auf sichere Anlagen bezieht und die Banken frei sind, höhere Zinsen zu verlangen, um das Risiko von weniger sicheren Anlagen abzudecken. Sie tun das auch. Ein niedriges Zinsniveau setzt einen Mindestpreis für das Verleihen, keinen Höchstpreis. Deshalb besteht kein Grund, mangelnde Markträumung auf dem Kreditmarkt wegen zu niedriger Zinsen zu erwarten.

Krugman fährt nun aber fort -- und hier habe ich meine Probleme:
Der "natürliche" Zinssatz im ökonomischen Sinne -- der Zinssatz, bei dem die gewünschte Ersparnis bei Vollbeschäftigung gleich der gewünschten Investition bei Vollbeschäftigung ist, ist [in der gegenwärtigen Situation] negativ.
Das ist nun aber alles andere als klar. Ich verstehe das so: Die Funktion des Zinses ist, gewünschte Investition und gewünschte Ersparnis anzugleichen. Dazu wäre in der gegenwärtigen Situation ein negativer Zins erforderlich. Das ist aber nicht möglich, weil man ja bei Preisstabilität einfach Geld halten kann statt es zu negativem Zins zu verleihen.

Allerdings hat das nichts mit Vollbeschäftigung zu tun. Der markträumende Zins bei Vollbeschäftigung kann völlig anders sein als der markträumende Zins bei Unterbeschäftigung.

Aber noch etwas grundsätzliches zur Funktion des Zinsniveaus (leider ziemlich schwierig zu erklären und wohl auch zu verstehen). Es ist problematisch, wenn nicht abwegig, die Funktion des Zinses in der Gütermarkträumung zu sehen. Der Zinssatz soll sich, ökonomisch gesprochen, aus der Zeitpräferenz der Wirtschaftssubjekte einerseits und der höheren Produktivität längerer Produktionsumwege andererseits ergeben. Es gibt dabei keinen Grund anzunehmen, dass diese Faktoren konjunkturell in dem Ausmaß schwanken, wie zur permanenten Vollbeschäftigung erforderlich wäre.

Tatsächlich erzeugen Zinsänderungen massive Strukturverschiebungen, die unter Allokationsgesichtspunkten ineffizient sind. Manche Branchen (Hochbau, Tiefbau, Schiffsbau) sind sehr zinsabhängig, andere (insbesondere Risikobranchen) nur geringfügig. Es ist aber bedenklich, die Güternachfrage insgesamt vornehmlich über die Baunachfrage und damit über eine stets schwankende Größe des Bausektors zu steuern. Die wesentliche Funktion des Zinsniveaus liegt vielmehr darin, die Verfahrenswahl richtig zu steuern, denn bei einem niedrigen Zinsniveau wird man eher kapitalintensiv produzieren, bei einem hohen Zinsniveau tendenziell mit geringerem Kapitaleinsatz und höherem Arbeitseinsatz. Dieser Aspekt wird von Keynesianern (wie hier auch von Krugman) oft vernachlässigt, ist aber m.E. sehr wichtig.

In der neuen klassischen Makroökonomik wird dieser Gesichtspunkt zwar betont, es wird dann aber im Widerspruch zu diesem Grundgedanken Konjunktursteuerung allein über Geldpolitik empfohlen. Konsequenterweise sollte man vielmehr gerade aus der oben erwähnten Allokationsperspektive eher auf Mengensteuerung (Nachfragesteuerung mittels Staatseinnahmen und Staatsausgaben) setzen und nicht primär auf Preissteuerung mittels Zinsniveauänderungen. Siehe dazu auch hier (pdf). Aber dies ist eine Problematik die m.W. in der Volkswirtschaftslehre kaum behandelt, geschweige denn theoretisch hinreichend durchdrungen ist.

Postskript: Vielleicht sollte ich nicht unerwähnt lassen, dass Krugman in seinem Beitrag einen Kommentar von Bill Gross kritisiert.  Man sieht wieder einmal: Finanzexperten, die mit Geldgeschäften Milliarden gemacht haben, machen bei der Beurteilung volkswirtschaftlicher Zusammenhänge die elementarsten Schnitzer. Ich selbst habe das verschiedentlich live erlebt.  Lustig, wenn es nicht so traurig wäre. Traurig, weil sie viel Einfluss haben. Ihr Geld ist mir egal.

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